Oasis – der große bluff
Der neue NOEL GALLAGHER ist ein freundlicher Mensch, der das Leben liebt. Mit Bruder Liam versteht er sich gut, seine Band respektiert er. Ob die extreme Harmonie bloß Show ist oder der nötige Neuanfang für Oasis? Wer weiß das bei diesen Brüdern schon. Eins steht für Noel jedenfalls fest: Das Album „Heathen Chemistry“,das am l.Juli erscheint, ist fast so gut wie „Definitely Maybe“. Der Oasis-Kopf über Fehler der Vergangenheit und religiöse Gespräche mit Bono, Alkohol und Drogen, Iiams Launen und die verflixte Liebe. Auch Noel Gallagher steht mal im Stau. Aber der Oasis-Kopf hasst Unpünktlichkeit, und am meisten hasst er sie bei sich selbst. Also kommt er – eine Stunde zu spät – aufgeregt in das „Big Brother“-Büro gerannt, fragt, wie lange die Journalisten schon auf ihn gewartet haben und zischt den freundlichen Plattenfirmenmann an, der nur wissen will, wie es ihm geht: JDer Tag könnte gar nicht beschissener sein, danke!“ Nun der überraschende Teil dieser Erzählung: Gallagher lächelt plötzlich freundlich, fügt ein „It’s okay, now“ hinzu und entschuldigt sich für die Verspätung. Dann holt er sich einen Tee mit Milch, fällt aufs Sofa und sieht sich erst einmal in seinem Büro im Nordwesten Londons um. Ein paar Mitarbeiterinnen lümmeln an ihren Schreibtischen, eine hat die „NME“-Homepage auf dem Schirm, eine andere stapelt „The Hindu Times“-Singles. Alle scheinen beschäftigt, das Geschäft läuft. Zufrieden nickt Noel und beginnt die Unterhaltung mit einem zuvorkommenden „Everything okay?“. Dies, so soll einem wohl gleich suggeriert werden, sind die neuen Oasis. Die netten. Die einsichtigen. Okay, ein paar Tage zuvor war Bruder Liam wieder einmal in der „Met Bar“ abgestürzt, musste von Türsteher hinausgetragen werden und erwartet nun wohl ein Gerichtsverfahren. Außerdem hatte er kürzlich Hasstiraden gegen die Strokes losgelassen und seine Ex-Frau Patsy Kensit ein „Monster“ genannt Aber Noel ist fest entschlossen, nicht mehr dieselben Fehler zu machen. Der neue Noel ist ein Gentleman – „solange ich auch so behandelt werde“. Na dann. Im Grunde sollte die Harmonie ja schon vor zwei Jahren Einzug halten, und nach der Veröffentlichung von „Statiding Ort The Shoulder OfGiants“ Das fünfte Oasis-Album, „Heathen Chemistry“, klingt so unverkrampft, wie Noel sich neuerdings präsentiert. Die Band beschloss, selbst zu produzieren, was dem „Chief besonders gut gefiel, weil so „keiner drängelte oder nervte“. Manche Alben seien eben harte Arbeit, und die letzten beiden waren es weiß Gott Diesmal hingen die fünf einfach im Studio rum und „ganz nebenbei“ wurde dabei eine Platte fertig. Noel kann sich kaum halten, wenn er über Gitarrist Gern Archer und Bassist Andy Bell spricht, die nun seit fast drei Jahren Bonehead und Guigsy ersetzen: , ,Dass sie jetzt dabei sind, macht den allergrößten Unterschied. Wir respektieren uns in musikalischer Hinsicht, während früher™ Wie soll ich es sagen— Obwohl ich Guigsy und Bonehead als Menschen mag und sie meine Kumpels sind, ist es doch so: Sie konnten ihre Instrumente einfach nicht spielen. Und das ging mir am Ende schon gewaltig auf die Nerven.