Oasis – Große Mäuler, kleine Brötchen
Von der Vorstellung, die größte Band der Welt zu sein, haben sich Oasis endgültig verabschiedet, hinter den eher psychdedelischen Popsongs des Albums "Dig Out Your Soul" steckt keine Strategie. Das neue Credo lautet: "Wir wissen, dass wir nichts wissen."
Noel Gallagher sitzt im Büro seiner eigenen Plattenfirma Big Brother und sieht eigentlich ganz entspannt aus. Abgewetzte Jeans, grüne Turnschuhe, leichte Schwitzflecken am hellblauen Hemd. Die Klimaanlage ist ihm trotzdem zu kalt eingestellt, das wird natürlich sofort geregelt. Als nach sieben Minuten immer noch kein Milchkaffee auf dem Tisch steht, springt er auf und stellt die Sekretärin zur Rede. Eins ist also nach spätestens acht Minuten klar, da muss man gar nicht all die Goldenen Schallplatten (die zum Großteil auf der Toilette hängen) und Zeitschriften mit seinem Gesicht auf dem Cover anschauen: Noel Gallagher ist hier der Chef.
Sein Bruder Liam sitzt zur selben Zeit in einem Studio in West London und gibt ebenfalls Interviews, doch Noel lässt keinen Zweifel daran, wer immer noch der Fleißigste in der Band ist. „Zurzeit gibt es nie Leerlauf. Vormittags Interviews, nachmittags Besprechungen, und abends bringe ich meinen zehn Monate alten Sohn ms Bett. Aber ich will mich nicht beschweren, ich habe gern zu tun.“
In den vergangenen Monaten haben Oasis vor allem an ihrem neuen, siebten Album gearbeitet, „Dig Out Tom-Soul“. Ausnahmsweise haben sie es sich dabei relativ leicht gemacht: Sie engagierten einfach denselben Produzenten wie beim letzten Mal, Dave Sardy, und blieben in London. Das Abbey Road Studio war so freundlich, die Band wieder aufzunehmen. 1996 waren sie wegen schlechten Benehmens dort rausgeflogen, aber Gallagher konnte den Verantwortlichen glaubhaft versichern, dass die wilden Zeiten vorbei sind. Er hat ihnen seine Kinder vorgestellt und sein freundlichstes Lächeln aufgesetzt. „Wir mussten aber alles vorab bezahlen“, grummelt er. Trotzdem hält er Abbey Road für unschlagbar – zumal er sein eigenes Studio, Wheeler End, zwischenzeitlich verkauft hat. Warum? „Couldn’t be bothered.“
Auch die Vorstellung, seine Alben wie früher selbst zu produzieren, langweilt ihn: „Warum den Scheiß nicht jemand anderen machen lassen?“ Nur circa sieben Wochen haben sie letztendlich für die Auf nahmen gebraucht, schätzt Gern Archer, und das bei recht zivilen Arbeitszeiten. Der Studiotag fängt für Oasis gegen elf oder zwölf Uhr an, abends wird für eine schnelle Runde Sushi Pause gemacht und kurz nach Mitternacht eingepackt. „Wenn wir arbeiten, arbeiten wir richtig“, behauptet der Gitarrist. „Das sinn- und ziellose Jammen mitten in der Nacht bringt doch sowieso nichts. Da gehen wir lieber heim und kommen am nächsten Tag wieder zusammen.“ Die größte Schwierigkeit, gesteht Andy Bell, sei heutzutage eigentlich, die vier Bandmitglieder zur selben Zeit ins Studio zu bringen, weil alle Familien und Kinder haben und andere Prioritäten. Umso glücklicher war der Bassist, dass sich die Aufnahmen diesmal so reibungslos gestalteten: „Bei den letzten beiden Alben haben wir immer zwei, drei Anläufe gebraucht, bis es funktionierte. Verschiedene Studios, verschiedene Produzenten und Herangehensweisen.
