Nimm uns mit, Käpt’n James!
Kiffende Nichtsnutze, die sich wie Kinder aufführen - und die fantastischsten Lieder für Seeräuber und Morgentau-Wanderer spielen: The Coral aus Liverpool
Innendrin sind das Kinder, die sich ihren Kindertraum erfüllt haben. Keinen Rock-Traum, keine Luftgitarre und keine Schnuten-Grimassen vor dem Spiegel. Obwohl The Coral als Teenager, als sie mit der Band angefangen haben, schon daran dachten, daß man so am besten hübsche, blasse Mädchen abbekommt. Das ist ansonsten schwierig für die Mitglieder einer Jungsclique auf dem nordenglischen Land, in der vor allem Gras geraucht und ferngesehen und ein kleines bißchen Fußball gespielt wird.
Der Traum, den The Coral sich erfüllt haben, ist ein ganz lebenspraktischer. Sich die schönen Seiten des Jungseins bewahren zu können, nicht jeden Tag zur Arbeit zu müssen und sich daher nicht wie ein Erwachsener und gewöhnlicher Beiträger zum Bruttoinlandsprodukt zu fühlen. Für die eigenen Spinnereien auch noch Geld zu kriegen. Auch wenn diese Attitüde viele Leute enttäuscht, die das Lyrische, den künstlerischen Anspruch und die Hingabe in der Musik sehen.
An einem Abend Ende April, noch vor Veröffentlichung der neuen Coral-Platte „The Invisible Invasion“, ist das Astoria in London selbstverständlich ausverkauft, und die Band tritt dieser irren Kulisse entgegen wie ein Schulorchester. Sieben Leute auf der Bühne, links vorne einer zwischen drei Orgeln, links hinten der mit dem Orff-Instrumentarium, die Gitarristen haben die Instrumente weit hochgeschnallt Sänger James Skelly schüttelt sein Schöpfchen nur dann, wenn die Band den Beat verläßt und in eine wilde Seeräuber- oder Gruselfilm-Passage springt. Das neue „Arabian Sands“ ist alter Rhythm’n’Blues, bei „Pass It On“ weinen alle außer den Musikern, denn sie haben es sich ausgedacht. The Coral reißen dem britischen Pop die Federn aus und basteln sich einen tollen, großen, bunten, eigenen Papageien daraus.
„Mit ihnen vernünftig arbeiten zu müssen, ist ein Alptraum“, meint ein Betreuer, der seinen Namen nicht sagt und deshalb nicht namentlich genannt wird. „Einmal ist der eine plötzlich verschwunden, dann der andere. Es ist mir völlig schleierhaft, wie sie es schaffen, beim Auftritt alle gleichzeitig auf der Bühne zu sein und dann zusammen diese unglaubliche Musik zu spielen.“
The Coral wohnen noch immer in Hoylake, von Liverpool aus quer über den River Mersey, wo sie ihre Ruhe haben und nachmittags rauchen, Beefheart- und Bert-Jansch-Platten hören und Filme schauen können, „Scarface“, Fellini, Cocteau. Wie als Kinder, nur blendend geschmackssicher. „Franz Ferdinand? Hmm, ist nicht so meine Welt“, mummelt der süße Skelly im Hotel am Morgen danach. „Ich hab kein MTV und kein Radio. Nicht so wichtig.“ Man muß vielleicht dazusagen, daß The Coral in England eine richtig große Band sind, daß das letzte richtige Album „Magic & Mediane“ dort Nummer eins war. Die fusionierte Sony BMG erwartet sich viel von der neuen Platte, halt nur in England, weil sich für Liverpool-Pop im Ausland keine Anstrengung lohnt „Amerika?“ gähnt Skelly. „Es ist zu groß. Vielleicht sollten wir uns auf bestimmte Landstriche konzentrieren. Wir könnten big in Utah sein.“
Damit die Buben doch mal rauskommen, sind sie zum Einüben der neuen Lieder erst in ein einsames Haus im Lake District gefahren – „Wir haben Lagerkoller gebraucht!“ – und trafen sich dann in Liverpool zum Produzieren mit den zwei Männern von Portishead, Geoff Barrow, Adrian Udey. Die aber lustigerweise auf „The Invisible Invasion“ keinerlei Spuren hinterlassen haben. „Äääh, sie haben irgendwas am Baß rumgedreht, soweit ich weiß.“ Ja? Sie haben zumindest nichts kaputtgemacht an den wie immer fantastischen Liedern, an The Corals großer Welt- und Wasserflucht, am Morgentau-feuchten „In The Morning“, ihrer besten Single überhaupt. Wie die nichtsnutzigen kleinen Strolche das machen, weiß man nicht. Klar sei es anstrengend, jetzt wieder ständig unterwegs zu sein, sagt James Skelly. Aber es sei doch irgendwie besser, als im Supermarkt zu schuften.