New Noises Vol. 62
Auf den "New Noises" ist einiges durcheinander geraten: Coverversionen stehen neben ihren Schöpfern, die wiederum mit anderen Covers vertreten sind, Britpop-Helden verkleiden sich, ein Elektro-Song handelt von der Gang Of Four und Mark Gardener von den Gitarrenheroen Ride macht auf Techno.
1. Tragisch, dass der erste Track der „New Noises“ zwar neu, sein Schöpfer aber bereits im letzten Jahr verstorben ist Noch tragischer, dass es sich bei dem zugehörigen Album „Streetcore“ von Ex-The Clash-Mastermind JOE STRUMMER und seinen MESCALEROS um ihr bestes Werk handelt. Der Opener „Coma Girl“ lässt sogar tatsächlich wieder an glorreiche Punk-Zeiten denken und zeigt Strummer auf der Höhe seiner Kunst. Die Weltund Folkmusikeinflüsse der letzten Platten sind hier wieder der Liebe zum guten alten Rock‘ n’Roll sowie zum Reggae und Rocksteady gewichen. Da kann man sich bei aller Trauer freuen, dass kürzlich noch einige fast vollständig eingespielte Joe-Strummer-Songs gefunden wurden. Einer der anrührendsten Momente auf „Streetcore“ ist allerdings Strummers rein akustische Version von Bob Marleys „Redemption Song“, die eigentlich als Duett mit dem anderen großen Verlust der letzten Monate, Johnny Cash, geplant war und als solches auch auf dessen „Unearthed“-Boxset noch in diesem Jahr erscheinen wird.
2. Die Liebe zum Rock’n’Roll teilt Strummer mit vielen, unter anderem auch mit RYAN ADAMS, der gleich sein neues Album so nannte, wobei man bei dem Sound dieser Songs eher an die 80er Jahre, denn an 50s-Rock oder 70s-Punk denken muss. Der unermüdliche Adams hatte bereits ein neues Album mit dem Titel „Love Is Hell“ fertig, als ihm die Ideen zu diesen epigonalen Songs kamen, die ganz aus der Liebe zur Musik seiner Jugend geboren scheinen (in ,4974″ besingt er sein Geburtsjahr). Die Plattenfirma freute sich und brachte „Rock’n’Roll“ gleich raus, während sie „Love h Hell“ in zwei EPs zerstückelte, die ebenfalls noch in diesem Jahr erscheinen bzw. erschienen sind. Ober diese Veröffentlichungspolitik kann man geteilter Meinung sein, Adams‘ Kreativität macht zumindest staunen.
3. Auch der wohl mindestens ebenso talentierte RUFUS WAINWRIGHT kann von den Launen der Plattenfirmen ein Liedchen singen. Sein „Want“-Album wurde ebenfalls in zwei Teile geteilt: Der erste Teil, „Want One“, der die zugänglicheren Songs enthält („Want Two“ mit den komplexeren Stücken soll im nächsten Jahr folgen), sei sein letzter Versuch, nach dem großen Publikum zu schielen, verkündete Rufus Wainwright unlängst. Doch man kann berechtigte Zweifel hegen, ob Perlen wie „I Don’t Know What It Is“ ihren Weg in die Charts finden werden – zu schön womöglich, zu elaboriert, zu opulent und zu sophisticated mag dieser symphonische Pop für viele erscheinen.
4. Etwas zurückhaltender : geht der ehemalige Bassist der neuseeländischen Pop-Feingeister The Mutton Birds, Alan Gregg alias MARSH-MALLOW, zur Sache. Sein perfekter sonniger Gitarren-Pop geht ohne große Umwege direkt ins Herz und vor allem ins Ohr. Das selbstbetitelte erste Marshmallow-Album hat süperbes Songwriting, feinste Melodien, schönste Harmonien – zehn filigrane Popsongs ohne ein Gramm Fett zuviel. Kein Wunder, dass Gregg mittlerweile unter anderem Ron Sexsmith und die Go-Betweens zu seinen Fans zählt.
5. Süchtig machende Gitarrensongs sind auch das Metier der Emo-Rocker von DASHBOARD CONFESSIONAL. Oft muss man lesen, sie hätten das Zeug, das Indie-Phänomen EmoCore in den Mainstream zu pushen. Dabei vergisst man natürlich, dass die fabelhaften Weezer das schon längst besorgt haben. Nichtsdestotrotz wird das neue Dashboard-Confessional-Album mit dem fabelhaften Titel „A Mark, A Mission, A Brand, A Scar“ wohl weit über das Genre hinaus tönen. Schließlich ist es ihr bisher bestes. Da spielt es keine Rolle, dass sich Chris Carrabbas Songs seit dem Debüt „The Swiss Army Romance“ vor drei Jahren nicht aus der Adoleszenten-Perspektive wegbewegt haben. Die Weiterentwicklung überlässt er anderen.
