New Voices Vol. 33 – Die CD im Rolling Stone

SCHWEDEN MIT SEELE

Von einer Band mit dem Namen MONSTER ist eigentlich zu erwarten, dass sie uns lautstark das Fell über die Ohren zieht. Doch das Sextett aus dem schwedischen örebrö gebärdet sich überhaupt nicht monströs, sondern favorisiert vielmehr den süßen Soul der Sechziger, plündert Motown und Stax und klingt am Ende trotzdem wie eine britische Garagenband. Das hört sich nach einem ziemlichen Durcheinander an? Stimmt. Monster, deren Debüt-Album „Gone, Genie, Gone/ABash Dem „in nördlicheren Gefilden bereits ordendich mit Lob überschüttet wurde, gehen mit soviel Charme ans Werk, dass gewisse Ungereimtheiten Spaß machen statt zu stören. Eine bemerkenswerte Band.

MUSIK FÜR MILLIONEN

Football’s coming honte… Ach, es ist schon ein Kreuz: Da schreibt man einmal eine Fußball-Hymne, und dann wollen alle plötzlich nur noch „Three Lions“ hören. So geht’s nicht, dachte sich Ian Broudie, Chef der britischen Pop-Veteranen THE LIGHTNING SEEDS, und vollzog daher mit seinem neuen Album „Till“ eine radikale Kursänderung in Richtung Elektronik. Zwischen allen Samples und Loops sind die kräftigen Hooks und Melodien jedoch nicht untergegangen. Seinem Schicksal kann man halt nicht entfliehen.

AUSNAHM EGIRLIE

Den kompletten Titel ihres zweiten Albums hier zu nennen, würde den bescheidenen Text-Rahmen sprengen. FIONA APPLE meldet sich nach drei Jahren mit einem Paukenschlag zurück aus der Versenkung. „When The Pawn…“ knüpft zwar genau dort an, wo der millionfach verkaufte Vorgänger „Tidal“ so exzellent aufhörte, präsentiert die mittlerweile 22-jährige Pianistin, Sängerin und Songschreiberin jedoch in noch besserer Form. Fionas Ideenreichtum kennt scheinbar keine Grenzen, wenn es darum geht, Streicher mit Drum-Loops, Jazz mit Hip-Hop oder purem Pop zu vermischen. Eine echte Ausnahmeerscheinung…

ALTER UNBEKANNTER

ROBERT McEN-TEE ist einer dieser Männer, deren Namen man nicht kennt, obwohl man seine Musik schon oft gehört hat. McEntee spielte nicht nur in den Bands von WiÜie Nelson und James Taylor, sondern bildete zusammen mit Mark Hallman auch die langjährige Begleitband von Carole King. Mit „Preserring The Error“ Veröffentlicht der bekannte Unbekannte nun sein erstes eigenes Album voll purem Roots-Rock.

SPANISCHE MOMENTE

Bloß nicht so lange fackeln: Nach seinem letztjährigen Erfolg von „Sleeps With His Guitar“ hat PAT MACDONALD sich für sein zweites Solo-Album nicht viel Zeit lassen wollen. Dass „Begging For Graces“ dennoch kein Ausschussmaterial beinhaltet, spricht mal wieder für die vielfach unterschätzten Qualitäten des Ex-Timbuk 3-Mitglieds. Sollte einem das Hauptthema der Platte etwas spanisch vorkommen, muss das nicht erstaunen: MacDonald produzierte sein großartiges neues Werk zusammen mit John Parish (PJ Harvey) in Barcelona.

TEXANISCHE KLASSIK

Nach seinen beiden eher traditionellen Blues-Alben veröffentlicht der Nachwuchs-Gitarrist TEDDY MORGAN mit „Lost Lore & Highways“ ein Album, das seinem Texas-Sound einige Facetten hinzufügt: Wie es sich für einen texanischen Guitarrero gehört, der vom

fabubus thunderbirdKim Wilson in die brodelnde Musikszene Austins eingeführt wurde, vermengt Morgan Stile wie Swamp Sound, Rockabilly, Psycho-Blues und Country zu einem ziemlich magischen Gebräu, das in erster Linie losrockt. Klar, dass Teddy Morgan dabei mit klassischer Besetzung (Schlagzeug, Bass, Gitarre) und seinen kratzigen Vocals auskommt. Ein schlichtes Meisterwerk.

