Noch ein Meisterschüler der Bristol-Akademie: Tricky musiziert und brabbelt aus dem Geist der bekiftten Gelassenheit
Ein Interview mit Tricky ist wie eine Pralinenschachtel: Man weiß nie, was man kriegt. Oder ob man überhaupt was kriegt Oder ob das, was man kriegt, irgend etwas hergibt Wie er an seine Sängerin Martina geraten ist? Na, er hat sie halt kennengelernt Ob er einen Zusammenhang sieht zwischen seiner Platte „Maxinquaye“ und anderen Produktionen aus Bristol, etwa von Massive Attack oder Portishead? Nein, sieht er nicht Das ist zwar so, als würde Roy Lichtenstein bestreiten, etwas mit Pop-Art zu tun zu haben, aber was soll man sagen?
Auf seiner ersten Solo-Platte ist Tricky gesprächiger. Auf kühl konstruierten Dub-Gerüsten steht er und teilt sich die Arbeit mit der 19jährigen Martina, die er halt kennengelernt hat. Sie singt wunderbar versprengt und willkürlich, streut Bruchstücke der Lebensbetrachtung aus. Tricky bleibt im Hintergrund und singt nicht, sondern singsangt? Rappt? Man muß wohl sagen: Er brabbelt. Unablässig fließen Worte aus seinem Mund, ruhig und gleichgültig produziert er eine verbale Musik.
Nein, das hat nicht nur viel mit dem Bristol-Sound zu tun, das ist Bristol pur. Nicht nur, daß Tricky eigentlich von Massive Attack kommt auf „Blue Lines“ rappte und für deren letztes Album das brillante Stück „Karma Coma“ schrieb. Nicht nur, daß er die gleichen Samples benutzt wie Portishead. Es ist derselbe Geist des britischen Dub und Soul, der bekifften Gelassenheit, des ländlichen Phlegmas, der hier regiert. Was Tricky zu sagen hat ist Sound. Ähnlich wie seine Kollegen hält er Eile und Hektik für eine teuflische Erfindung, die von Langeweilern und Dope-Abstinenzlern erdacht wurde, um die Menschen zu quälen. Dem Leistungsprinzip, das auch in der Pop-Branche gilt, entzog sich der Musiker von Anfang an mit Erfolg.
Schon die erste Single ging einen weiten Weg. Produziert hatte Tricky den Dub-Track „Aftermath“ bereits 1991, im Zuge der Arbeiten an „Blue Lines“. Nur hatte damals so recht wohl niemand Interesse daran. Der Song kam erst im Januar 1994 heraus, wurde von der britischen Presse auf einem hohen Hysterie-Level gefeiert und bestätigte wieder die Berechtigung der Laß-Dir-Zeit-Philosophie. Vier Jahreszeiten später war das Album fertig.
Tricky zählt zu der Sorte Gesprächspartner, die sich ernsthaft erkundigen, welches Jahr wir denn gerade hätten. Das heißt nicht, daß er in seiner eigenen Welt komplett versunken wäre. Demnächst geht er in England mit PJ Harvey auf Tour. Beide mögen ihre Musik gegenseitig, sehen die gemeinsamen Konzerte als vielversprechendes Experiment und mögen es nicht, wenn einer zuviel fragt Ob ich denn noch irgend etwas unbedingt wissen wolle?, meint er mit Rausschmeißer-Miene. Ich bin ja schon ruhig. Schließlich ist Tricky auch ruhig.