Nun mach’s gut, Inge Pawelczik, du Wilde!
Dann kam Genosse Honmann zum sensibelsten Punkt: dem Pankow-Konzert. Was denn Rockmusik auf einem Kirchentag zu suchen habe? Ob die Kirche die Sicherheit gewährleisten könne? Provokationen hätten unabsehbare Folgen, für das gedeihliche Miteinander von Kirche und Staat wie für die Jubiläums-Feierlichkeiten der 750jährigen Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik. Die Westmedien warteten bekanntlich nur darauf, daß-.
Herr Stadtrat des Inneren, sprach ich (damals, im Frühjahr 1987, Pressemensch für den Ostberliner Kirchentag). Die Formation Pankow gehört zu den profiliertesten Rockmusikkollektiven unserer Republik. Seit ihrer Gründung im Jahre 1981 hat sie durch hochwertige Langspielplatten wie ^Cille Kilfe Ä und r^eine Stars“das Niveau unserer nationalen jugendgemäßen Musikproduktion entscheidend gesteigert. Die Band artikuliert Freud und Leid des Alltags in unserem Land. Sie ist eine moralische Institution für -zigtausende kritischer.Genosse Hoffmann hob die Brauen, .“aber stets konstruktiver junger Bürger. Übrigens sollen die Konzerteinnahmen behinderten Kindern zugute kommen.
Wir werden die Sache prüfen, beschied Genosse Hoffmann.
Der Weltoffenheit der Hauptstadt der DDR käme durch ein Pankow-Konzert beim Kirchentag entscheidende Bedeutung zu. fon diesem Signal würden Impulse in die richtige Richtung ausgehen.
Ich sagte: Wir prüfen, schnarrte Genosse Hoffmann, dessen Bedarf an Sülze nun hörbar gedeckt war. Das Konzert wurde genehmigt. Zum Untergang der DDR trug es nicht bei. Pankows Gitarrist Jürgen Ehle ließ die schönste Slide der Republik heulen das Christenvolk im Garten der Erlöserkirche wippte kaum. Sänger Andr6 Herzberg, ratlos: Was machen wir mit Euch? Ihr seid einfach zu lieb! Und dann war’s zu Ende, ohne Zugabe. Genosse Hoffmann hatte richtig entschieden: Rock’n’Roll ist kein Medium der Revolution.
Es gab sehr andere Pankow-Konzerte – ekstatische Shows, in denen man sich fühlte wie auf der Barrikade im Glasnost-Kampf. Es gab Auftrittsverbote, Verrisse im „Neuen Deutschland“, Eingriffe der Zensurbehörden. All dies verhalf Pankow zum Ruf der „Stones des Ostens“. Zwar war Jürgen Ehle ein Gitarrist für Leute, die Ry Cooder interessanter finden als Keith Richards. Und Sänger Herzberg mimte einen Anti-Macho: den reinen Toren, das staunende Kind, das die Perversionen seiner Umwelt arglos enuarvt. Er konnte auch anders – rotzig, exaltiert, sentimental, immer tanzend auf jenem doppelten Boden, unter dem wir die Waffen des Aufruhrs ahnten.
Natürlich gefiel der Band ihr oppositionelles Image. Herzberg winkte den SED-Kulturerlaubern liebend gern mit roten Tüchern zu. Eigentlich wollten Pankow aber nichts anderes sein als eine scharfe Rock’n’Roll-Band, und zwar ohne den Zusatz „für Ost-Verhältnisse“. Ostig sein wollten wir nie, sagt Ehle heute. Ostig, das meint Schwulstlyrik und konzertantigen Rock, der sich bis zu Oratorien auf die Sixtinische Madonna und das Meißner Porzellan verstieg. Man sei gerecht: Anfangs der 70er Jahre durfte sich Rockmusik in der DDR nur als Kunstäußerung etablieren, sozusagen via jihhey Road“, nicht als „Sympathy For The Devil“. Sächsische Art-Rock-Bands wie Lift oder Stern Meißen haben ihren treu verträumten Fans etliche schöne DDRFlucht-Inseln komponiert. „Einen kleinen Tag lang waren wir ein Sommer“, balzte die Dresdner Band Electra im Residenz-Barock, „waren wir ein Flötenspiel, das aus blauer Weide fiel, mitten in ein Liebespaar, das da froh und traurig war“. Bei Pankow ging die Sache so: „Mach’s gut, Inge Pawelczik, du wilde Wahnsinnsmaus, wir ham die ganze Nacht gepflückt in deinem Hinterhaus.“