HOFFNUNGSTRÄGER Gibt es irgendwo in Deutschland denn noch poppige Rockmusik, die nicht von Liquido, Fury und anderen Weichspülern stammt? Klar: GUZ alias Big Olifr M., Sänger der Aeronauten und Solokünstler, stemmt sich mit Macht gegen die Gleichschaltung unseres Geschmacks. Sein neues, bereits drittes Album JVeDo Wie Du “ ist soeben erschienen und bietet, neben jeder Menge skurriler Texte und launiger Erzählungen, eine äußerst unterhaltsame Exkursion in die Tiefen des simplen Garagenrocks. Scheppernd, krachend und selbstverständlich stets Lo-Fi, hangelt sich GUZ damit vom obskuren Außenseiterstatus in ganz andere, höhere Sphären. In ein paar Jahren, so mauscheln schon die Auguren, könnte der Mann ein Superstar sein. Und warum? Vielleicht, weil er nicht versucht sich zu verstellen…

EXORZISMUS MIT SOUL

Und da wir gerade bei den kommenden Superstars angelangt sind: Mit MAKE UP wird definitv zu rechnen sein, seit die wahnsinnigen Psycho-Rocker aus Washington dieser Tage ihr sechstes Album veröfFendicht haben. „Sare Yourself bannt die unglaubliche Live-Energie der Band um den notorisch paranoiden Frontmann Ian Svenonius aufPlatte, während sie gleichzeitig erstmals die Geschwindigkeit gedrosselt hat Was vormals noch unter rumpelndem Punkrock begraben lag, offenbart sich nun als strahlend schöner Soul und ziemlich schräge Psychedelik. Svenonius kreischt und plärrt dazu, als ginge es darum, den Teufel auszutreiben. Und das stimmt womöglich auch. Der Song „Cmon Let’s Spawn“ ist nur ein Highlight auf diesem bahnbrechenden Album.

IRONISCHER PATRIOT Ist das Patriotismus oder lediglich Spinnerei? JOHN LINNELL, gerade noch bekannt als die eine Hälfte des genialischtr, Pop-Duos They Might Be Giants, widmet jedes der 16 Stücke seines Solo-Albums „State Song“ einem US-Bundesstaat. Dass dabei kein Auge trocken bleibt, dürfte angesichts der Schräglage früherer Giants-Werke offensichtlich sein. Nebenbei ist – trotz all der Ironie – ein handwerklich ausgereiftes Stück Indie-Pop entstanden, dessen Melodien-Vielfalt schier grenzenlos ist Wer Ween liebt und die Presidents Of The USA vermisst, wird an Linneü nicht vorbei kommen.

UNGESCHLIFFENE INDIES Von „Something ToWriteAbout“

haben THE GET UP KIDS mehr als genug. Als aufrechte Vertreter des eigentlich längst kommerzialisierten College-Rock/Emo-Core -Genres, klingen die vier ausgeschlafenen Indie-Kids aus Kansas wie eine knackfrische Pre-Jlris“-Version der Goo Goo Dolls: unglaubliche Melodien, sägende und krachende Gitarren, Herzschmerz und zuviel Freizeit – das ist der gute und bewährte Stoff, aus dem die Songs ihres neuen, zweiten Albums mit oben genanntem Titel sind. Da gibt es natürlich Leute, die prophezeien den Get Up Kids bereits eine glorreiche Zukunft in den Charts. Folglich sollte man sie hören, solange sie noch so gut und ungeschiffen wie heute sind.

POLAR-POP Aus der Provinz von Kansas direkt nach Irland. Dort gibt es eine Band, die nicht erst seit ihren überzeugenden Auftritten in dem Vorprogramm von Supergrass zu den aufregendsten RockBands der Insel gezählt wird. SNOW PATROL, bestehend aus Gitarre, Bass, Drums und DJ, haben mindestens genauso viele Pop-Tunes im Gepäck wie ihre ätherischen Labelmates Belle SC Sebastian, sind aber temperamentvoller. Auf ihrem Debüt-Album „Songs For Polarbears “ geht es folglich nicht so unterkühlt zu, wie man denken könnte. Im Gegenteil: Das inzwischen nach Schottland umgezogene Quartett eifert Vorbildern wie Blur nach, um alsbald den Titel „Britpop-Hoffhung“ tragen zu dürfen. Eine mehr als wahrscheinliche Perspektive für diese intelligent rockende neue Band.