“ Zum ersten Mal in der zehnjährigen Geschichte von Oasis ist Noel nun nicht allein für das Songwriting verantwortlich. Während er früher versuchen musste, aus schlechten Ideen doch noch gute Songs zu machen, konnte er sich diesmal auf seine guten Einfalle konzentrieren – sechs davon blieben am Ende für Jieathen Chemistry“ übrig, drei Lieder lieferte Liam, eins Gern und von Andy überlebte nur ein Instrumental. „Für mich war es das beste Musikstück, das er hatte. Er war darüber vielleicht ein bisschen wütend, aber nicht wirklich. Er ist ziemlich cooL Die Songs haben sich am Schluss selbst ausgesucht. Es waren einfach die besten, da waren wir uns recht einig.“ Als Konkurrenz empfände er die Kollegen nicht, schnaubt Noel, im Gegenteil. „Das hat mir sehr viel Druck genommen. Trotzdem halte ich mich immer noch für den besten Songwriter Englands. Liam kommt in ein paar Jahren wahrscheinlich ran.“ Ob die anderen angesichts dieser Einschätzung nicht manchmal Angst haben, ihm ihre Songs vorzuspielen? „Vielleicht. Ich weiß nicht Ich hoffe nicht Insgeheim hoffe ich es allerdings doch.“ Eine Erleichterung: Es gibt ihn also noch, den vitriolischen Noel-Witz, komplett mit hochgezogener Augenbraue. Eine Minute später ist er wieder ganz der Vernünftige, der auf die Frage, ob er bei „Standing On The Shoulder OfGiants“ vielleicht zu viel gewollt und übertrieben habe, so heftig nickt, dass ihm fast der Kopf abfallt – ein kleiner Kopf übrigens, wie der ganze Noel dünn und drahtig erscheint Ja. Ja. Ganz klar. Vor einiger Zeit hätte ich dir für diese Kritik noch den Kopf abgerissen, aber es stimmt. Bei diesem Album geht es mehr ums Gefühl, beim letzten ing es mehr ums Denken. Und ich glaube, Oasis‘ Musik muss sich um Gefühle drehen, Gedankenspielen da keine so große Rolle. Hinter Oasis steht kein Konzept Wir sind nicht Radiohead, die sagen: Wir werden jetzt Techno-Rock-fucking-whatever machen.“ Er verdreht die Augen und zuckt verächtlich mit den Schultern:, Jch verstehe diese Band nicht Ich sage nicht, dass sie etwas falsch machen, aber ich spüre es einfach nicht Die Musik bringt mich nicht zum Lachen, sie bringt mich nicht zum Weinen, sie macht gar nichts. Für mich ist sie jeglichen Gefühls beraubt, und es gibt keine Verbindung zwischen der Band und den Fans. Sie stellen sich als sehr, sehr intelligente und clevere Musiker dar – so schlau, wie du da unten als Zuschauer es niemals sein könntest, so sehr du es dir wünscht Ist doch wahr! Sie sind so abgehoben, während es bei Oasis eher heißt: Du könntest machen, was ich auch kann.“ Allerdings mussten Oasis erst wieder lernen, was sie am besten konnten. Es war ein weiter Weg zurück zu den einfachen Melodien, die „Definitely Maybe“ und „Morning Glory“ so liebenswert machten. Keine Experimente wie „Fuckin‘ In The Bushes“ mehr, auch kein verquastes „ße Here Now“, sondern Lieder mit simplen Botschaften – das ging doch früher auch, bei „Live Forever“, bei „Roll With It“, bei all den Songs, die man nie mehr vergessen wird. Gallagher spricht vom Oasis-Debüt, als sei es Jahrzehnte alt voller Ehrfurcht fast. Daran wollte er anschließen – wieder nur dem Instinkt folgen, den Kopf ausschalten. Wer hätte gedacht dass das für Oasis mal zum Problem wird! „Wäre das letzte Album ein Riesenerfolg gewesen, wäre diese Umkehr wohl schwer gewesen. Aber es war keiner, also war klar, dass wir etwas falsch machen. Als wir anfingen, für dieses Album zu schreiben, ließen wir es einfach laufen. Mal schauen, was passiert Es ist keine clevere Musik. Ich würde dich auch nie anlügen und sagen, dass ich ein erstaunlicher Musiker und Lyriker bin. Ich bin sehr beschränkt in dem, was ich tun kann, aber das, was ich kann, mache ich so gut wie irgendwie möglich.