No Music Day: Warum wir Musik wieder bewusster hören müssen
Am 21. November ist der „Tag ohne Musik“! Er soll daran erinnern, dass wir Musik wieder mehr wertschätzen. Zum Beispiel in dem wir einen Tag auf sie bewusst verzichten.
Alles still. Kein Radio. Keine Instrumente. Keine Pfiffe. Kein Summen. Kein Fingerschnippen. Keine Musik im Ohr!
Für einen Tag soll alles schweigen. Damit wir uns besinnen auf die Kraft und die Magie der Musik. Denn sie scheint uns, da sollten wir ehrlich sein, immer mehr verloren zu gehen. Wir vertreiben sie mit ihren maßlosen Einsatz in jeder Lebens- und Gemütslage. Kein Medium, das Musik einsetzen kann, verzichtet mehr darauf. Playlists laufen rauf und runter. Gefühlsmanagement nennt man so etwas: Sollten die Bilder nicht passen – die Musik macht sie passend.
Wer sich traurig fühlt, hört traurige Musik. Oder er hört fröhliche Musik, damit er alsbald wieder fröhlich wird. Das ist eigentlich nicht problematisch. Das Problem aber beginnt dort, wo man sich daran gewöhnt, die Musik einzusetzen oder zu konsumieren, als wäre sie wertlos und keine Kunst mehr. Als gliche sie einer Pille, um bestimmte Gefühle intensiver zu spüren. Hand aufs Herz: Kennen Sie irgendeinen Ort, an dem keine Musik gespielt wird – oder keiner mit Kopfhörer Musik hört?
Ein Tag für die Musik – ohne Musik
Gedenktage gibt es für alles und jeden. Es gibt den Tag des deutschen Biers, den Tag des Friedhofs, den Tag des Baums, den Tag des Butterbrots – auch den Tag gegen Lärm. Warum nur all diese Gedenktage? Vielleicht weil uns Stück für Stück etwas zu entgleiten droht, das wir bewahren wollen. Wie kleine Kinder, die begreifen, dass ihnen ein zerkuschelter Teddybär weggenommen wird, klammern wir uns an eine diffuse Form der Nostalgie. Wertschätzung für den Moment. Ja, diese Gedenkmomente sind nutzlos, denn ihre Wirkung ist in den besten Fällen begrenzt und in den schlechtesten Fällen sind sie nur ein Werbetrick. Aber tatsächlich lauert hinter diesen Symbolen des Erinnerungsmarketings etwas, das nötig ist: bewusst zu konsumieren.
Bill Drummond, der legendäre Gründer von KLF, ruft deshalb alljährlich am 21. November zum No Music Day auf. Ein musikfreier Tag. Ist so etwas überhaupt möglich? Viele werden noch nie etwas von diesem Gedenktag gehört haben, sie werden vielleicht den Sinn dahinter nicht verstehen wollen, oder sie werden, selbst wenn sie darüber gelesen haben, vergessen, dass dieser Tag ein Tag ganz schlicht ein Tag der Ruhe sein soll. Es muss nicht dieser Tag sein. Es muss überhaupt kein bestimmter Tag sein.
Aber solche Aktionen lehren, dass wir nur dann die Bedeutung von Musik in unserem Leben wertschätzen und ergreifen können, wenn wir sie auch als Form der Kunst betrachten. Als einen Stoff, den Menschen mit ihrem Verstand, vielleicht mit ihrem Herzen, vor allem aber mit ihren eigenen Händen erarbeitet haben. Bücher verschlingen, Fernsehen glotzen, Kino und Serien im Binge-Marathon, Spotify-Playlists in der Dauerschleife, Music-Lounges, Ausstellungsevents – all diese Möglichkeitsformen des Konsums, die nur Zerstreuung und keine konzentrierte Erfahrung suchen, erschlagen die Kunst.
Musik hat nur die Bedeutung, die man ihr verleiht
Wer eine Platte einlegt, die er seit Jahren nicht mehr gehört hat, die aber vor nicht allzu langer Zeit immense Bedeutung besessen hat, der wird jene Wehmut spüren, die so unendlich kostbar ist, dass man sie gerade nicht jeden Tag wieder hervorzaubern kann. Und auch aus vielen Gründen nicht sollte. Deshalb können Plattenspieler ruhig für 24 Stunden verstauben und darum sollten Orte, an denen Musik wahllos ins öffentliche Leben gespült wird, wenigstens für einige kostbare, stille Momente gemieden werden. Manchmal reicht es schon aus, sich den Zustand für einen kurzen Moment der inneren Ruhe vollends ins Bewusstsein zu rufen.
Vielleicht wird Musik eines Tages wieder die Welt verändern, wenn wir sie erneut bewusster hören. Das hat sie schon oft getan.
In dieser Zeit ist sie, trotz all der wundersamen Momente, die sie schenkt, viel zu häufig kraft- und wirkungslos. Manche Großtaten vernehmen nur noch Liebhaber. Andere Stücke werden so oft gespielt, dass man sie nicht mehr hören kann. Und doch verlangen einige immer wieder danach.
Wenn man ehrlich ist: Daran haben weniger die zahlreichen talentierten Musiker einen Anteil als vielmehr die unersättlichen Hörer.