Oasis: Der Schrecken ohne Ende
Oasis sind nicht mehr. Kein Blick zurück im Zorn, sondern ein heilsgewisser in die nicht allzu ferne Zukunft.
Die frenetische Menge im „City of Manchester“-Stadion hat allen Grund zu feiern. Wir schreiben den 15. Mai 2011, und die „Citizens“ stehen in der Abschlusstabelle der gerade abgelaufenen Premier-League-Saison erstmals seit Äonen vor United. Meister wurden zwar die „Reds“ aus Liverpool, doch das ist nebensächlich. Heute zählt nur der Triumph über die roten Teufel und, mehr noch, die unmittelbar bevorstehende Reunion einer Band, die wie keine vor ihr den Herzschlag dieser Stadt bestimmt hatte, und ohne die ganz Pop-Britannien in eine Art Schockstarre gefallen war. So ereignislos und langweilig wie seit dem Split von Oasis im Spätsommer 2009 war die britische Musikszene noch nie gewesen, nicht einmal während der Charts-Schreckensherrschaft von Stock, Aitken & Waterman.
Als Oasis seinerzeit im alten Man-City-Tempel an der Maine Road aufspielten, war die Stimmung ähnlich elektrisch geladen, und ein Gemeinschaftsgefühl ohnegleichen weitete die Herzen. Derselbe Stolz, der jetzt aus den Gesichtern spricht, auch wenn sie 15 Jahre älter sind, und die Gallaghers seither nicht weniger Anlass zum Haareraufen boten als die Windsors. Immerhin hatten sich die Brüder so lange gefetzt, bis der klügere schließlich die Faxen dicke hatte und der Band den Rücken kehrte. Das war vor knapp zwei Jahren, Ende August, backstage vor ihrem Auftritt beim „Rock en Seine“ Festival in Paris. Liam, so wurde kolportiert, war einmal mehr betrunken, Noel darob erbost. Üble Beleidigungen fanden ihr Ziel, Liam drehte durch, Fäuste flogen, eine Gitarre ging zu Bruch, Polizei musste einschreiten, medizinisches Personal wurde angefordert.
Anderntags gab der Gitarrist seinen Ausstieg mit eher resignativen als zornigen Worten bekannt. „With a sad face and a heavy heart“, so Noel, habe er die „Manchester rock’n’roll pop group Oasis“ verlassen. Er entschuldigte sich dafür bei den Fans und resümierte wehmütig, die Zeit in der Band sei „truly amazing“ und „a fuckin‘ pleasure“ gewesen. Was die Zukunft für ihn bereithalte, wisse er noch nicht, doch ließ er die Öffentlichkeit nicht im Unklaren über seine Prioritäten: „I have afamily and a football team to indulge.“ Liam flog in den Urlaub und drohte, Oasis ohne Noel weiter zu betreiben. Alles halb so schlimm, beschwichtigte Mutter Peggy, ihre Söhne hätten sich doch nach jedem Krach wieder vertragen. Their mother should know.
Paolo Hewitt, Biograf und langjähriger Vertrauter der Band, nahm die Nachricht mit Erleichterung auf. Besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende, argumentierte er. Im übrigen habe die musikalische Potenz der Band seit Mitte der Neunziger sukzessive nachgelassen: „Oasis became a formula.“ Alan McGee, der die Band einst entdeckt hatte, verwies in Manager-Manier auf die Möglichkeiten „zweier separater Karrieren“, die „sehr erfolgreich“ verlaufen könnten. Noel, so McGee, habe das Zeug zum „Neil Young for a generation“ – und Liam eigne sich für John Lennons Rolle.
Prophezeiungen, die nicht eintrafen. Noels Solo-LP kam bei der Kritik nicht schlecht weg, erzielte jedoch nur einen Achtungserfolg in den Charts. „I don’t fuckin‘ care“, äußerte sich der Singer-Songwriter dazu in einem 16seitigen „Mojo“-Interview, „been there, done that“. Unwirscher wurde Noels Ton, als er zu seiner Herbst-Tour mit Gast-Musikern wie Paul Weller, Ronnie Wood und Ringo Starr befragt wurde und dabei das hässliche Wort vom „Grandad-Rock“ fiel. „Those are top guys“, fauchte er, „and 1*11 kick your teeth in if you suggest otherwise.“
Liam, der es vermied, bei einer der Shows seines Bruders gesehen zu werden, schrieb derweil Songs, angeblich mehr als genug für ein Album. „Ace“ und „mind-boggling“ nennt er sie, gehört hat sie niemand, und auf eine Uraufführung hier und heute darf nicht gehofft werden, dazu war Noels Auskunft gestern bei der Pressekonferenz zu unzweideutig: „Over my dead body.“
Es ist soweit, „Fuckin‘ In The Bushes“ ertönt, aus 60 000 Kehlen dringt ein Schrei, der bis nach Liverpool trägt, und die Masse beginnt zu wogen. Auf den Screens erscheinen die Club-Maskottchen Moonchester und Moonbeam, Noel grinst, Liam watschelt zum Mikro und singt sein Credo, vom Bruder verfasst, als ob nichts geschehen wäre: „I need to be myself, I can’t be no one else…“