“ Was Noel heute aufjeden Fall besser kann, ist singen – zumindest bei „Force Of Nature“ klingt seine Stimme stärker als bisher. „Um ehrlich zu sein: Wenn ich auf einem Album singe, gefällt mir meine Stimme, aber live hasse ich sie. Nicht zu ertragen. Es ist so leicht, im Studio zu singen – unterm Kopfhörer, vorm Mikro und mit freien Händen. Aber auf der Bühne – vor dir Tausende von Leuten, die durchdrehen, mit der Gitarre in der Hand, die du irgendwie bedienen muss – ist es schwer. Im Studio werde ich immer besser. Aber ich übernehme ja sowieso nur bestimmte Lieder, die Liam nicht singen kann. Er hat ,Force Of Nature‘ versucht aber es ging gar nicht Bei mir lief s. Wenn ich dagegen ,The Hindu Times‘ singen müsste, klänge das sicher schrecklieh.“ Das heißt, Ihr versucht es immer zuerst mit Liam? „Immer. Nur wenn es mit ihm nicht geht, komme ich dran. That’s it“ Apropos „The Hindu Times‘: Erst eine Single, die -obwohl wenig spirituell – solch einen Titel hat, nun noch ein Album namens „Heathen Chemistry“… Ich bin besessen von Religion. Ich bin gar nicht religiös, aber ich bin besessen von Menschen, die es sind – weil ich es so absurd finde, so lächerlich. Ich finde, es ist einer der größten Witze, der der Menschheit je erzählt wurde. Die Existenz der organisierten Religion ist eine Farce. Unterbewusst habe ich deshalb oft über Religion geschrieben – eben weil ich es nicht kapiere. Ich halte das alles für Müll. Vielleicht solltest Du mal mit Bono sprechen. Das habe ich schon getan! Ich hatte schon mehrere Gespräche mit Bono über Religion und die Existenz Gottes. Eines Nachts, wir tranken gerade zusammen, fragte ich ihn, ob er mir erklären könne, was er als Person- nicht als Bono, einfach ab Mensch – an Religion findet. Wie er die Existenz Gottes erkannt hat und was sie ihm gibt. Because Ijust don’t get it. Ich sehe diese wunderschönen Kirchen und höre mir die herrlichen Lieder an und lese die profunden religiösen Worte – und es bedeutet mir gar nichts. Absolutelyzero. Also wollte ich, dass er mir erklärt, was er dabei empfindet. Wir redeten und redeten – aber am Ende ist es doch immer wieder das Gleiche: Entweder man glaubt daran oder eben nicht. Und ich beneide die Leute, die Frieden und Hoffnung in ihrer Religion finden. Ich wünschte, ich könnte das. Wenn ich sage, dass ich es albern finde, meine ich auch nicht, dass alle aufhören sollten, an Gott zu glauben – es funktioniert nur für mich überhaupt nicht. Es ist wie mit der Musik: Entweder man versteht sie oder nicht. Manche Menschen verstehen Radiohead. Ich höre mir das an und denke bloß, na und? Nach „The Bends“ habe ich die Band aufgegeben. In letzter Zeit hast Du oft betont, dass Du jetzt ein ruhigeres Leben führst. Wie wirkt sich denn der neue Lebenswandel auf die Musik aus? Man kann gar nicht verhindern, dass sich das Leben auf die Musik auswirkt. Ob man will oder nicht Unsere ersten beiden Platten klingen sehr nach dem Leben, das ich damals lebte: sehr hedonistisch, sehr nach Feiern. JieHereNow“ ist dagegen das verwirrendste Album, das ich je gehört habe. Ich war an einem Punkt in meinem Leben, an dem ich gar nicht wusste, wohin. Ich hatte keinen Plan, kein Ziel. Ich wusste gar nicht, was ich tue. Ich habe zuviel getrunken und zu viele Drogen genommen. Ich hatte zuviel Spaß, um der Musik genug Zeit zu widmen. Logischerweise litt mein Songwriting darunter. „Standing On The Shoulder Of Giants“war dann sehr nachdenklich, weil ich zurückschaute auf die letzten fünf, sechs Jahre und mich ernsthaft fragte: „Where Did It All Go Wrong?