nine miles high
Während sich die US-Psychedelia vor allem aus dem Folkrock entwickelte (zu hören auf unserer „RareTrax,Vol.32"), lieferte in Groß' britannien der Beat den wichtigsten Impuls.
Mit dem Aufkommen des Merseybeat 1963 veränderte sich die britische Musikszene radikal. Vorher hatten vor allem seichte Balladen, einheimische Rock’n’Roll-Adepten und Instrumentalgruppen wie The Shadows die Charts beherrscht Zentrum der britischen Musikwelt war London. Mit dem Aufstieg Liverpools zur zweiten Popmetropole und dem Charterfolg der Beatles und Gerry And The Pacemakers begannen sich auch in anderen Städten neue Bands zu formieren, die vom Merseybeat als auch von der in der Hauptstadt pulsierenden R&B-Szene beeinflusst wurden. Ähnlich wie in den USA förderte auch in Großbritannien der Einfluss von Marihuana und LSD Mitte der 60er Jahre die Experimentierlust Vorreiter waren hier sicherlich die Beatles mit Singles wie „Day Tripper“ und Alben wie Rubber Soul“ und „Revolver“, die das popmusikalische Vokabular um neue Techniken und Instrumente bereicherten. Vom 28. bis 30. April 1967 fand im Londoner Alexandra Place der „Technicolour Dream“, das erste Großereignis der experimentellen Beatmusik – später auch Freakbeat genannt – mit Bands wie Pink Floyd, Tomorrow und den Pretty Things statt, bei dem übrigens auch John Lennon im Publikum saß. Kurz darauf erschienen mit „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“ und Pink Floyds „The Piper At The Gates Of Dawn“ die psychedelischen Manifeste des Mainstream und Underground, die kaum eine britische Band unbeeindruckt ließen. Beide wurden übrigens fast zeitgleich in den „Abbey Road“-Studios aufgenommen.
Dort arbeiteten wenig später auch THE IDLE RACE aus Birmingham, die Band des Songwriters, Gitarristen, Sängers und späteren Electric Light Orchestra-Chefs Jeff Lynne. Dass The Idle Race den großen Vorbildern aus Liverpool nacheiferten, kann man hier auf ihrer Single „Impostors Of Life’s Magazin“ ziemlich gut hören. Wenig später verschaffte ihr Toningenieur Norman Smith ihnen gar Zutritt zu einer Beatles-Session. Auch die Band Just Four Men aus der Nähe von Liverpool schwamm auf der Welle der famosen Vier, doch spätestens als sie ihren Namen in WIMPLE WITCH änderten, wurde klar, dass sie sich in Richtung Obskuritätenkabinett verabschieden würden. Immerhin brachten sie es mit ihren ’66er Singles „Rumble On The Mersey Square South“ und dem schlichten „Save My Soul“ zu lokaler Berühmtheit Das einzige, selbstbetitelte Album von THE OPEN MIND aus dem Jahr ’69 stand an einer Schwelle der britischen Musikentwicklung, die sich vom Freakbeat allmählich in Richtung härteren Rocks wie Jethro Tull, The Groundhogs und King Crimson bewegte. Auf ihrem wohl besten Stück, „Magic Potion“, kann man diesen Übergang gut nachvollziehen.
Die Single „Madman Running Through The Fields“ von DANTALIAN’S CHARIOT aus dem Jahr 1967 ist dagegen ganz klar dem Freakbeat zuzurechnen und sicherlich einer seiner größten Momente überhaupt Eine verschrobene Brillanz, die sonst nur noch Syd Barrett mit seinen frühen Pink Floyd-Singles und Kevin Ayers auf dem ersten Soft Machine-Album erreichten. Geschrieben wurde „Madman“ übrigens von Keyboarder Zoot Money und dem jungen Gitarristen Andy Somers, der tatsächlich wenig später bei Soft Machine einstieg und Ende der 70er Jahre als Andy Summers mit The Police den Pop-Olymp erklomm.
Den sollten JASON CREST, die es 1968 und 1969 auf eine Hand voll unerfolgreicher Singles brachten, niemals erreichen. Im Gegensatz zu Procol Harum, an die ihre Stücke ziemlich häufig erinnerten. Der unheilvolle Gesang auf ihrer letzten Single „Black Mass“ nahm bereits einiges der britischen Metalbands Anfang der 70er Jahre vorweg.
Eine der bekanntesten britischen Bands dieser Ära waren zweifelsohne FAMILY, deren Sound natürlich vor allem von John „Charlie“ Whitneys Gitarre und Roger Chapmans markant rauchigem Organ lebte. Mit ihrem vierten Album inyway“ von 1970, aus dem wir hier den Titelsong hören können, etablierten Family einen straighteren, raueren Sound.
Im Gegensatz zu Family waren VELVETT FOGG auf ihrem einzigen Album von 1967 anscheinend nicht besonders an exotischer Instrumentierung interessiert; Orgel und entrückter Gesang bestimmen die Aufnahmen. Trotz dieser Beschränkungen wirkt „Velvett Fogg“ heute doch arg richtungslos. Neben dem Bee Gees-Cover, „New York Mining Disaster 1941“ gehört die Coverversion des Folksongs „Come Away Melinda“ im Hard Rock-Gewand zu den interessantesten Obskuritäten. „We Are The Moless“ war die einzige Single der, nun ja, MOLES aus dem Jahr 1968. Und nicht mal das stimmte: Denn die Moles waren nur ein Pseudonym für Simon Dupree & The Big Sound, die Band von Derek, Phil und Ray Shulman, die wenig später mit dem Prog-Rock-Outfit Gentle Giant bekannt werden sollten.
Die führenden Bands des psychedelischen Undergrounds waren im Großbritannien der späten 60ern wohl Pink Floyd, Soft Machine sowie TOMORROW.
während die beiden erstgenannten später berühmt oder zumindest verehrt wurden, erinnert man sich an Tomorrow hauptsächlich, weil der spätere Yes-Gitarrist Steve Howe mitspielte. Auch wenn die Band vielleicht in Sounddingen nicht ganz so innovativ war wie ihre heute noch geschätzten Zeitgenossen, hatte ihr einziges Album, „Tomorrow“ von 1968, doch ein paar sehr gute Momente. Allen voran „My White Bicycle“.
Gleich die allererste Single von MIKE STUART SPAN aus Brighton war ihr Meisterwerk. „Children Of Tomorrow“ von 1967 ist feinster Pop zwischen Mod-Power und früher Psychedelia. Danach ging’s mit der Band bergab, wenige Singles, ein unveröffentlichtes Album unter dem neuen Namen Leviathan und ein Auftritt in einer BBC-Dokumentation waren alles, was sie bis zu ihrem Split 1969 noch erreichten.
Auch TINTERN ABBEY verdanken ihren Ruhm einer einzigen grandiosen Single aus dem Jahr 1967. „Beeside“ war verspielte, melodie- und mellotronselige Psychedelia erster Güte, die flipside „Vacuum Cleaner“ war straighter, härter, und hätte auch The Who zur Ehre gereicht. Die Drogen bekam man auf der Straße, die guten Songs lagen dort leider nicht. Und so verwundert es nicht, dass die meisten der unzähligen britischen Psychedelic-Bands der späten 60er häufig nur wenige große Momente hatten. APPLE zum Beispiel hatten auf ihrem einzigen Album, „An Apple A Day“ genau zwei: die beiden schon zuvor auf Singles veröffentlichten Songs „The Otherside“ und „Buffalo Billy Can“.