Nirvana: „Nevermind“ wird 20. Novoselic und Butch Vig erinnern sich
Der beste Beweis, dass man alt geworden ist: "Nevermind" wird 20. Ob da die Jubiläumsauflage tröstet? Krist Novoselic und Butch Vig erzählen vom "Nevermind"-Reissue und plaudern von der Entstehungszeit.
Nun ist es tatsächlich so weit: „Nevermind“ ist feiert am morgigen Samstag, den 24. September, seinen zwanzigsten Geburtstag. Anlässlich diesen Ehrentages versorgten uns die Kollegen von tape.tv mit einem Player, der noch einmal die größten Nirvana-Videos zusammenfasst.
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Eines Nachmittags im April 1990 kamen Kurt Cobain, Krist Novoselic und Schlagzeuger Chad Channing in den Smart Studios des Produzenten Butch Vig an, nachdem sie nonstop 3.057 Kilometer von Seattle nach Madison, Wisconsin gefahren waren. „Sie rollten in einem großen Van an“, erzählte Vig, „und hatten vermutlich seit drei oder vier Tagen weder gebadet, noch geduscht.“
Sie begannen, die Songs aufzunehmen, die “ Nevermind“ werden und die Alternative Rock-Explosion der 90er Jahre initiieren sollten. Acht Demo-Aufnahmen dieser Woche, inklusive grimmiger Testversionen von „In Bloom“ und „Lithium“, gehören zu den zuvor noch nie gehörten Schätzen dieser Jubiläumsausgabe, die am 23. September erscheinen wird. Das Set – das es in verschiedenen Versionen von der einfachen CD bis zum fünfteiligen Boxset geben wird – wurde von Novoselic, Dave Grohl, Vig und dem Management von Nirvana zusammengetragen, auch aus Cobains Nachlass konnte einiges beigesteuert werden. Das Box-Set bietet abgesehen von einem remasterten „Nevermind“-Reissue auch B-Sides, die ursprünglichen Versionen der Songs und ein komplettes Live-Konzert.
„Wir hatten dieses Motelzimmer und sind jeden Tag zu den Smart Studios gegangen um zu arbeiten“, so Novoselic. Die Sessions waren zwar im Endeffekt sehr erfolgreich, dennoch verlief es nicht reibungslos. „Kurt war charmant und geistreich und trotzdem sehr launisch“, erklärte Vig. „Er war manchmal sehr engagiert, aber auf einmal legte sich in seinem Kopf ein Schalter um und er setzte sich einfach in eine Ecke und schien sich nur noch mit sich selbst beschäftigen. Ich wusste nicht wirklich, wie ich damit umgehen sollte.“
Obwohl Nirvana nach fünf Tagen das Geld ausgegangen war, um das Studio zu bezahlen, waren die Demoaufnahmen gut genug, um ihnen wenige Monate später einen Vertrag mit einem großen Label zu verschaffen.
Im Frühjahr 1991 trafen sich Nirvana – zu diesem Zeitpunk spielte bereits Dave Grohl anstelle von Channing Schlagzeug – in Tacoma, um weitere Demos aufzunehmen. „Wir waren diese Band, die nur dann bestand, wenn sie sich in die Proberäume anderer Bands einladen konnte“, meinte Novoselic. Fanden sie einen Raum zum Proben, arbeiten sie an den Sachen, die Cobain an diesem Tag mitgebracht hatte.