“. Deshalb auch der Song. Dieses Album ist eher ein Bück in die Zukunft. Ich bin 35, und das Leben ist ziemlich gut Ich fühle mich recht wohl da, wo ich zurzeit bin. Ich bin ziemlich glücklich. Bedeutet das auch, dass Du Dich besser mit Liam verstehst? Yeah, yeah. Es war ziemlich gut in letzter Zeit. Liam ist ein sehr schwieriger Mensch, wenn man mit ihm zusammenarbeiten muss. Es ist auch sehr schwer, mit ihm verwandt zu sein. Aber ich denke, je älter er wird, desto nachdenklicher wird er – und desto leichter wird es für mich, mit ihm klarzukommen. Heute, da wir gerade hier sitzen, denke ich jedenfalls gerne an ihn. Ich freue mich sogar darauf, ihn zu sehen. Er bringt mich oft zum Lachen. Because he’ssuch afuckingfooL Haben Euch die Kinder verändert? Das ist eine schwierige Frage, so ein Catch-22-Ding. Kinder verändern natürlich dein Leben, aber andererseits sollten sie das nicht Man sollte nicht aufhören, das zu machen, was man liebt, sondern die Kinder einfach mit einbeziehen. Manche Leute interessieren sich dann ja für gar nichts mehr und widmen ihr komplettes restliches Leben der Kindererziehung. That’sfucking bullshit. Ich bin nicht der tollste Vater der Welt Ich behaupte nicht, Super-Dad zu sein, das wäre vermessen. Ich bin in all meinen Fähigkeiten eingeschränkt, aber ich tue verdammt noch mal mein Bestes. Wenn das nicht genug ist, muss man manchmal einfach sagen: Okay, dann ist es eben so. Ich bemühe mich, aber mehr geht nicht Ich bin jedenfalls immer ehrlich. Immer. Ich erzähle Anais keinen Scheiß. Siehst Du sie oft? Dauernd, klar! Zwei Tage die Woche ist sie bei mir. In der einen Woche an zwei Werktagen, in der nächsten dann am Wochenende. Aber so genau wolltest Du es vielleicht gar nicht wissen… Wir haben jedenfalls eine gute Beziehung. An den Gerüchten, dass Du nach Irland ziehen willst, ist also nichts dran? Nein. Anais lebt in London, und ich will sie aufwachsen sehen. Also bleibe ich hier und tue mein Bestes. Im neuen Song „Little By Little“ heißt es: „True perfection has to be imper»ect“. Das ist so wahr! Was keinen Makel hat – ob Kunstwerk, Möbelstück, Gebäude, was auch immer -, ist nicht perfekt – weil es von Maschinen gemacht sein muss. Was von Menschen hergestellt wurde, ist nie perfekt – und genau deshalb interessant. Perfektion ist langweilig. Wer will schon der ultimative Gitarrist sein, die ultimative Band? Es muss immer etwas geben, das man später noch verbessern kann. Was ist sonst der Sinn des Lebens? Aber lässt man sich nicht leicht zu endlosen Verbesserungen im Studio hinreißen, wenn man genug Geld hat, um sich Monate dort zu vergraben? Ich weiß meist ganz genau, wann der Song richtig ist Man muss Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten haben, man muss Vertrauen in die potenziellen Hörer haben. Und am Ende des Tages muss man einfach die Stop-Taste drücken können. Ich kann das, ich arbeite nie so lange an Songs, bis sie völlig steril sind. Das ist so verdammt öde. Heutzutage machen das viel zu viele Musiker. Ich mag überhaupt nicht so viel über Musik nachdenken. Es geht doch nur darum, was es dich hier fühlen lässt Noel schlägt sich aufs Herz – mit einer Inbrunst, dass man den blauen Fleck fast sehen kann. Dann fangt er tatsächlich an, andere Bands zu loben keine Spur mehr von dem Mann, der seine Band immer für die beste der Welt hielt, ohne Einschränkung. „Dies ist seit 1995 die tollste Zeit, um in einer Gitarrenband zu sei. Es gibt so viele großartige Bands. Black Rebel Motorcyde Qub sind mit Abstand das Beste, was ich seit langer, langer, langer Zeit gehört habe. The Strokes sind sehr gut, The Soundtrack Of Our Lives und The Hives aus Schweden auch. Für Konzerte dieser vier Bands würde ich jederzeit Eintritt bezahlen.