Oasis: Darum zählen Noel und Liam Gallagher zu den ganz großen Paaren des Rock

„Don't look back in anger“: Das gilt nun auch für die Oasis-Brüder. Aber wie kam es einst zum Split?

Ein Klassiker aus dem RS-Archiv, Oktober 2014: Hassliebe – 100 Power-Paare des Rock

Es war eine der üblichen Raufereien zwischen den Brüdern Gallagher, die das Monument Oasis nicht wie so oft schon zum Wanken, sondern final zu Fall brachte. Nichts Besonderes, ein paar gehässige Schmähungen fanden ihr Ziel, ein paar Fäuste wohl auch, dann zerschlug Liam Noels Lieblingsgitarre, worauf der große Bruder mal eben die ganze Band zerschlug, indem er sie schlicht verließ. Im Jahr 2009 passierte das, backstage in Paris, nur wenige Minuten vor dem Auftritt. „With some sadness and great relief“, verlautbarte Noel auf der Band-Website nur zwei Stunden danach, „I quit Oasis.“

Ein abgekartertes PR-Manöver, mutmaßte man in den Medien. Es dauerte, bis auch dem letzten Zyniker dämmerte, dass hier keine Charade gespielt wurde und diese ertragsreiche Geldmaschine sich allen Ernstes selbst abgeschaltet hatte.

Fortan ging es um Schuldzuweisungen. Noel erklärte den Eklat plausibel mit dem letzten Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hätte. Jeder Geduldsvorrat sei irgendwann aufgebraucht, sprach er im Brustton der Überzeugung, und er habe sich über die Jahre nun wahrlich ungeheuer geduldig gezeigt mit dem – hier variierte er von einem Interview zum anderen – fucking knobhead / brainless bastard / useless cunt.

Liams sprachliche Bewältigung der Bandauflösung war weniger zimperlich, er lief zu großer, nicht zitierfähiger Form auf. Aus seinem Blickwinkel war Noel ein Verräter an der Sache, der nur auf eine Gelegenheit gewartet habe, sich aus dem Staub zu machen. Er, Liam, lasse sich nicht die Schuld für den Split in die Schuhe schieben, das Gezänk in Paris sei eher harmlos gewesen, keineswegs schlimmer als zahllose andere brüderliche Balgereien zuvor. Sibling rivalry, you know.

Die Spaltung verlief auch quer durchs Fan-Lager, T-Shirts mit „Team Liam“ oder „Team Noel“ fanden nicht nur in Manchester stolze Träger. Deren Zahl freilich rapide abnahm, als sich die nachtragenden Brüder mit neuer Musik zurückmeldeten und darüber zur Abstimmung an der Kasse baten. Liam trat mit der Rumpf-Combo Beady Eye an, das rechtmäßige Erbe von Oasis reklamierend. Noel folgte eher solistisch motiviert, auch wenn seine Platten jetzt unter dem Moniker Noel Gallagher’s High Flying Birds firmierten. Enttäuschend waren beide Versuche, an Glanz und Gloria früher Oasis-Meisterwerke anzuknüpfen.

Wie einst die idealisierten Vorbilder entpuppten sich Oasis post festum als weitaus potenter als die Summe der beteiligten Talente

Immerhin traten Beady Eye mit Stil und Aplomb an, sogar ein paar ihrer Songs konnten sich hören lassen, indes sich Noels Vögel nicht gerade in schwindelnde Höhen aufschwangen. Zu safe und saturiert klang sein Rock, erzielte allerdings einen Achtungserfolg in den Charts. Künstlerisch war die Bilanz ernüchternd. Keine Überraschung freilich, denn beiden Anstrengungen fehlten wesentliche Komponenten der originalen Oasis-Mixtur: Noels Songs blieben ohne die charismatische Stimme des kleinen Bruders recht fad, Liams aufrechtem Rock’n’Roll mangelte es an Ideen und zündenden Melodien.

Wie einst die idealisierten Vorbilder entpuppten sich Oasis post festum als weitaus potenter als die Summe der beteiligten Talente. Weder John Lennon noch Paul McCartney erreichten solo jemals die Klasse von Lennon/McCartney, Mick Jagger und Keith Richards nicht die der Glimmer Twins. Das ist nicht schwer zu verstehen. Kongeniale Partner komplementieren einander, können Schwächen ausgleichen, sich am Alter Ego reiben, den Komplizen inspirieren. Trotz aller innerfamiliären Hassliebe, die im täglichen Selbstbehauptungskampf auf Manchesters Straßen noch verschärft wurde, wussten die Gallaghers ihre emotionale Militanz für sich nutzbar zu machen. „Don’t take no shit from anybody!“ war solidarischer Imperativ, man schlug und vertrug sich honorig. After all, a working class hero is something to be.

Arroganz und Hybris, Streitlust und Realitätsverlust, das waren neben bestechendem musikalischen Gespür die Bausteine sowohl für den durchschlagenden Erfolg wie für die plötzliche Hinrichtung von Oasis. Die Gallaghers können nicht aus ihrer Haut, sind keine vernunftbegabten Wesen wie etwa R.E.M., die ihren Bandbetrieb so regelten wie schlussendlich die Demontage: rational. Es gab bei Oasis keinen Masterplan, nur den mit der Muttermilch aufgesogenen Selbsterhaltungstrieb und den unbedingten Willen, es denen zu zeigen, die immer schon von allem mehr hatten.
Wer wollte Liam die Feldherrenpose beim Triumph im Stadion an der Maine Road verdenken, wer Noel dessen Giftpfeile in Richtung der Konkurrenten?

Man sieht Liam und Noel wieder öfter gemeinsam, meist im Etihad Stadium, das sie nicht von ungefähr Eastlands nennen, beim Anfeuern von ManCity. Eine baldige Reunion scheint unvermeidbar, denn ein Leidensdruck lastet den Gallaghers auf der Seele. Wer einmal von ganz unten kommend in der Champions League gespielt hat und dann jahrelang im Tabellenmittelfeld der Premier League herumkrebst, der möchte zurück in die Königsklasse. Es bräuchte dazu nicht viel, bloß Sprünge über eigene Schatten, eigenem Ratschlag folgend: Don’t look back in anger.

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