6. Das kann man von den ü&l Mitgliedern von RELAXED MUSCLE, die ihre dunkle Kunstschulen-Electronica selbst als „the new sound of Doncaster“ bezeichnen, nicht behaupten. Denn schaut man mal hinter die Pseudonyme Darren Spooner und Wayne Marsden. stellt man fest, dass es sich hier um alte Bekannte handelt, die auf dem Album mit dem treffenden Titel „A Heary Night With…“ eine ziemliche Wandlung durchgemacht haben: nämlich um Ex-Pulp-Frontmann Jarvis Cocker und Richard Hawley, ebenfalls von Pulp-Gnaden, aber auch bei Add N to (X) und den Longpigs dabei, sowie in diesemjahr mit seinen torch songs im Vorprogramm der Go-Betweens solo unterwegs. Der Dritte im Bunde ist Jason Buckle, den man vielleicht von den Fat Truckers kennt.
7. Auch Gang Of Four sind Aütt natürlich alte Bekannte. Nur, dass es sich bei dem Beitrag auf diesen „New Noises“ nicht um einen Song der New-Wave-Könige aus Leeds handelt, sondern vielmehr um ein gleichnamiges Stück der Band OCKER aus Hamburg. Hört man ihr Album „1234 Love“ im stillen Kämmerlein, kommen einem schnell Platitüden wie „Soundscapes“ oder „Electro-Nerds“ in den Sinn – aber man soll schließlich ja auch dazu tanzen. Durchaus treffend beschreiben sie ihre Musik selbst in schönster Poesiealbumsprosa als „tanzbaren Elektro-Rock für Sonnenmilch und Wintertee“.
8. Apropos Nerds: Die sich zwischen Ambient, Chili Out und Dance bewegenden Technokraten JAM & SPOON gehen auf ihrem neuen Album „Tripomativ Fairytales 3003“ seltsame Verbindungen ein: So wird recht viel gesungen, aber nicht von irgendwein, sondern von Xavier Naidoo, Rae von Reamonn, Jim Kerr von den Simple Minds, Tricky und Dolores O’Riordan. Am gelungensten ist jedoch der Auftritt von Mark Gardener, Sänger der englischen Untergrundlegende Ride, die angeblich kurz vor der Reunion steht. Erstaunlicherweise klingt „Mary Jane“ tatsächlich weitaus mehr nach den Gitarrenwänden von Ride, als man das von einem Frankfurter Techno-Duo hätte erwarten können.
f»-tf; Natürlich ist es trotz allem Vi$. von dort noch ein weiter Weg zum Riff-basierten Gitarrenrock der DRIVE-BY TRUCKERS, handelt es sich hier doch um Traditionalisten. So veröffentlichten die Truckers vor zwei Jahren ein ausladendes Doppelalbum namens „Southern Rock Opern“, das jedoch mehr im Geiste von Lynyrd Skynyrd als Jesus Christ Superstar“ stand. Das jüngste Werk „Decoration Day“ zielt in die gleiche Richtung. Zwar ist es dieses Mal kein Konzeptalbum geworden, doch die Songs kreisen wieder allesamt um das Leben im tiefen Süden der Vereinigten Staaten.
10. Sie selbst sehen sich in der Nachfolge von Nancy Sinatra und Lee Hazlewood oder Serge Gainsbourg und Jane Birkin, und tatsächlich ist BRITTA PHILLIPS & DEAN WAREH AM – beide auch bekannt als Mitglieder der Band Luna, Wareham außerdem als Ex-Galaxie 500-Frontmann und Phillips als Ex-Belltower – unter der Regie des Bowie-Produzenten Tony Visconti ein ganz hervorragendes Werk gelungen. „lürentum“ ist voll überlegter, manchmal gar überlegener Coverversionen fast vergessener Perlen wie Buffy Sainte-Maries „Moonshot“, „Random Rules“ von den Silver Jews bis hin zu Madonnas „I Deserve It“ und berückenden Eigenkompositionen.
11. Während Dean Wareham also anderer Leute Songs covert, covern BRITISH SEA POWER sein „Tugboat“ aus Galaxie 500-Zeiten. Das gibt’s auf dem ganz hervorragenden Sampler zum 25. Geburtstag des Rough Trade-Labels, „Stop Me If You Think You’ve Heard This One Before…“ zu hören, auf dem neue Label-Acts alte Rough Trade-Künstler interpretieren. Adam Green und Belle & Sebastian covern jeweils die Young Marble Giants und Jeffrey Lewis die Television Personalitites. Seltsamerweise hat sich niemand die Mühe gemacht, dem Titel entsprechend einen Song der Smiths zu covern.
Sie covern zwar keine Songs, doch die Einflüsse des Songwriter-Ehepaars Karen und Don-Jterk von THE INNOCENT MISSION sind auf ihrem siebten Album „Befriended“ offensichtlich: Simon and Garfunkel und Fairport Convention. „Stellen sie sich eine amerikanische Astrud Gilberto vor, die ein Album mit BuffaloSpringfield macht“, schrieb ein amerikanischer Kritiker.