“ Bei den Strokes ging Noels Begeisterung anfangs sogar so weit, dass er sie für sein JBig Brother“-Label verpflichten wollte. Allerdings war er leider zu langsam -bisersichzu einem Angebot durchringen konnte, waren längst die großen Firmen dran. Und „Big Brother“, behauptet Noel, habe ja gar kein Geld. Naja, sein eigenes natürlich, aber allzuviel will er da auch nicht zubuttern – oder unnötige Energie im Büro verpulvern. „Ich habe momentan nur eine Band auf dem Label, Proud Mary. Ich zahle gerne das Studio und helfe beim Produzieren, aber ich will nicht zu viel Zeit dafür aufwenden. Ich zahle die Rechnungen, aber ich werde nicht im Büro ans Telefon gehen. Dafür stelle ich lieber einen ein. Bei Oasis zu sein, ist anstrengend genug. Fuck yeah.“ Kommst Du Dir im direkten Vergleich zu den neuen Rockbands manchmal schon alt vor? Sicher. Die Strokes sind alle Anfang 20. Ich bin 35. Alles, was ein 21-Jähriger Sie haben nie schlechte Platten gemacht, weil sie eben nur eine gemacht haben. Perfekt! Wie wichtig sind dir denn heute noch Verkaufszahlen? zu sagen hat, ist sehr viel interessanter als das, was ein 35-Jähriger zu sagen hat – zumindest musikalisch! Ich kann keine Songs mehr schreiben, wie es die Strokes tun. Ich bin zu alt dafür. Das ist wahr! Die aufregendste Rock’n’Roll-Band aller Zeit, die Rolling Stones, werden nie mehr die Rolling Stones sein, die wir haben woilen, weil sie verdammt noch mal 56 oder so sind. Oder noch älter. Die Sex Pistols waren dagegen eindeutig die perfekteste Rock-Band aller Zeiten. Ein Album, and then they didn’t go shit. Ich fände es großartig, wenn „Heathen Chemistry“ zehn Millionen mal verkauft werden würde. Oder 20. Jeder sollte es lieben. Aber gleichzeitig ist es mir egal, wenn es im Regal lieben bleibt. Ich liebe es trotzdem, und ich weiß, dass ich mein Bestes gegeben habe. Wenn die Leute das nicht verstehen, ihr Pech. Meine Zeit, meine Leidenschaft, mein Enthusiasmus – das steckt trotzdem drin, und darum werde ich das Album immer mögen, so oder so. Bei „Standing On The Shoulder Of Giants“ sehe ich heute die Fehler, aber ich sehe auch, wie viel ich reingesteckt habe, und darum liegt mir das Album immer noch am Herzen. Natürlich war es deprimierend, dass so wenig davon verkauft wurde. Aber man darf sich davon nicht runterziehen lassen. Man muss einfach weitermachen, man muss neue Platten machen. Oasis werden aufjeden Fall noch ein Album machen. Was dann kommt, wissen wir nicht. Denkst Du schon an die Zeit danach? Nein, lieber nicht. Immer, wenn wir längerfristig planen, steigen Leute aus der Band aus oder irgendwas Seltsames passiert. Vielleicht sagt Andy nächstes Jahr, dass er keine Lust mehr hat Nach der nächsten Platte sehen wir erst mal, ob wir einen neuen Vertrag aushandeln oder vielleicht doch unser eigenes Label starten oder was auch immer. Ich habe keinen Plan. Freust Du Dich schon auf die nächste Tournee oder graut Dir? Tourneen sind immer so: Die erste Woche ist fantastisch, die zweite auch. Danach schaut man auf die Uhr und fragt sich, wann man nach Hause fahren darf. Am Ende macht es dann wieder