Nichts von diesem Geld
Moses Pelham will den Alleingang seines einstigen Schützlings Xavier Naidoo mit den Söhnen Mannheims verhindern - doch der wehrt sich
Die Visiere sind heruntergelassen: Der gottesfürchtige Mannheimer Xavier Naidoo ist als Kreuzritter in eigener Sache unterwegs und kreuzt mit seinem Entdecker Moses Pelham, dem Alleinherrscher des Rödelheimer Labels 3p, die juristischen Klingen. Stein des Anstoßes: Naidoo (29), 1999 der erfolgreichste Sänger Deutschlands, pocht vehement auf eine Klausel in seinem Vertrag mit dem gewichtigen Rap-Mogul, die ihm das Arbeiten mit seiner bereits 1996 gegründeten Band Söhne Mannheims (SM) ermöglichen soll – festgeschrieben im Mai 1998, zu einem Zeitpunkt, als noch niemand die Phantasie aufbrachte, sich den kometenhaften Aufstieg des früheren Türstehers überhaupt vorzustellen.
Während 3p Naidoo mit Einstweiligen Verfügungen bombardiert, hat der inzwischen seinen Künstlervertrag bei Moses P. und Co. fristlos gekündigt und seine Solo-Karriere damit vorerst auf Eis gelegt. Die Geister scheiden sich daran, wie das Arbeiten mit dem Mannheimer Band- und Firmenprojekt konkret aussehen soll: Während Naidoo Pläne schmiedete, ein eigenes Studio sowie Vertriebsstrukturen aufzubauen, schienen die Rödelheimer die Angelegenheit so väterlich zu belächeln wie die ersten tapsigen Schritte eines putzigen Babys. „Die haben nie richtig zugehört, wenn ich von meinen Plänen geredet habe“, meint Naidoo. Erst als das beste Pferd im 3p-Künstlerstall dezent zu bocken begann und die Füße partout nicht mehr ausschließlich unter den Tisch Moses Pelhams stecken wollte, ging dem gelegentlich mächtig affektinkontinenten Rap-Paten ein Licht auf: Das mehrfach preisgekrönte Pop Huhn drohte, seine goldenen Eier auch im Alleingang zu versilbern. Den finanziellen Aspekt sieht Naidoo allerdings keineswegs im Vordergrund: „Wir möchten Autonomie. Außerdem: Söhne Mannheims – das geht nicht von Frankfurt aus.“ Er wolle sich das ganze Know-how des Musikbusiness selbst erarbeiten: „Von der Produktion bis zum Veranstalten von Konzerten möchten wir Fachleute werden. Damit uns niemand mehr etwas vormachen kann.“ Dabei betont der Sänger mit der gospelgeschulten Stimme, dass er nie vorhatte, 3p als Solokünstler zu verlassen: „Unser Album „Zion“ liegt seit anderthalb Jahren fertig in der Schublade. Das sagt doch eigentlich alles. Ich habe alles versucht, mich gütlich zu einigen“, beteuert Naidoo und vergisst nicht darauf hinzuweisen, dass er seinen vertraglichen Verpflichtungen nachgekommen sei: „Meine zweite Solo-Platte für 3p ist ja fast fertig.“ Bloß gekündigt hat er eben.
Die Auseinandersetzung eskalierte Mitte August, als die Söhne eine Single mit der Mannheimer Sängerin Yvonne Betz auf den Markt bringen wollten, bei der Naidoo als Autor und Background-Sänger mittat. SM-Keyboarder Michael Herberger versichert, dass 3p dieses Produkt schon Anfang des Jahres vorgestellt worden sei. Zeit genug, Bedenken anzumelden, sollte man meinen. Zumal wenn die Protagonisten eines Konflikts eng befreundet sind, wie im Fall Pelham und Naidoo. „Von meiner Seite aus war das zumindest so“, erklärt der Sohn eines Südafrikaners indischer Herkunft Aus dem kurzen Dienstweg unter Kumpels wurde eine ziemlich lange Leitung – die Einstweilige Verfügung gegen die Betz-Single traf die Söhne in allerletzter Minute, am Tag der Veröffentlichung. Die Vertriebsfirma der Wahl, in diesem Fall Eastwest, schickte fast 50 000 Platten in den Reißwolf – und Naidoo seinen 3p-Vertrag gleich hinterher.
Den Gnadenschuss bekam die röchelnde Beziehung Anfang September verpasst. Der zu diesem Zeitpunkt von Schlagzeilen um Drogenkonsum und diverse Verkehrsdelikte gebeutelte Naidoo durfte den Zeitungen entnehmen, dass er auf der Expo bei einer Gala am Tag der Gewerkschaften 10 000 Fans versetzt habe – ohne Absage sei er in Tirol abgetaucht. Daraufhin machte der Mannheimer seine Kündigung öffentlich und stellte klar, dass er 3p schriftlich von seinem Nichterscheinen in Kenntnis gesetzt hatte. Nach der Einstweiligen Verfügung sei für ihn klar gewesen, „dass ich keinerlei Konzerte mehr für 3p geben würde“. Da die Rödelheimer die Veranstalter des Expo-Konzerts buchstäblich bis zur letzten Sekunde im Ungewissen gelassen hatten – wie Gewerkschaftssprecherin Anne Graef bestätigt -, setzte es eine satte Betrugsklage für Pelham Power Productions.
