No Depression
Wie Uncle Tupelo zu Alternative-Country-Heiligen wurden, Garth Brooks die Stirn boten - und schließlich nichts mehr voneinander wissen wollten
Drei Jahre hatten sie als The Primatives Garagen-Futter wie „Dirty Water“ gecovert, auf Parties, in Bars und auch in der „Liederkranz Hall“. Bis zu 500 Kids zahlten zwei Dollar Eintritt, die Jeffs Mama Jo kassierte. Dann wollten Jeff Tweedy, Jay Farrar und Drummer Mike Heidorn etwas Eigenes. Und einen anderen Namen. Uncle Tupelo spuckte der Zufallsgenerator zweier flugs zusammengekritzelter Wörter-Spalten aus. Es war der Spätsommer 1987.
Keine drei Jahre später wird Tweedy eine Postkarte aus Tupelo, mit Elvis‘ Geburtshaus drauf, an die lieben „Folks“ daheim in Belleville, Illinois schicken – nicht ohne den Hinweis, dass Tupelo „eine enttäuschende Stadt“ als Namenspate sei.
Abgesehen davon hielten sich die Enttäuschungen für das Trio in Grenzen. Gut zwei Monate nach der Karte, im Juli 1990, sind R.E.M. beim „40 Watt Club“-Gastspiel in Athens zugegen. Eben dort wird Peter Buck keine zwei Jahre später das dritte Uncle Tupelo- Album produzieren. Auf „March 16-20, 1992“- schon im Titel ein Verweis auf dokumentarische Blöße musiziert die Band akustisch und direkt aus dem Geist von Harry Smith, nicht nur der vielen Traditionais wegen. Kann so ein „New Face“ des ROLLING STONE klingen? Dort fand sich die Band – welch unschlagbare Ironie – in dieser Rubrik damals direkt neben dem Konterfeit von Garth Brooks wieder. Jeff Tweedy wird den rührenden Satz sagen, es laufe „etwas falsch, wenn Garth Brooks Journey als Inspirationsquelle“ benenne. „Play me a song that everybody knows, I bet it belongs to Acuff-Rose“, singt er später als Tribut an dessen legendären Musikverlag in Nashville, 1993, auf dem letzten Album, „Anodyne“.
Die Band war also schon Geschichte, als Ryan Adams die späte Initiation seiner unfreiwilligen Vorreiter nachliefert.,,! started this damn country band cause punk rock is too hard to sing“, deklamiert der Erbe im Titelsong des Whiskeytown-Debüts „Faithless Street“. Ja, Country vor Garth. Von George und Johnny und Gram, dessen „Sin City“ als Bonus-Track das Reissue vom Debüt „No Depression“ ziert. Doch der Carter Family, die dem Werk ’90 den Titel gab, stellten Uncle Tupelo auch Huddie Leadbetters „John Hardy“ zur Seite. Während die No-Fun-Askese des Sounds direkt auf den Punk-Geist verwies. Oder gleich „D. Boon“ von Minutemen ein Song-Denkmal setzte (auf dem zweiten, coverlosen Album „Still Feel Gone“).
Zu „Anodyne“ hatte Ken Coomer bereits Heidorn abgelöst, Max Johnston spielte Fiddle, Banjo, Dobro. Die zweite Hälfte dominierte die Pedal Steel von Lloyd Maines. Im Titelsong, diesem Musterexemplar subtiler Dynamik, singt Jay Farrar prophetisch: „Threw out the past, threw out what was mine, threw out the years, it was hard to make it last.“ Und: „Without a word you’re out the door.“ Das war er wenige Monate nach Fertigstellung des Albums tatsächlich.
Jeff Tweedy flüchtete sich in Zynismen, verbittert ob des autistischen Abgangs seines Partners und der Rolle, die man für ihn parat hielt: als komischer Säulenheiliger einer „Bewegung“, die erst nach dem Ende der Band richtig Schwung bekam auch publizistisch, mit der Gründung des Alt. Country-Zentralorgans „No Depression“. Vielleicht war er auch nur sauer, weil die auf dem ersten Titel 1995 lieber Farrars Son Volt als Tweedys Wilco sahen. Ästhetisch eine verständliche Entscheidung. Denn während Farrars Band weiter zum dunklen Americana-Zentrum vorstieß, wandelte Tweedy vorerst lieber auf den Spuren von Big Star und Kinks, bevor er sich mit dem großen Wurf „Summerteeth“ endgültig sein ganz eigenes Imperium zimmerte. Zu Uncle Tupelo hatten beide nichts mehr zu sagen. Selten in der Pop-Geschichte dürfte es eine so einflussreiche Band gegeben haben, die von ihren ehemaligen Köpfen später so schlecht geredet oder schlicht ignoriert wurde.
Die Frage aller Fragen bleibt uns deshalb natürlich nicht erspart: War die Musik wirklich gut? Oder waren Uncle Tupelo nur wirklich gut als Bannerträger wider Willen? Wer sich noch mal durchs Gesamtwerk hört, stellt fest: Der Mythos ist manchmal schon stärker als die Musik selbst. Aber: It’s the atttiude, stupid! Und davon hatten Uncle Tupelo genug.