Nina Persson: „The Cardigans sind keine Ironie-Band“
Die Cardigans haben einige der besten B-Seiten der Pop-Geschichte aufgenommen. Ein Gespräch mit Nina Persson
Nina Persson sind B-Seiten wichtig. Und sie ist froh, sie mit der Welt zu teilen. „Die heutige Musik“, sagt die Cardigans-Sängerin, „ist weniger experimentell als die von früher. “ Das liege auch am Streaming. Durchs Datenstromnetz gespeiste Musik kennt keine B-Seiten, bietet keine Scheibe, deren Rückseite ein Geheimnis birgt. Eine gute B-Seite ist wie die dunkle Seite des Mondes, bereit für die Entdeckung.
„Vinyl-Singles sind eine Spielwiese für Künstler“, sagt Persson. „Auf der A-Seite: der Hit. Auf der B-Seite? Freiere Gedanken. Songs, die weniger geschäftsorientiert sind, also wahrhaft mit Hörern kommunizieren.“
B-Seite heißt nicht, dass es sich um B-Lieder handelt. Dafür gibt es Beispiele. „Revolution“ der Beatles ist nach Ansicht einiger Apologeten mitreißender als „Hey Jude“. Das Tremolo-Wunder „How Soon Is Now“ der Smiths erschien als Backup von „William, It Was Really Nothing“. Und zu „Half The World Away“, der B-Seite von „Whatever“, kündigte Liam Gallagher auf der Bühne das Oasis-Comeback an.
Die Ausnahmegeschichte einer schwedischen Band
Mit „The Rest Of The Best, Vol 1 & Vol 2“ haben die Cardigans eine Sammlung von B-Seiten und Outtakes – ihre zweite nach „The Other Side of the Moon“ von 1997 – veröffentlicht. Schon klar: Es wäre doch genauso schön, würden die Cardigans ein Studioalbum mit neuen Liedern herausbringen, ihr erstes seit „Super Extra Gravity“ von 2005.
Aber diese 35 älteren Stücke erzählen eine Geschichte, die Ausnahmegeschichte einer schwedischen Band. Das Quintett aus Malmö entwickelte sich ab seinem Debüt „Emmerdale“ (1994) zu einer Weltsensation, dem erfolgreichsten Act des Landes seit Abba. Der Reifeprozess beider Kollektive ähnelt sich. Zu Beginn Abnabelungsprozesse, bei Abba mit „My Mama Said“ und „Honey Honey“, bei den Cardigans mit „Our Space“ und „After All“. Am Ende die kriselnde Partnerschaft: „One of Us“ beziehungsweise „Communication“.
Das einzige Bandmitglied, das die Cardigans jedoch verlassen hat, ist Peter Svensson – ausgerechnet, er war der wichtigste Songwriter. Was auch die lange Pause ohne neue Cardigans-Kompositionen erklären könnte. Aufgelöst haben die Cardigans sich aber nie. Erst im Juni waren sie als Festival-Headliner beim Maifeld Derby gebucht.
„Ich kenne die Vergleiche mit Abba“
„Ich kenne die Vergleiche mit Abba“, sagt Persson, 50. „Ich wehre sie nicht ab. Auch in unserer Musik gibt es unter der schönen Oberfläche, dem jubilierenden Pop, viele Zweifel, starkes Misstrauen. Ängste.“ Beim Eurovision Song Contest in Malmö, dem 50. Jahrestag des Abba-Grand-Prix-Siegs mit „Waterloo“, wurden die Cardigans für einen Auftritt angefragt. Nicht nur, weil sie Lokalhelden sind. Sie gelten wie Abba als „Markenbotschafter des Landes“, hätten sich erstmals einem Millionenpublikum präsentiert. „Letztlich lehnten wir ab. Uns wurde klar, dass der ESC zu politisch, zu kontrovers, zu spannungsgeladen werden würde.“
Mit „Emmerdale“ galten die Cardigans – neben Persson sind das Lars-Olof Johansson (Keyboards), Bengt Lagerberg (Drums) sowie Magnus Svenigsson (Bass) – und Happy-go-lucky-Songs wie „Rise and Shine“ als Naturromantiker aus einer Region, wo im Sommer keine Dunkelheit herrscht. Nach „Lovefool“ begann 1996 ihre kurze Weltkarriere. Das Lied wurde im Soundtrack von Baz Luhrmanns „Romeo + Juliet“ platziert, dem neben „Trainspotting“ und „Pulp Fiction“ populärsten Song-Score des Jahrzehnts. Darauf folgte das „Gran Turismo“-Album mit Singles wie „Erase/Rewind“, die Cardigans traten elektronischer auf, cineastischer, amerikanischer. Ihre damalige Version von „Das Model“, von Persson in akzentfreiem Deutsch gesungen (sie lernte Deutsch sechs Schuljahre lang), steht der traurigen Kühle von Kraftwerk in nichts nach.
