Noel Gallagher im Interview
Der Britpop-Star über Foltermethoden, neue Liebeslieder und die ewige Frage nach einer Oasis-Reunion
Dass Noel Gallagher auf Fotos stets grimmig guckt, verschleiert die Tatsachen. Der 47-Jährige hat Gründe genug, glücklich zu sein: Seine Konzerte sind immer sofort ausverkauft, er hat eine liebende Ehefrau und drei gut geratene Kinder, und gerade erscheint sein zweites Soloalbum, „Chasing Yesterday“, das natürlich großartig ist. Während Bruder Liam jüngst seine Band Beady Eye auflöste und immer noch Oasis nachzutrauern scheint, fühlt sich Noel als Elder Statesman des Britpop wohl – und nimmt natürlich trotzdem weiterhin kein Blatt vor den Mund.
Mindestens alle drei Jahre ein Album, so kannte man das seit 1994. Warum dauerte es diesmal etwas länger?
Die letzte Tournee war 15 Monate lang, danach brauchte ich erst mal Urlaub. Bin im Januar ins Studio, war im Sommer fertig – aber da kamen die Oasis-Reissues und mein Label musste sich erst um die kümmern. Ich bin ein kleiner Independent-Künstler, ich muss dann halt mal warten.
Was machst du denn den ganzen Tag, wenn das Album fertig ist, aber erst Monate später veröffentlicht wird?
Glaub mir, ich habe gut zu tun! Ich habe neue Songs geschrieben, ich war mit Paul Weller im Studio, ich war im Urlaub, ich habe ein neues Haus gekauft. Normaler Alltagskram halt.
Du hast „Chasing Yesterday“ selbst produziert. Warum?
Mein Stammproduzent Dave Sardy hatte keine Zeit oder einfach keine Lust. Und die anderen Produzenten, die ich kontaktierte, waren unzufrieden, weil die Songs nicht mehr im Rohzustand waren. Die wollen immer mitsprechen, aber bei mir gibt’s keine Mitsprache. I don’t fuck around, I know what I want. Einer meinte schließlich: Das Album ist doch eigentlich schon fertig, den Rest schaffst du auch allein. So wurde ich zum Produzenten. Und es gefällt mir – ist praktisch und günstig.
Auf dem Album sind fast nur Liebeslieder.
Tja, ertappt. Momentan scheint jeder verdammte Song, den ich schreibe, ein Liebeslied zu werden. Möge das noch lange anhalten! Die Songs der letzten Platte handelten alle von Flucht und der Sehnsucht nach einem Platz, an dem man bleiben möchte. Diese hier handeln davon, wie es ist, wenn man ihn findet. Das nächste Album wird sich dann wahrscheinlich darum drehen, wie man alles verliert.
Du gehörst nicht zu denen, die grundsätzlich sagen: Glückliche Menschen schreiben keine guten Songs?
Irgend so ein Arzt hat gerade wieder behauptet, dass so gut wie alle Musiker depressiv sind und in ihrer Kunst nur ihre Krankheit verarbeiten. Echt? Ich nicht! Das Album ist sehr fröhlich. Wer will schon dauernd deprimierende Songs hören? Sleaford-Mods-Fans offensichtlich, aber nicht meine.
Ein Song ist zumindest melancholisch: „While The Song Remains The Same“ handelt von deiner Heimatstadt.
Ich bin ja hin und wieder in Manchester, um Fußball zu gucken und meine Mom zu besuchen. Eines Samstags ging ich spazieren und sah zum ersten Mal bewusst, wie viel verschwunden war: Clubs, Pubs, die Läden, die ich mit 20 besucht habe. Das hat mich traurig gemacht, weil ich dachte, ich könnte meinen Söhnen das alles irgendwann mal zeigen. Ich bin allerdings kein Nostalgiker – ich wünsche mir nicht, dass es die Hacienda noch gäbe und ich dort tanzen gehen könnte. Mit fast 50 wäre das etwas tragisch.
Welchen Bezug haben deine Kinder zur Musik?
Das Physische – das Gefühl, Musik in der Hand zu halten – ist ihnen nicht so wichtig, wie es uns war. Trotzdem lieben sie Musik. Mein siebenjähriger Sohn hört auf seinem iPod ständig U2, er ist verrückt danach. Aber so wie wir von Marc Bolan oder David Bowie geträumt haben, Rockstars wie sie sein wollten – diese große Sehnsucht gibt es nicht mehr, es ist nur eine von tausend Möglichkeiten: Filme, Fernsehserien, Reality-Shows, Models, fucking Kardashians. Alle 15 Minuten ist jemand anderes berühmt. Meine 15-jährige Tochter redet dauernd von superwichtigen Leuten, von denen ich noch nie gehört habe.
Bei „Ballad Of The Mighty I“ spielt Johnny Marr mit. Wie kam’s?
Ich kenne Johnny seit 23 Jahren, das musste endlich sein. Er kam mit zwei Gitarren und vielen Effektpedalen angereist. Er redet so viel, ich rede so viel – es ist erstaunlich, dass wir überhaupt einen Song hinbekommen haben.
Redet Ihr auch mal über eure Ex-Bands und die Reunion-Gerüchte, die nie aufhören?
Klar. Das ist ja eine Art Mobbing. Jeder Journalist, der mich trifft, weiß, dass ich immer „Nein!“ zu einer Reunion gesagt habe. Werde ich mich also heute plötzlich anders entscheiden? Wohl kaum! Es ist fast wie eine chinesische Foltermethode: Are you? Are you? Are you? Die einzige Möglichkeit, diese ständige Fragerei abzustellen, wäre wohl, Ja zu sagen.
Aber was hättest du davon?
Eben. Was ist für mich drin? Viel Geld, sonst nichts. Ich liebe, was ich gerade mache, und ich bin verdammt gut darin. Wenn einmal – in ferner, ferner Zukunft – jemandem das Geld ausgeht, wahrscheinlich Liam, dann helfe ich ihm vielleicht aus.
Du hegst keinerlei Groll mehr?
Ich nicht. Aber seit dem Tag, an dem ich Oasis verließ, habe ich Liam vielleicht ein halbes Dutzend Mal gesehen und immer war er ziemlich respektlos. Er wartet offensichtlich nicht auf einen Anruf von mir, sonst würde er mal seine Einstellung überprüfen. Diese ständige Wut, die grundlose Aggression – das ist genau der Shit, den ich nach 20 verdammten Jahren nicht mehr aushalten konnte. Also Oasis reunion: not gonna happen. Ich habe anderes zu tun. Ich möchte weiter gute Musik machen. Und meine Haare behalten. Das ist alles.