Aber Dave Sardy macht es uns sehr leicht, und er bekommt Liam dazu, sein Bestes zu geben. Die Situation war sehr entspannt.“
Noel bringt es auf den Punkt: „Das ist hier ja nicht ,Chinese Democracy‘. Ich habe keinen Bock, jahrelang im Studio zu sitzen. Beim letzten Album haben wir ewig gebraucht, diesmal lief es problemloser. Wenn man erst mal eine Entscheidung getroffen hat, muss man dabei bleiben. Und nicht endlos diskutieren. Manchmal diskutieren wir dann doch ewig, und am Ende stellen sowieso alle wieder fest, dass ich von Anfang an recht hatte.“
Beim ersten Meeting, in dem die Marschrichtung für „Dig Out Tour Soul“ festgelegt werden sollte, war das noch nicht so klar. Noel schwebte ein psychedelischer Sound vor, etwas Wilderes, aber als er den Kollegen die ersten Demos seiner Songs „Bag It Up“, „Waiting For The Rapture“ und „The Turning“ vorspielte, war er wieder mal überrascht von der Reaktion seines kleinen Bruders: „Er nippte aus, weil er nicht wusste, wohin die Reise gehen sollte und fragte immer: Warum, warum, warum – warum müssen wir jetzt so ein Album machen? Warum machen wir nicht dasselbe wie immer? Liam panics a lot, all die time. Aber es ist völlig sinnlos, sich zu viele Gedanken zu machen. Man muss dann einfach sagen: So läuft es, Ende der Diskussion.“
Bell hat etwas mehr Verständnis für Liam: „Diese drei Stücke sind ja alles Songs ohne viel Schnickschnack. Und wir sagten gleich: Lasst uns so ein Album machen, schnell, simpel, ohne zu viele Oberdubs — minimale Drums, einfache Gitarren. Liam hatte wohl etwas Sorge, dass seine Songs da nicht reinpassen. Und das tun sie ja auch nicht!“ Bell lacht. „Seine Ballade ,I’m Outta Time‘ ist überhaupt nicht so.
dass Liam in Panik gerät, wie Noel das immer sagt. Erdenkt einfach nicht gern zu lange über alles nach. Aber im Grunde ist er der Psychedelischste von uns allen. Wobei man sagen muss: Psychedelische Musik ist fast die ein Aber mit solchen Richtungsvorgaben ist es ja sowieso immer das Gleiche: Die sind ganz schön, um erst mal einen Anfang zu haben, aber im Studio entwickelt sich dann meistens alles ganz anders.“ Auch Gern Archer springt dem Sänger zur Seite: „Ich finde nicht, zige, auf die wir uns alle einigen können. Und diesmal sagte Noel eben: Let’s just go for it! Wir sind hier in Abbey Road. Wir können alles machen, was wir wollen. Wir haben dann also jedes Keyboard – und wir besitzen sehr, sehr viele Kevboards! – im Studio aufgestellt und einfach angefangen rumzuspielen.“
Wobei man sich, ohne groß zu überlegen, auf eine etwas unorthodoxe Arbeitsweise einigte: Häufig bediente Bell das Keyboard, während Archer von der Gitarre an den Bass wechselte. Schlagzeuger Zak Starkey, der bei den Aufnahmen noch dabei war, kam hinzu, wenn er gebraucht wurde. Als „Konzept“ will Noel weder das noch die psychedelischen Elemente verstanden wissen. Konzepte sind etwas für Brian Eno, und den schätzt er nicht besonders, der ist ihm wohl zu intellektuell.
Eins fiel dann aber sogar Noel auf: Etliche der Stücke drehen sich um Gott – oder dessen Abwesenheit. In „Falling Down“ heißt es: „I tried to talk to God/ But to no avail.“ Sind Oasis plötzlich spirituell geworden? „Keine Ahnung, woher der Scheiß kommt“, zuckt Noel grimmig mit den Schultern. „Plötzlich kamen alle mit irgendwie religiösem Kram an. Mal schauen, was die Leute davon halten werden. Ich weiß noch nicht, was ich davon halte.“ Ein Zufall also, auch das.