The Cardigans – „Das Model“:
Die Beatles haben B-Seiten, die die A-Seiten übertrumpfen. Die Cardigans haben sie auch. Gerade ihr größter Hit „Lovefool“, das zeigt auch die neue Kollektion, wurde von zwei B-Seiten-Klassikern flankiert. „Nasty Sunny Beam“, sowie, und das sollte ihr Image prägen, „Iron Man“– die Coverversion eines Black-Sabbath-Evergreens. „Meine Stimme galt als jugendlich, sehr feminin, manche fanden: Sie klang naiv“, sagt Persson. Ich jedoch sah meine Stimme als geheime Waffe.“ Mit der sie sich als Frau durch eine, wie sie sagt, „Goldmine“ grub. „Mit dieser Stimme wühlte ich mich durch die Rockmusik der Männer. Mir macht es Spaß, Macho-Lieder zu covern. Ich mache eindimensionale Songs zu zweidimensionalen. Dazu muss ich den Text nicht ändern. Ich muss ihn lediglich rezitieren.“ Sabbath-Sänger Ozzy Osbourne war begeistert. „Er nannte unsere Version ‚fucking creepy‘“.
The Cardigans – „Iron Man“:
Die mittleren Jahre 1990er-Jahre fielen in die schreckliche Zeit des „Easy Listening“, die entgegen populärer Annahme nicht ein Genre ist, sondern eine Behauptung. Sie umschreibt Hörgewohnheiten plus den Drang zu vereinfachter Kategorisierung von Musikhistorie. Dass Antonio Carlos Jobim nicht nur unter Bossa nova, sondern auch „Fahrstuhlmusik“ notiert wird, ist nicht seine Schuld.
Alles wurde Austin-Powers-like. Der Komiker Mike Flowers coverte „Wonderwall“, und selbst heutige Novelty-Bands wie Nouvelle Vague machen ausschließlich das: betont lässige Latin-Versionen von melancholischen Achtzigerjahre-Hits. Die Cardigans wurden, auch durch Bossa-Cover wie „Iron Man“, „Mr. Crowley“ (ebenso von Sabbath) oder ihre Fassung von Thin Lizzys „The Boys are Back in Town“ in den Trend eingemeindet.
„We don’t operate on irony“
„Manche urteilten, wir wären eine Easy-Listening-Band“, sagt Persson. „Und große Ironiker. Diese Kritiker könnten nicht weiter von der Wahrheit entfernt sein. We don’t operate on irony.“ Ein späteres Solo-Lied Perssons hieß „This is Heavy Metal“ – und war eine Klavierballade. Schwere liegt im Herzen, nicht in der Musik.
„Sag niemals nie“ lautet ihre Standardantwort auf Fragen nach einem Studio-Comeback der Cardigans. Perssons letztes Werk, das Kooperationsalbum „The Great White Sea Eagle“ mit James Yorkston, erschien 2022. „Als reine Liveband zu überleben wäre für die Cardigans angenehmer, als ein Teil der Musikindustrie zu sein. Einfach nur reisen, nicht diskutieren. Keine Imagepläne schmieden.“ Sie hofft, dass die Cardigans nicht als Nostalgieband wahrgenommen werden. Auf der Bühne lächelt Nina Persson oft an unerwarteten Textstellen. Die alten Lieder arbeiten in ihr. Es wirkt, als habe sie mit ihnen noch lange nicht abgeschlossen.
Fun Facts
Ihr Ehemann ist Nathan Larson, Gitarrist von Shudder To Think. Mit ihm gründete sie 2001 die Band A Camp. Sie haben einen 14-jährigen Sohn.
Perssons einziges Soloalbum „Animal Heart“ erschien 2014. Ihr größter Spotify-Hit ist ein mit Jill Johnson gesungenes Cover: Dolly Partons „Why’d you come in here looking like that“, rund 4 Millionen Streams.
Perssons größter Single-Hit: Ein 2007er-Duett mit Manic Street Preachers, „Your Love Alone Is Not Enough“, Platz zwei in den UK-Charts.