Köstlicherweise beschwerte sich nach der Edition von „Inge Pawelczik“ eine Lehrerin selbigen Namens. Namenlos deutlich war dann „Langeweile“ von Pankows letzter Vor-Wende-Platte ^irfruhr in den Augen „: „Dasselbe Land zu lange gesehn, dieselbe Sprache zu lange gehört, zu lange gewartet, zu lange gehofft, zu lange die alten Männer verehrt. Ich bin rumgerannt, ich bin rumgerannt, zuviel rumgerannt, ist doch nichts passiert.“ Undjürgen Ehles Hobo-Banjo spielte der DDR ein prophetisches FarewelL All diese Songs erschienen auf dem staatseigenen Monopol-Label Amiga, das eine viertel Million Pankow-Platten unters DDR-Volk brachte. Pankow waren nie Underground wie die Bands, die in Ostberliner Punk-Kellern abkotzten. Ähnlich vielen Schriftstellern zählten sie zu den etablierten Größen ästhetischer Subversion. Seit ’84 durfte die Band auch im Westen spielen sogar, nachdem ’85 Trommler Frank HUle „drüben“ geblieben war. Nach der Wende stieg Herzberg aus. Pankow verloren an Biß. Herzberg wurde als Solist nicht glücklich und kehrte ’96 zurück, was mit zwei unvergeßlichen Konzerten im „Tränenpalast“ am alten Grenzübergang Berlin-Friedrichstraße gefeiert wurde. Mitten im Programm offenbarte Herzberg plötzlich, er habe kurz zuvor seine Stasi-Akte eingesehen. Ein furchtbarer Schreck. Sein Aufpasser sei ihm so nahe gewesen.
Jürgen Ehle erklärte, er habe nur mit der Stasi gesprochen, um die Band zu schützen, besonders Herzberg, der zu Explosionen neigte, wo Ehle sich doch auf Kompromiß verstand – und auf die Sprache der SED-Funktionäre, die verlangt hatten, daß man sich von Herzberg trenne. Ehle schwurbelte Unbedenklichkeitszeugnisse in Lehrerinnenmanier, die auch den Prüfungen des Genossen Hoffmann standgehalten haben müssen. Ehle wie Herzberg sehen sich als Moralisten. Ehle hatte DDR-Ideale, und Herzberg ist ein Gottsucher. Am besten wär’s gewesen, sagt Herzberg, wenn Jürgen geweint hätte, und ich hätte ihm dann in seine Fresse gehauen. Aber beides ist nicht passiert.
Andre, vielleicht war die Reihenfolge falsch. Als Kinder haben wir’s andersrum gemacht.
Ja, sagt Herzberg, bloß manche Sachen verlernste eben.
Pankow blieben zusammen. Ein Split wäre Herzberg wie der Endsieg der Stasi vorgekommen. Eine vorzügliche neue CD erschien, ^4m Rande vom Wahnsinn“ (Grauzone GRZ 3OO1-2), mit Ritts und Hooks, die einem nur der HNO-Arzt wieder aus den Ohren ziehen kann. Sie wurde kaum bekannt Firma und fertrieb versagten, das Stigma „Ostband“ haftete wie angelötet, und auf Formatradio und den storygeilen Medienzirkus verstehen sich Pankows Musiker schlecht Campino in der „Mini-Playback-Show“ lehnen sie ab.
Einen Tag vor Heiligabend 1998 haben Pankow Schluß gemacht Die Auftragslage – so Ehles Ausdruck – sei zu schlecht geworden. Herzberg: Wir wollen nicht als Ost-Revival-Orchester auftreten für Leute, die dauernd „Inge Pawelczik!“ brüllen. Pankows Abschied in der Ostberliner „Prater“-Knetpe war bewegend, mit Tränchen und viel Bier. Welche hiesige Musik spiegelt denn noch den Alltag und handelt von hier? Rammstein? Ist Realsatire. Pop-Zeug wie Bell, Book & Candle? Kommt von nirgends, da von überall. Mit ostdeutscher Identität hat dieses Allerweltsfutter nichts zu tun.
Pankows Chancen sind wohl auch an der westdeutschen Medienhoheit gescheitert. Anruf (aus Pankow) beim ROLLING STONE: „Ich würde gern was über den Abschied der besten ostdeutschen Rockband schreiben.“ – „Neinn!“, schreit Chefredakteur Gockel, „nein, bitte nicht die Puhdys!“