Da beide Konfliktparteien den Vertrag hüten wie ihre Augäpfel, muss man über den Ausgang der gerichtlichen Auseinandersetzung spekulieren: „Wenn 3p ihm die Arbeit mit den Söhnen Mannheims vertraglich eingeräumt hat, dann kann ihr Verhalten mit den Einstweiligen Verfügungen durchaus Grund genug für eine fristlose Kündigung sein. Die Freigabe-Klausel ist schließlich Bestandteil des Vertrags, ohne den Naidoo wahrscheinlich gar nicht unterschrieben hätte“, erklärt Eberhard Schmidt, Spezialist für Urheber- und Musikrecht bei der Kölner Anwaltskanzlei Trummler & Kollegen. Letztlich komme es aber auf die „Pfiffigkeit“ der Juristen an: „Man kann auch Argumente für die Gegenseite finden.“Ja, ja, vor Gericht und auf hoher See – aber wer sollte sich mit „Gottes Hand“ besser arrangieren können ab der „Nicht von dieser Welt“-Sänger Xavier Naidoo?
Laut Hamburger Landgericht durfte Universal eine 5000er-Auflage der ersten Söhne Mannheims-Single „Wir haben euch noch nichts getan“ in den Handel bringen. Ein Teil der 30 000 Exemplare der Nachfolge-Maxi „Geh davon aus“ kam vor zwei Wochen wiederum mit Hilfe desselben Vertriebspartners in die Läden – allerdings kauft Universal wie eine Art Großhändler bei der Söhne-eigenen Vertriebsfirma DKSMS ein. Eine zweite juristische Probe aufs Exempel folgt am 27. Oktober. Dann entscheidet das Mannheimer Landgericht über die Rechtmäßigkeit der Einstweiligen Verfügungen aus dem Hause 3p – und damit auch über die Zukunft der Band.
Band ist im Zusammenhang mit den Söhnen Mannheims eigentlich untertrieben: Das Aufgebot von 17 Musikern hat fast Orchesterstärke – „die alle unter einen Hut zu bekommen, ist das Reizvolle“, findet Obersohn Naidoo. Das Interview mit vier der Stammhalter Mannheims begibt sich bei einem Griechen in der Mannheimer Innenstadt – und trotz des juristischen Damoklesschwerts über dem Projekt lässt sich der Enthusiasmus der Musiker fast mit Händen greifen. Selbst Routinier Ralf Gustke, seit seiner Arbeit mit Wolf Maahn, Chaka Khan, Sabrina Setlur und Naidoo einer der begehrtesten deutschen Trommler, schwärmt von der Aufgabe, „diese vielen Charaktere zusammenzubringen, zu einem wirklich schillernden…“ – „Kompott?“, ergänzt Naidoo grinsend „Nein, ich würde es Lebewesen nennen.“ – „Vielleicht so wie Grateful Dead„, gibt der Schlagzeuger zurück. Die jeweils doppelte Besetzung an Keyboards, Drums und Gitarre eröffne ungeahnte Möglichkeiten: „Wir haben verschiedene Wirkungsbereiche und Vorlieben. Wenn zum Beispiel der eine Keyboarder die Streicher-Elemente tönen lässt, kann der andere normal weiter spielen“, erklärt Gustke.
Dass die Arbeit mit einer derart üppigen Zahl von Musikern eine Gratwanderung ist, haben die allerersten Konzerte der Söhne gezeigt. „Nach fünf Gigs geht es aber immer“, meint Naidoo. Auch Gitarrist Michael Koschorreck sieht das locker: „Man muss Risiken eingehen, sonst wäre das Ganze ja so so perfekt und klinisch tot wie eine Broadway-Show. Das Unerwartete sollte passieren können.“
Prominente Fans haben die Söhne auch schon gewonnen: Auf dem Nürburgring kündigte sie Impresario Marek Lieberberg als seine Lieblingsband und „die Zukunft der Musik“ an. „Danach hätten wir uns fast nicht mehr auf die Bühne getraut“, freuen sich die Söhne über den Zuspruch des überaus wendigen Konzertveranstalters.
Dabei sehen sich die Söhne musikalisch erst am Anfang ihrer Entwicklung: „Wir begreifen das als Prozess“, erklärt Koschorreck. „Es sind ja auch so viele Prozesse im Gange“, spielt Xavier Naidoo mit sarkastischem Lächeln unter der HipHop-Wollmütze auf sein aktuelles Arbeitsbeschaffungs-Programm für Rechtsanwälte an. Nachdem die Polizei bei einer Durchsuchung im Hause Naidoo Marihuana gefunden hatte, muss der Sänger mit einer Anklage rechnen – zusätzlich zu dem Prozess, der ihm wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis droht. Ein Delikt, das ihm schon einmal fünf Monate auf Bewährung eingebracht hat.
Die Musik spielt bei den Söhnen zwar die erste Geige, aber zu ihrer Philosophie gehören auch andere Aspekte: „Das Multikulturelle ist das Beste an der Gruppe“, findet Gustke. Wenn die bunt gemischte Truppe mit Musikern verschiedenster ethnischer Herkunft aus Deutschland, den USA, Jamaika oder Barbados unter dem Etikett Söhne Mannheims über die Bühne tobt, verbreite das eine Botschaft von Liebe, Toleranz und Harmonie. „Man ist eben nicht mehr Deutscher, so wie man sich Deutsche vorstellt“, verkündet Naidoo. „Wenn die Leute bei unseren Konzerten zusammenfinden, haben wir erreicht, was wir wollen.“ Bitter nötig in Zeiten, in denen Brandenburger Naidoo-Fans Hilfe suchen, weil sie wegen ihrer musikalischen Vorliebe von Nazis bedroht werden.