„Kurt war so besessen vom Songschreiben, dass er jedes Mal neues Material mitbrachte“, fügte Novoselic hinzu. „Er brachte die Ideen mit, und wir bastelten stundenlang daran herum.“ Sie nahmen diese Proben auf einem Ghettoblaster auf und diese Rohaufnahmen – zu denen auch faszinierende Aufnahmen von „Smells Like Teen Spirit“ und „Come As You Are“ gehören – sind ein weiterer Höhepunkt dieses Reissue-Pakets. „Die Ghettoblasteraufnahmen sind für Hardcore-Fans vermutlich die Coolsten aller Zeiten“, so Vig. „Sie klingen super Lo-Fi und dreckig und trashig, wirklich ursprünglich.“
Im darauffolgenden Mai traf sich die Band mit Vig in Los Angeles. Sie begannen, die Versionen aufzunehmen, die dann endgültig auf “ Nevermind“ landen würden. „Wir waren wirklich konzentriert, keine Spielereien, kein Rumgealbere“, so Novoselic. „Wir sind jeden Tag um 11 Uhr oder kurz nach Mittag ins Studio gegangen und haben dann einfach bis 21 Uhr unser Ding gemacht.“
Vig erinnert sich dennoch an einen anderen Tagesablauf: „Sie sind die ganze Nacht aufgeblieben, haben Drogen genommen und sind an den Strand in Santa Monica gegangen. Am nächsten Tag sind sie dann um 15.00 oder 16.00 Uhr eingetrudelt. Sie haben diesen Moment der Freiheit wirklich genossen, und unbewusst haben sie wohl schon geahnt, dass sie ein großartiges Album machen würden. Das waren gute Zeiten, Mann, bevor dieser ganze Wahnsinn begann.“
Der erste Versuch der Band „Nevermind“ abzumischen, war trotzdem ein Desaster. „Ich habe das Schlagzeug und die Gitarren ausgepegelt“, erzählte Vig, „und dann kam Kurt und meinte: ‚Mach die hohen Töne nicht so laut. Ich will, dass es mehr wie Black Sabbath klingt.‘ Das war wirklich nervig.“
Schlussendlich entschieden sie sich einstimmig dafür, als externen Mischer Andy Wallace, den Produzenten von Slayer, zu engagieren. Die ausrangierten ursprünglichen Versionen waren bis zum Reissue unter Verschluss.
Nirvana verbrachten die Wochen um den 24. September, dem US-Veröffentlichungsdatum von „Nevermind“, auf einer wahnwitzigen Europa-Tour (hier war das Album schon am 26. August 1991 erschienen). „Die Menschen sagten uns, dass wir gerade dabei waren, groß rauszukommen und wir dachten uns nur: ‚Wirklich?'“, erzählte Novoselic. Die frischgebackenen Stars kamen schließlich zu Hause in Seattle an, um im Paramount Theatre ihr legendäres Halloween-’91-Konzert zu spielen, das Fans nun zum ersten Mal in voller Länge in der Deluxeversion des Reissue hören können. „Wir waren ausgebrannt“, meint Novoselic, „aber es war Halloween, also haben wir uns zugedröhnt und den Gig einfach durchgezogen.“
Rückblickend war dieses Konzert laut Novoselic wohl der Wendepunkt für Nirvana: „Es war wie das Ende der unschuldigen Tage. Danach wurde alles so gewaltig, und es war schwer, sich daran zu gewöhnen. Ich versuche immer noch, mich mit dieser Zeit auszusöhnen.“
Im vergangenen Herbst, gerade als das Reissue Hand und Fuß bekam, reiste Novoselic nach Los Angeles, um auf einem Song des neuen Albums der Foo Fighters, dem von Vig produzierten „Wasting Light“, Bass zu spielen. Grohl, Novoselic und Vig saßen nach den Aufnahmen stundenlang herum und schwelgten in Erinnerung. „Wir haben damit begonnen, einander Geschichten zu erzählen“, so Vig. „Es war eine wirklich besondere Nacht.“
„Das kann definitiv sehr emotional sein“, fügte Novoselic im Bezug auf diese Erinnerungen hinzu. „Man verbindet damit so viel. Aber wenn man an die Musik denkt, das ist das, was Nirvana zusammengehalten hat – wir haben gerne zusammen gespielt und wir haben gut zusammen gespielt. Das ist der Kern des Ganzen und das ist das, was weiterlebt und immer weiterleben wird.“
Zum 20. Jubiläum von Nevermind haben 13 verschiedene Künstler das gesamte Album exklusiv für den musikexpress. aufgenommen. Ab dem 15. September ist diese CD mit der nächsten Ausgabe des musikexpress. am Kiosk erhältlich. Und ab Montag streamen wir übrigens ein bisher unveröffentlichtes, komplettes Konzert der Band in Seattle.