Nachdem sie eine Weile an den neuen Stücken gearbeitet hatten, war auch Liam zufrieden. Aber selbst wenn er ewig weitergenörgelt hätte -Noel kann darüber nur noch lachen. Er findet die Allüren seines Bruders seit einigen Jahren eher unterhaltsam als ärgerlich. „It’s fucking hilarious/ You’d find it entertaining, too. Die Phase des Genervtseins habe ich längst hinter mir. Früher war ich angepisst, jetzt lache ich. Es ist einfach zu lustig, wenn er durchdreht. Und seit ich Vater bin. habe ich gemerkt, dass Liam immer noch ein Kind ist.“
Nun funktioniert der psychedelische Hintergrund nicht bei jedem Song so gut wie bei „Falling Down“, und die schweren Grooves, die bei Beils „The Nature Of Reality“ perfekt passen, klingen bei anderen Stücken etwas schwerfällig. Auch geht manche Melodie unter dem wuchtigen Sound fast verloren – aber möglicherweise soll das so sein, denn Noel gefällt die Vorstellung, dass man sich erst mal reinhören muss in dieses Werk: „Die letzten Alben waren eine gute Kollektion von Songs, aber dies ist ein richtiges Album – mehr wie Pink Floyd, wo man sich alles anhören muss, um’s zu verstehen. Nach fünf Durchgängen hört man immer noch etwas Neues. Früher haben uns Details nie interessiert. Diesmal hat das richtig Spaß gemacht. Sogar für die Pausen haben wir uns kleine Sound-Effekte einfallen lassen… Ich hoffe einfach, dass Oasis-Fans das Album mögen werden. Alle anderen interessieren mich gar nicht mehr so. In England wird es sowieso wieder vielen Leuten nicht gefallen.“ Was Noel angeblich relativ egal ist, denn er hat längst genug Stücke für ein komplettes nächstes Album geschrieben und Demos dafür aufgenommen. „Man muss das Eisen schmieden, solange es heiß ist“, sagt er — und momentan kennt er keine Schreibblockaden.
Trotzdem bleibt Gallagher der Arbeitsweise treu, die sich seit einigen Jahren bei Oasis eingespielt hat: Alle sind am Songwriting beteiligt. Aber die letzte Entscheidungsgewalt hat nur einer. Eine Art Demokratie mit Diktator: „Die anderen bringen mir ihre Songs, und ich sage, ob sie gut sind. So sind nun mal die Regeln. Ich finde das gar nicht grausam. Ich habe ein wirklich gutes musikalisches Gehör, und ich sitze nicht nur da und sage: Meine Songs sind sowieso die besten. Auch wenn sie das sind. Nein, ich bin einfach ehrlich.“
Er ist es, der auswählt, welche Lieder es auf das Album schaffen. „Einer muss es tun. Bei einem Großteil der Songs ist es sowieso klar. Wenn ich meinen Willen bekommen hätte, wären diesmal zwei Songs nicht dabei, die nun drauf sind und zwei andere, die es nicht sind, wären dabei. Aber Liam kam nie dazu, die Texte für diese beiden zu singen. Also Pech.“
Gallagher ist sich nicht zu schade zuzugeben, um welche Songs es sich handelt. Er hätte „(Get Off Your) High Horse Lady“ und „Ain’t Got Nothin'“ gern weggelassen – „weil sie alt sind, sechs Jahre. Außerdem sind die anderen beiden Stücke brillant. Aber vielleicht ist es ganz gut so, dann haben wir gleich zwei großartige Stücke fürs nächste Album.“
Der Rest der Band hat kein Problem mit dieser Art der Arbeitsteilung, im Gegenteil. Bell ist sogar ganz froh, dass einer freiwillig die Verantwortung übernimmt: „Ich habe höchsten Respekt davor, dass Noel all diese Entscheidungen trifft. Er muss sich ja auch mit dem Stolz derjenigen auseinandersetzen, die ihm die Songs bringen.“ Archer sieht das ganz ähnlich. Es stört ihn nicht, von Noel beurteilt zu werden: „Es gibt schlimmere Schicksale. Noel hat ja auch neun von zehn Mal recht. Und einer muss der Kapitän sein, sonst kommt das Schiff nie voran. Natürlich wundert man sich manchmal, wohin die Fahrt geht oder was aus manchen Stücken wird, aber mit einer Band ist das wie mit einem Kind: Man muss loslassen können. Man muss es auf Bäume klettern lassen. Im Fall der Band heißt das: Man muss sie spielen lassen und abwarten, was passiert. Notfalls muss man die Augen zumachen und das Beste hoffen.“
Einfach wieder alle Stücke allein zu schreiben, das käme für Noel Gallagher nicht mehr infrage. Der bloße Gedanke lässt ihn schon schnaufen. „Das war viel zu viel Arbeit. Außerdem wollte damals keiner mit irgendjemand anderem aus der Band sprechen, also musste ich auch all die Interviews machen. Und all die Ideen für alles andere haben. Ich war jung, ich habe das hinbekommen. Aber heute ginge das nicht mehr. Würde einen Herzinfarkt kriegen.“ Er überlegt einen Moment und muss dann doch loswerden, dass er natürlich immer noch die meiste Arbeit macht: „Wenn wir im Studio sind, lassen die mir immer noch gern den Vortritt. Wir haben alle unsere eigene Meinung, wir diskutieren alles — und dann stellen alle fest, dass ich von Anfang an recht hatte, und dann machen wir es so, wie ich es sage. Das soll nicht arrogant klingen, das ist einfach eine Tatsache.“ Er hat das jetzt zum zweiten Mal betont. Rechthaben ist immer noch das größte Hobby des Songschreibers, dicht gefolgt von Herumkommandieren.
