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Überwältigungskünstlerin aus der Schweiz: Warum man jetzt Noémi Büchi hören muss

Die Schweizerin Noémi Büchi arbeitet mit elektronischem Instrumentarium allein an „symphonischem Maximalismus“. Dabei ist ihr künstlerischer Ansatz radikal minimalistisch.

Am Anfang steht die nackte Angst. Mit einem Synthesizer-Blitzlichtgewitter beginnt „Elemental Fear“, das erste Stück auf dem Debütalbum von Noémi Büchi. Es sind Klänge, wie man sie so nicht oft hört: ruppig und unversöhnlich – scheinbar ohne Ziel. Die Schweizerin nennt das, was sie macht, Neoklassik. Doch damit meint sie keine Verbindung zu der melancholischen Sanftheit von Richter, Einaudi und Frahm. Vielmehr will sie sich mit den acht Tracks auf „Matter“ befreien von den Fesseln, die sie auf dem Weg zur klassischen Musikerin angelegt bekam. Früher hätte man Büchi wohl eine Avantgardistin genannt. Gemeint ist heute, dass so etwas nicht in eine Playlist passt. Diese Musik hat ein Konzept und ist größer als ihre Teile.

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Geradezu lehrbuchhaft ist die Ausbildung: Frühes Klavierspielen, ein Arzt attestiert ein absolutes Gehör, Konservatorium, Studium der Musikwissenschaften. Dann kommt der erste Umweg: Kunsthochschule und Master in Elektroakustischer Komposition. Doch Büchi, die im Gespräch manchmal etwas distanziert von ihrer eigenen Kunst spricht, als wäre es gar nicht ihre, sehnte sie sich nach einen Ausweg aus dem akademischen Gestrüpp. Erst einmal eine Sprache für die eigene Kunst finden, einen Sound. „Immer alles Verbalisieren zu müssen, war am Anfang schwierig, hat mich dann aber auch weitergebracht“, sagt Büchi, und nennt es eine Form der Hassliebe.

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Noémi Büchi versucht sich den Kategorien zu entziehen

Sprache liege ihr nicht so sehr, aber Geräusche und Klänge, das war für sie immer Material. Etwas, womit sie sich ausdrücken kann. Sie philosophiert von einer Welt, in der alles Material ist, das man formen kann, vielleicht sogar muss. Wie der Maler seine Farben hat, so hat sie als Musikerin ihre Klänge. Für ihre ersten Gehversuche in der avantgardistischen Electroszene Zürichs konnte Büchi auf Audioaufnahmen zurückgreifen, die sie im Laufe der Jahre gemacht hat. Jedes Brummen und Sirren erzählt etwas, muss aufgezeichnet werden. Auch klassische Werke nutzt sie für sich, in dem sie sie auseinandernimmt. Für ihre erste Platte zerrupft sie nun Bach und Nielsen (erst auf „Memorizing By Heart“, dem sechsten von acht Stücken, hört man so etwas wie eine Struktur, die man zu kennen glaubt, Samplings, vielleicht ein Echo auf die frühen Arbeiten von Wendy Carlos). Als Vorbild nennt sie Éliane Radigue und schwärmt von Oneohtrix Point Never. Auch ein Musiker, der sich den Kategorien zu entziehen versucht. In der Electromusik werde man schnell in Schubladen gesteckt, sagt die 31-Jährige.

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So fordernd Büchis Musik auch ist, sie fordert auch vor allem sich selbst. „Ich habe einen mentalen Prozess beim Komponieren durchgemacht“, sagt sie. „Die Titel verweisen auf die verschiedenen Phasen einer Traumaverarbeitung.“ Es beginnt mit der unkontrollierten Urangst, dann folgt die Wut. Hinzu kommen plötzliche „Causes Of Forgetfulness“. Es gibt keine lineare Bewegung der Heilung im Trauma. Der Abschluss mit „Prelude For Rational Freshness“ weist schließlich einen Weg ins Licht. Die unruhige Drone-Klangskulptur von „Matter“ findet hier zu einem dämmernden Gleichmaß, auch wenn alles noch pulsiert.

Also ist die Vernunft ein Ausweg aus der Hölle der Furcht? „Ich möchte eigentlich gar nichts mitteilen, sondern nur etwas ausdrücken“, hält Büchi vorsichtig entgegen. Interpretation findet auf jener Verbalisierungsebene statt, die sie lieber nicht zu sehr an sich heranlassen möchte. Dann sagt sie doch noch: „Die Vernunft ist wichtig für den Prozess, sie lässt alles etwas differenzierter erscheinen, mit weniger Impulsivität.“

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Was gegen die Unruhe der Emotionen hilft, ist eine Form. Für Noémi Büchi ist das die Arbeit mit Modulen. Früher lieh sie die Geräte aus, um sich damit auszuprobieren, sie kaufte sie, verkaufte sie wieder, erarbeitete sich eine eigene Palette. Die dient nun auf der Bühne dazu, dass die Schweizerin ihr eigenes Orchester sein kann. Für jeden Klang hat sie einen Fader. Symphonischen Maximalismus nennt Büchi ihre Arbeit, obwohl sie doch eigentlich einen minimalistischen Ansatz für ihre Kunst verfolgt. Aber es ist eben die Suche nach Fülle und Komplexität der Klangstrukturen, die sie antreibt. Sie tut das, um sich und andere zu überwältigen. Und so sind ihre Konzerte, für die sie gerade ein weiteres audiovisuelles Konzept erarbeitet, um die Musik auch live atmen und sich weiterentwickeln zu lassen, auch der Versuch, ihr Publikum auf jede erdenkliche Art herauszufordern.

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