Nur Flachbauten, keine Leuchttürme
Wenn früher ein Lehrer auf dem Schulhof ausrutschte und in der nächstliegenden Matschpfütze landete, dann war das ein Ereignis, von dem man noch wochenlang mit glühenden Wangen berichtete. Wenn eine bedeutende Band in die Stadt kam, dann war auch das ein Ereignis, das einen gehörigen Teil juvenilen Schwärmvorrats für sich beanspruchte. Ereignisse waren damals eben, „wenn etwas wirklich Weltbewegendes passierte.
Heute reicht es zum Ereignis schon, wenn man ein paar Teelichter anzündet, Tapeziertische im Dreieck aufstellt und laut Party ruft. Allerdings heißt das Ereignis dann nicht mehr Ereignis, sondern „Event“. Den meisten Events ist eigen, daß sie ziemlich ereignislos verlaufen, daß sie lediglich eventuell mal einen winzigen bemerkenswerten Moment bieten, daß sie letztlich leben vom Label Event, daß ihre Banalität adeln sollen.
Insofern war es kein Wunder, daß auch die Zeitfressermaschine Fernsehen das Markenzeichen Event für sich entdeckte und beinahe jede Sendung, die nicht in Serie produziert wurde, zum Event erkor. Das fiel auf, weil in der seichten Soße, die den Zuschauer da täglich umspült, fast alles auffällt, was auch nur einen Millimeter über die Oberfläche des televisionären Feuchtbiotops herausragt. Gerne nennen die Fernsehmenschen ihre Events deshalb auch Leuchtturmprojekte, wohl wissend, daß sie massiven Etikettenschwindel betreiben, wenn sie Flachbauten im Watt als herausragend markieren.
Einer dieser extrem flachen Flachbauten war „Die Luftbrükcke“, ein Zweiteiler, den Sat.1 massiv als Event plakatierte. Bei Sat.1 ist es eben schon ein Event, wenn der Gesichtshinhalter Heino Ferch einen ganzen Film lang mit gleichem Gesichtsausdruck in die Kamera schaut, ab und an eine Sonnenbrille aufsetzt, um noch ein bißchen mehr wie Bruce Willis zu wirken, und nebenbei eine Geschichte erzählt wird vom Schmerz, den die Liebe ins Herz zu platzieren in der Lage ist.
Im Hintergrund spielt sich derweil Historisches ab, das allerdings brutal zur Kulisse degradiert wird. In diesem Fall ¿war es die Luftbrücke, die Berlin während der sowjetischen Blockade eine Lebensader war. Das Ergebnis war so mittelprächtig belanglos, wie es sich liest. Man erfuhr von allem was, aber von nichts mehr.
Trotzdem jubelten die Macher der Produktionsfirma teamWorx nachher über rund acht Millionen Zuschauer, von denen erstaunlich viele unter 50 Jahre datierten. Der teamWorx-Chef Nico Hofmann konstatierte gar ein nicht nur keimendes Bedürfnis nach Historie. „Hier stabilisiert sich ein Trend“, sagte er: „Die Jugend schaut Geschichte neugierig und mit wachsendem Bedürfnis.“
Er muß das so sagen, denn seine Firma ist sozusagen der Monopolist unter den Eventmachern. Von teamWorx drohen nämlich schon die nächsten Event-Knaller. So steht bei RTL demnächst die romantisierte Aufarbeitung der Hamburger Sturmflut vom Februar 1962 auf dem Programmzettel, während das ZDF mit der Bombennacht von Dresden lockt.
Auch die ARD hat für die warme Jahreszeit etwas im Programm. Sie thematisiert mit „Kalter Sommer“ wieder einmal den Mauerbau von 1961, und natürlich hält dabei erneut Heino Ferch sein nichtssagendes Gesicht in die Kamera, ‚wie er das schon vor fünf Jahren Zeit für den gleichfalls mit den Folgen des Mauerbaus befaßten Zweiteiler „Der Tunnel“ getan hat. Selbstredend sind all das team-Worx-Produktionen, die sich vor allem durch hohen materiellen Aufwand auszeichnen.
Man spart eben nicht an der Ausstattung, wenn man Event werden will. Vernachlässigt wird aber regelmäßig das Buch, wie das Beispiel der „Luftbrücke“ traurig belegte. Kaum jemals wurde da die Not der Berliner Bevölkerung wirklich glaubhaft belegt, dafür mußte sich der Zuschauer zwei Teile lang durch die emotionalen Nöte der Heino Ferch umgebenden Menschen quälen. Natürlich eine Dreiecksgeschichte, in der Ferch um die von Bettina Zimmermann gespielte Kriegerwitwe buhlt, deren tot geglaubter Gatte plötzlich doch noch heimkehrt.
Daß sich an diesem Konzept nicht allzu viel ändern wird, dafür gibt es schon Indizien. Man muß dazu nicht einmal anführen, daß der Regisseur von „Die Sturmflut“ vorher für RTL den „Haialarm auf Mallorca“ in Szene gesetzt hat. Der Mann heißt Jorgo Papavassiliou und nimmt vorsichtshalber schon mal alle Schuld auf sich. „Wenn ich mit diesen Schauspielern baden gehe, dann liegt es an mir“, sagt er und verweist auf die üblichen Verdächtigen, von Benno Fürmann über Nadja Uhl bis Jan Josef Liefers. Natürlich geht es im Film weniger darum, was der damalige Innensenator Helmut Schmidt aus der Katastrophe machte, vielmehr zählt für den Film, wie die Dreiecksgeschichte zwischen Fürmann, Uhl und Liefers ausgeht. Der eine kehrt nämlich zu seiner Jugendliebe zurück, die der andere gerade heiraten will, als das große Wasser dazwischenkommt.
Eine Dreiecksgeschichte gehört nun mal unverrückbar zum Eventfernsehen, weshalb rein zufällig auch in „Dresden“ die Liebe im Dreieck springt. Da spielt nämlich Felicitas Woll eine junge sächsische Krankenschwester, die einen dollen Chirurgen heiraten soll, sich aber dummerweise in einen abgestürzten britischen Bomberpiloten verliebt. Der taucht ausgerechnet bei der auf den 13. Februar angesetzten Verlobungsfeier auf, in jener Nacht also, in der Dresden in den verheerenden Feuersturm geriet. Einen Vorteil hat der Zweiteiler „Dresden“ allerdings. Er kommt ohne Heino Ferch aus, muß dafür aber Heiner Lauterbach ertragen.
Es sind noch längst nicht alle Events aufgezählt, die 2006 auf den Zuschauer als große Emotionssoße einströmen. Für Pro Sieben hat teamWorx noch „Tornado“ im Angebot, und die ARD plant die fernsehspieltechnische Aufarbeitung des Contergan-Skandals.
So viel Event war noch nie, aber auch so wenig wirkliches Ereignis. Wenn Geschichte am laufenden Band zur Kulisse degradiert wird, dann wünscht man sich nicht selten den Lehrer zurück, der echt im Matsch landet, einfach so, frei von jeder Dreieckslovestory und ohne einen Anflug von Groschenromanromantik.