Es war dann auch wieder mal Noels Aufgabe, einen neuen Schlagzeuger für die anstehende Tournee zu finden. Zak Starkey stand nach den Aufnahmen zu „Dig Out Tour Soul“ nicht mehr zur Verfügung, weil er mit The Who zu viel zu tun hatte, also musste ein anderer her. Noel erinnerte sich an seinen alten Bekannten Chris Sharrock, der schon für World Party und Robbie Williams trommelte und den er bereits 2004 haben wollte. Damals sagte Starkey schneller zu und bekam den Job. Nun zierte sich Sharrock nicht lange. „Er ist jetzt unser vierter Drummer. Oder der fünfte?“ Noel weiß es selbst nicht mehr so genau. (Er ist nach Tony McCarroll, Alan White und Starkey der vierte.) „So bleibt’s immer interessant. Man weiß nie, wer am nächsten Montag in der Band ist. Dabei ist, wenn du mich fragst, der Schlagzeuger in einer Band genauso wichtig wie der Sänger. Wenn man einen großartigen Drummer hat, wird man automatisch eine großartige Band. Alle brillanten Gitarristen sind sich ziemlich ähnlich, aber es gibt nicht viele großartige Drummer. Wir hatten Glück, dass wir nach Zak gleich wieder einen gefunden haben, unwahrscheinliches Glück.“ Gern Archer veranstaltete nach den Tour-Proben (bei denen Oasis ein Set durchspielen und dann die verpatzten Stücke noch einmal, also gern mal vier Stunden beschäftigt sind) oft noch Themen-Abende mit seinem Kollegen: Kinks-Night, La’s-Night-Jimi-Hendrix-Night – und Sharrock kannte stets nicht nur jeden Beat, sondern auch jedes Riff. Schließlich war sogar Liam, der den Schlagzeuger zunächst wegen dessen Robbie-Williams-Connection abgelehnt hatte, besänftigt. Inzwischen überschlagen sich alle fast vor Begeisterung. Aber erinnert der Verschleiß an Trommlern nicht auch ein wenig an „Spinal Tap“ – mit dem Unterschied, dass Oasis-Drummer zum Abschied nicht gleich explodieren? Worauf Archer sagt: „Wer weiß? Hast du irgendeinen von denen in letzter Zeit gesehen?“
Die Frage, was Oasis mit neuem Album, neuem Schlagzeuger und neuer Harmonie nun noch erreichen wollen, beantworten alle erstaunlich unterschiedlich. Noel Gallagher scheint alles überwiegend egal zu sein. Er rechnet nicht mehr mit überschwenglichen Kritiken und kann damit leben. „Wenn man jung ist und eine fiese Kritik abbekommt, denkt man doch schon, das war’s jetzt – das Ende der Karriere. Aber mit der Zeit merkt man, dass es völlig egal ist. Leute wie Paul Weller und ich, die schon so lange dabei sind, zucken da nur noch mit den Schultern. Man kann immer nur sein Bestes geben und abwarten, was passiert. Ich habe neulich mit Paul darüber geredet. Als er sein jüngstes Album („22 Dreams“) gemacht hat, dachte er, das ist so maßlos und ausufernd, dass man es ihm um die Ohren hauen wird. Er war darauf vorbereitet, absolut niedergemacht zu werden. Und siehe da: Seit zehn Jahren ist kein Album von ihm mehr so gut angekommen. Das hat ihn umgehauen.