FOLKIE AUF ABWEGEN H.is muss recht merkwürdig gewesen sein für einen Mann aus einem Trailerpark in Lorain, Ohio, sich in Schottland wiederzufinden, um mit Musikern von Arab Strap oder Appendix Out sein neues Album „The Lioness“aufzunehmen. Jason Molinas Projekt SONGS: OHIA hat der Tapetenwechsel jedoch gut getan. Litten seine früheren Platten oft an derselben, hoffnungslosen Kargheit, die wir aus ähnlichen Elaboraten Will Oldhams kennen, so enthält das neue Werk eine ungewohnte, aber angenehme Wärme. Von Optimismus jedoch kaum eine Spur. Als einer der authentischsten Interpreten der „Lo-Fi Folkies“ ist Melancholie Pflicht, auch wenn es ausnahmsweise keine Great Plains sind, die hier die endlose Einöde des Lebens repräsentieren, sondern die schottische Highlands. Dort hat Molinas traditionell instrumentierter Folksound zudem ein etwas europäischeres Musikgewand und einige Drum-Loops verpasst bekommen.

TRIP INS GLOBALVILLAGE Was hegt einem in Brasilien geborenen New Yorker näher, als die Rhythmen seines Herkunftslandes avantgardistisch zu dekonstruieren? Dem Noise-Jazzer ARTO LINOSAY, der bereits auf früheren Alben mit elektrifiziertem Bossa Nova oder schrägem Brasil-Pop experimentierte, ist mit seinem neuen Album „Prke“ eine faszinierende Stilmelange gelungen, die dazu animiert, seherisch in die Zukunft der Popmusik zu blicken. Bei Lindsay treffen südamerikanische und asiatische Folklore auf westliche Song-Standards und elektronische Klang-Gerüste. Was dabei herauskommt, muss eigentlich Weltmusik heißen, hat aber mit den üblichen Assoziationen dieses Begriffes wenig bis gar nichts zu tun. Mit „/Vi?e“ fuhrt uns Arto Lindsay auf einen musikalischen Trip ins Global Village, der absolut süchtig macht SCHWARZES GEWISSEN Zweifellos: An der nordamerikanischen Westküste, besonders in der Bay Area um San Francisco, passierten im vergangenen jaiir aufregende Dinge. Unter anderem meldeten sich BLACK-ALICIOUS fünf Jahre nach der aufsehenerregenden B iWeW»cö -i -EP mit einem Album zurück, das die ohnehin offenen Genregrenzen noch einmal kräftig ausweitet Auf J^IA“ versprühen die beiden Blackalicious-Macher Gift Of Gab und Chief X-Cel nun soviel Spirit, dass es an allen Ecken und Enden vibriert Black Consciousness, Malcom-X-Zitate und Stolz auf die afrikanische Abstammung werden hier nicht nur als plakative, aber leere Formeln benutzt, sondern eingebettet in ein Klanguniversum, das zwischen trägen Beats und schnittigen Raps pendelt HipHop mit Strahlkraft SONDERLICH SCHON In Weilheim ticken die Uhren anders, könnte man vermuten. Denn aus der westdeutschen Kleinstadt kommen sehr sonderliche Geräusche, produziert von den Gebrüdern Micha und Markus Acher. Als The Notwist erhielten sie bereits alle möglichen Kritiker-Ehrungen ein, doch ihre wahre Berufung offenbaren sie erst eingebunden in das – sechsköpfige -TIED + TICKLED TRIO. Auf dessem zweiten Album JiAl EA2″ werden Jazz und Elektronik in einer wahrlich unerhörter Weise vereint und der flächendeckende Saxofon-Sound der Siebziger als Basis für Verschmelzungen mit den klackernden, puckernden Notwist-Tönen verwendet Kurz und knapp: Herbie Hancock meets Steve Coleman in Weilheim-. Cool!

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