Spaß. In der Mitte ist es einfach ein Job, aber ich habe so viel Spaß daran, wie Liam es uns erlaubt Es hängt von ihm ab. Wirklich. Liam can make it very fucking difßcult or he can make it very easy. Es gibt gute und schlechte Tage. Manchmal steht man auf, er hat gute Laune, wir liefern eine großartige Show ab und trinken danach einen. Und am nächsten Tag hat er miese Laune, die Show ist scheiße, das Wetter düster und jeder will bloß nach Hause. Wird es diesmal leichter werden? Das Leben ist mal scheiße, mal gut. Wir sind nicht Travis, wir lächeln nicht die ganze Zeit Wir nehmen unsere Musik sehr ernst, aber wir haben noch ein Leben nebenbei, und das ist nicht immer einfach. Aber es ist immer aufregend, es ist garantiert nie langweilig. Momentan geht es Noel Gallagher allerdings fast permanent gut, und deshalb hat er noch eine Überraschung parat: das ultimative Liebeslied! Es heißt ganz schlicht „She Is Love“, ist natürlich Sara MacDonald gewidmet und weist Noel als Riesen-Romantiker aus dagegen war „Wonderwall“ fast zynisch. Der Songschreiber lacht angesichts dieser Bemerkung und gibt zu, dass der Text recht kitschig geraten sei und gar nicht klingt, als käme er von einem abgeklärten 35-Jährigen („She is love, and her ways are high and steep/ She is love and I believe her when she speaks“). Seine Erklärung ist allerdings putzig: „Ich bin ja Sternzeichen Zwilling, und ich habe einen irischen Background, und ich bin workingclass. Ich werde niemals zynisch werden, was mein Leben betrifft. Ich bin ein rechter Glückspilz. Ich habe ein Talent mitbekommen, von wem auch immer. Ich habe auch hart gearbeitet dafür. Grundsätzlich bin ich gern glücklich. Wenn es mir schlecht geht, schreibe ich keine Songs. Das ist sinnlos. Ich sollte eigendich zynischer sein, aber ich bin’s einfach nicht. Ich liebe es, am Leben zu sein. Die Pros überwiegen immer die Cons. Ich rede auch lieber über die guten Seiten- in dieser Band zu sein, in England zu leben, Kinder zu haben, 35 zu sein und verliebt Zynismus und Apathie sind die schlimmsten Wesensarten. Den ganzen Tag im Zimmer zu sitzen und zu jammern und nichts zu tun, ist verdammte Scheiße. Ybumightasn’ellfuckingcommitsuiade.“ Einen Song über das Thema hat er schon geschrieben: die nächste Single, „Stop Crying feur Heart Out“. Von Liam gewohnt lässig gesungen, fordert der wieder mal unkomplizierte Text dazu auf, sich nicht unterkriegen zu lassen. Um seine These, dass es immer wieder bergauf geht, wenn man sich nur bemüht, zu untermauern, zitiert Noel sogar Barclayjames Harvest: yj^ije isfor Bring. Welche Probleme du auch hast, das ist Schnee von gestern. Heute beginnt etwas Neues. Eine Zeile in dem Song heißt:, We’re all stars and we’re all fading away‘. Wenn man die Sterne am Himmel anschaut, dann sind die ja schon längst verglüht. Das ist vielleicht ein Klischee, aber es stimmt doch: Man muss das Leben genießen, solange man es hat. Man könnte morgen schon tot sein – vielleicht kriege ich Krebs, vielleicht kriegst du Krebs. Ich will jedenfalls nicht im Krankenhausbett liegen, noch drei Wichen zu leben haben und mir denken: Mensch, hätte ich doch mehr Freude am Leben gehabt. Ich werde heute Spaß an diesem Interview haben, ich werde Spaß am Proben haben und dann werde ich mit meiner Freundin essen gehen und das genießen. Egal, was passiert. Vorhin stand ich im Stau, na und? Fuck it. Und jetzt könnte ich dir den Tag verderben, wenn ich wollte, aber warum sollte ich?