Er sitzt da und versteht es überhaupt nicht. Also kamen wir gemeinsam zu dem Schluss: Wir wissen, dass wir nichts wissen. Hauptsache, uns gefällt’s— und wenn’s sonst noch jemand mag, fein.“
Bei Andy Bell hört sich das anders an: „Wir haben noch so viel zu beweisen. Manchmal kommt es mir vor, als würden wir immer wieder unser erstes Album aufnehmen. Wir sind immer noch so aufgeregt und gespannt, was passiert.“ Er interessiert sich durchaus für Kritik. Allerdings gibt auch er sofort zu, dass Oasis wohl nicht mehr die größte Band auf Erden sind – oder je sein werden. Sie backen inzwischen kleinere Brötchen und lassen Kollegen wie Coldplay angeblich ohne Neid vorbeiziehen: „Uns geht’s gut. Wir spielen vor vielen Leuten, uns reicht das. Natürlich könnten wir in Amerika größer sein, aber dann müssten wir dauernd dorthin. Ich bin nicht gierig. Es gibt keinen Grund, sich zu beschweren.“ Archer stimmt zu: „Wir sind groß genug, auch in Amerika, wir haben den Madison Square Garden in einer Stunde ausverkauft. Wäre wir noch populärer, kämen all die Irren mit ihren Ohrstöpseln.“ Solch spießige an M arketingstrategien erinnern oder Karrierepläne, It’s about the tunes, man, it’s about the tunes.“
Insofern mag es sogar stimmen, wenn Noel Gallagher sagt, dass er die geschäftlichen Belange ganz in die Hände seines Managers legt. „Dig Out Tour Soul“ ist das erste Oasis-Album, das direkt über Big Brother veröffentlicht wird. ,they’re totally independent now‘ sagt Noel. Und warum? Er setzt ein einfältiges Gesicht auf. „Keine Ahnung! Ich müsste mal meinen Manager fragen. Er hat es mir erklärt, aber ich habe abgeschaltet. Er wird dafür bezahlt, er soll sich darum kümmern… Es geht nicht ums Geld, sondern um Kontrolle. Jetzt können wir-wenn ich das richtig verstanden haben – aussuchen, bei welchem Label wir vertrieben werden. Ich weiß gar nicht, welches das in Deutschland ist?“ Indigo. „Okay, whatever that means“ Er blickt noch ein bisschen länger ratlos drein. Ist ja auch wurscht.
Aber da wir schon bei geschäftlichem Kram sind: Warum müssen Journalisten neuerdings unterschreiben, dass sie nicht über Noels Privatleben schreiben und keine Familienbilder drucken? Das scheint etwas absurd, zumal Noel selbst ständig von seine Familie zurück: „Ich liebe Musik, schlicht und einfach. Für mich ist es das Schönste, wenn ich mich mit der akustischen Gitarren hinsetzen und stundenlang Sachen vom ,Winter Album‘ spielen kann. Meine Freundin Zuschauer braucht ja kein Mensch, zumindest Archer nicht. „Unsere richtigen Fans würden wir nie enttäuschen wollen, das ist unsere Welt. Das vermisse ich manchmal bei anderen Bands. Alle versuchen immer, jedem zu gefallen und die größte Band auf dem Planeten zu sein. Wir könnten auch so viel größer sein, das wäre so simpel. Aber darum geht es nicht. Wenn ich in 80 Jahren mal zurückblicke, dann will ich stolz sein. Dann will ich mich nicht seinen Kindern spricht. Er lacht. „Ist das so? Naja, ich schätze, ich kann über meine Familie reden, nur du darfst mich nicht dazu befragen — das ist der Deal. Eigentlich ist das ja auch ganz egal, ich rede gern über meine Familie. Meine Kinder sind wirklich cool. Sie sehen mich auch überhaupt nicht als Rockstar, sondern als Dad.“
Und als es später darum geht, warum er Oasis niemals aufgeben würde, kommt er noch einmal auf hasst das, weil ich dann nicht mit ihr rede.“
Wenn Noel Gallagher so freundlich von der Familie erzählt oder sich als arglosen Musiker ohne kaufmännisches Interesse darstellt, dann könnte man fast glauben, er hätte Kreide gefressen. Doch es gibt sie noch, die Tage, an denen er die Welt mit bitterbösem Spott überzieht. In einem BBC-Radio-Interview bezeichnete er die angeschlagene Amy Winehouse vor kurzem als „hilflosen Gaul“, die Kaiser Chiefs bedachte er mit den reizenden Worten: „Ich habe 18 Jahre lang Drogen genommen, 365 Tage am Stück, 18 Jahre lang, aber ich war nie so fertig, dass ich behauptet hätte: ,Wisst ihr was. ich denke, die Kaiser Chiefs sind brillant‘.“ Später behauptete er dann etwas lahm, betrunken gewesen zu sein. Er entschuldigte sich sogar, zumindest wegen der Sache mit Amy. Auch den Ärger mit Jay-Z, dessen Auftritt beim Glastonbury-Festival er als „falsch“ bezeichnetet hatte, weil zu einem Rock-Festival nun mal kein HipHop passe, möchte er möglichst schnell hinter sich lassen. Im „NME“ gab der alte Schelm zu Protokoll, nicht nur HipHop zu hassen, sondern auch Jazz, klassische Musik und Heavy Metal.
Nun sind Oasis 2008 eine „völlig andere Band“ als zu Beginn ihrer Karriere, das gibt Noel sofort zu. „Vor 15 Jahren bestand die Band aus lauter 2oplus-Jährigen, die sich seit der Schule kannten. Heute sind wir 40-Jährige mit Kindern – ganz andere Geschichte. Ich hoffe, der Spirit ist noch derselbe. Aber wer trauert nicht manchmal der Jugend hinterher? Jung zu sein und Single und auf dem Weg nach oben. Natürlich ist damals auch viel Scheiße passiert. Ich denke nicht oft zurück, aber wenn, dann mit großer Sympathie. Ich bedauere nichts… Nein, das stimmt nicht. Zwei Dinge bedaure ich: dass ich aufgehört habe, Benson Es? Hedges zu rauchen, und mit Marlboro Lights angefangen habe. Und dass wir nicht ein, zwei Jahre Pause nach ,Mornhig Glory‘ gemacht haben, damit etwas Gras drüber wachsen kann. Wir sind gleich wieder ins Studio gegangen, das war dumm.“
Heute würde ihnen solch ein Fehler wohl nicht mehr passieren. Andy Bell zumindest sieht Oasis im Jahre 2008 endlich da, wo er sie immer haben wollte – als richtige Band eben: „Wir haben uns schrittweise verändert, von Album zu Album. Inzwischen haben wir ein Selbstvertrauen, dass bei, Heat hen Chemistry noch nicht da war. Damals haben Gern und ich uns gerade bemüht, irgendwie reinzupassen, und Liam und Noel haben versucht, sich daran zu gewöhnen, dass wir da waren.“ Natürlich wird immer noch gern gestritten. Aber, so erklärt Archer es, es ist glücklicherweise eine andere Art von Streit: „It doesn’t rear its physical head as much as it used to do, but it’s certainly not just all moonlight and roses by any means. Alles ist einfacher, weil wir uns jetzt so gut kennen. Wir sind immer noch besessen von dieser Musik, das ist wie eine Art Tollwut, die man nie loswird. Lass es mich so erklären: Bei diesen Sessions war Liam schon da, bevor das Equipment ankam.“
Sie ist, bei aller Genügsamkeit in Sachen Ruhm, also noch da, die alte Leidenschaft. Und laut Andy Bell ist noch lange kein Ende von Oasis in Sicht: „Wir haben jetzt schon genug Songs für zwei, drei weitere Alben. Die Zukunft sieht also rosig aus. Paul Weller ist mit 50 besser denn je. Neil Young ist immer noch fit. Das sind die Maßstäbe. Da haben wir noch einiges vor uns. Und mit den Fortschritten, die die Medizin macht, können wir bestimmt noch ein paar Jahrzehnte durchhalten.“