“ Da ist es wieder, das maliziöse Grinsen, das sagt: Jetzt bin ich ganz nett, aber in ein paar Minuten könnte ich wieder ein Arschloch sein. Also genieße es, solange du noch kannst! Bereust Du irgendetwas? Hast Du das Gefühl, in der Vergangenheit mal Zeit verschwendet zu haben? Ich bereue nichts. Und zwar deshalb nicht, weil ich jetzt auf der anderen Seite bin. Ich habe das Negative hinter mir. Was schlimm war, hat meine jetzige Arbeit nicht beeinträchtigt und meinen Blick aufs Leben nicht verändert Wenn ich jetzt hiersäße und keine Ideen mehr hätte und zynisch wäre und ungern an die Vergangenheit dächte, dann hätte ich shitloads ofregrets. Ich würde mich wohl quälen bei der forstellung, wie viel Zeit ich verschwendet habe, wie viele Drogen konsumiert und Alkohol gekippt und blablabla. Aber da ich jetzt zufrieden bin und Musik schreibe, die ich immer noch interessant finde, geht es mir gut Ich stehe morgens gern auf, ich gehe einkaufen und hole Frühstück und die Zeitung. Das ist Leben für mich. I’m good at bring a human being. I enjoy being a human bring. Es gibt gar nichts, was ich bereue. Weil es mir letztendlich nicht geschadet hat. Hast Du immer die Kontrolle gehabt? Bei allen Drogen und Alkohol schienst Du doch nie so durchgedreht zu sein wie etwa Liam… Man hat mir ja oft vorgeworfen, dass ich nie die Kontrolle verliere. Das nervt viele Leute, weil ich nie zu weit gehe und immer noch weiß, was ich tue. Ich behalte den Ball immer im Blick. Ich trinke gern, aber ich nehme nicht mehr so viele Drogen. Ich habe gern Spaß, aber am Ende des Tages ist das nicht entscheidend. Man kann immer trinken und Drogen nehmen und bis sechs Uhr morgens ausgehen, aber vielleicht kann ich nicht ewig Songs schreiben. Also klemme ich mich lieber dahintet Es geht ja auch um die Erinnerungen, die ich haben werde, wenn ich älter bin. Jeder Idiot kann jeden Tag Riesenlinien Kokain nehmen und eine Flasche Whiskey trinken, man braucht nur genug Geld. Aber einen vernünftigen Song schreiben, der den Menschen etwas bedeutet, das kann nicht jeder. Parties sind großartig, aber am nächsten Tag hat man immer einen Kater. Man sieht scheiße aus und fühlt sich so. Oft sind die Drogen ja gar nicht das Problem, sondern die Massen, die man zwangsläufig säuft, während man die Drogen nimmt Das bringt dich um. Und ich habe noch zu viel vor. Hast du Angst, dass Dir irgendwann nichts mehr einfällt? Immer. Seit ich Platten mache, gehe ich immer so vor: Sobald ein Album fertig ist, sobald es gemixt ist, setze ich mich hin und schreibe neue Songs. Bloß, um mir zu beweisen, dass ich etwas habe, mit dem ich in Zukunft arbeiten kann. Sobald „Heathen Chetnistry“ fertig war, bin ich sofort wieder ins Studio gegangen. Die anderen fragten, was zur Hölle los ist mit mir. Aber ich brauche das. Ich habe ein paar Stücke geschrieben, damit ich was zu tun habe, wenn ich die nächsten Monate auf Tournee bin. Dann muss ich nicht nur rumsitzen und trinken. Wenn ich die Party verlassen und ins Hotel zurückgehen will, dann kann ich mein Notebook nehmen und schreiben. Ich arbeite also immer auf etwas hin – seit zehn Jahren, seit ich bei Oasis bin. Es ist wahrscheinlich eine Sache der Unsicherheit. Ich will nie mit leeren Händen dastehen. Ich muss immer etwas tun. Oft sind die Songs, die ich direkt nach den Aufnahmen schreibe, sogar besser als die, die auf dem Album sind. Das ist allerdings keine gute Werbung für ,Jieatheti Chemistry“. fergiss es. Ji