New Noises
Betörender Folk, infantiler TripHop, furioser Garagenrock, süßlicher 60s'Pop, ein erschütternder Blues, das gar nicht rückwärts gewandte Comeback einer großen alten Dame des Country und informierter Pop aus deutschen Landen. Wenn das kein guter Sommer ist, liegt es bestimmt nicht an den "New Noises".
01 Manchmal ist das Marginale, das nur so Hingeworfene viel kostbarer als das Ambitionierte, lang Erdachte, und nicht selten ist die Bonus-CD, die der Erstauflage eines neuen Albums beiliegt, viel lohnender als das Hauptwerk. Man denke an Dan Berns fantastische „Swastika“-EP oder eben jetzt an das Bonusscheibchen, das dem guten neuen Album der COWBOY JUNKIES,“One Soul Now“, beiliegt. Die Kanadier waren schon immer Meister der betörenden Coverversionen. Man denke an ihre Interpretation von Neil Youngs „Powderfinger“ oder an die ein oder andere behutsame und doch zwingende Bearbeitung eines Townes van Zandt-Songs. Ganz wundervoll ist auch ihre Version von Bruce Springsteens „Thunder Road“, das einem schon immer wie gemacht für diese feine Band erschien.
02 Ein perfektes Paar sind auch die mittlerweile 70jährige Country-Sängerin LORETTA LYNN und ihr junger Verehrer, Jack White von den White Stripes. White, der Lynn für die größte Songschreiberin überhaupt hält und der kürzlich mit seinem anderen großen Helden, Bob Dylan, gemeinsam auf der Bühne stand, überredete Mrs. Lynn, wieder eigene Songs zu schreiben, und produzierte ihr neues Album. Der frische, rauhe Sound von „Von Lear Rose“ macht dieses Werk um soviel besser als Lynns Comeback-Versuch „Still Country“ von 2000. Lynn hat in White ihren Rick Rubin gefunden.
03 Die New Yorker von THE MOONEY SUZUKI klingen eigentlich auch wie alte Helden, und doch gibt’s sie erst seit 1996 – „Alive & Amplifed“ ist gerade mal ihr drittes Album. Auch dieses Mal klingen ihre Songs wie eine furiose Mixtur aus Stooges, MC5, Rolling Stones und Kinks. Garagenrock vom Feinsten also. The Mooney Suzuki gehören da in eine Reihe mit ihren Freunden Thee Headcoats, The Donnas und The Make-Up.
04 Wieviele zeitgenössische Blues-Alben fallen einem ein, die einen in den letzten, sagen wir: 20 Jahren verzückt, verfolgt, ergriffen haben? Mit „Double V“ gelingt OTIS TAYLOR genau das bereits zum wiederholten Male. Seine unkonventionelle, frische Blues-Spielart lässt mit seinem unverstellten Blick auf soziale Missstände mindestens genauso an Peter Tosh denken wie an John Lee Hooker. Im packenden „Plastic Spoon“ kritisiert er das amerikanische Gesundheitssystem. Sollte sich auch Ulla Schmidt ruhig mal genauer anhören.
05 Mit „Political Manifest“ ließen sich auch Mark Olson und Victoria Williams von den CREEKDIPPERS zu einem Kommentar zur politischen Situation in den USA hinreißen. Passend zum amerikanischen Wahlkampf. Anti-Bush – aber natürlich nicht Anti-Amerika, schließlich beschwört ihr Country-Folk amerikanische Traditionen von den Pilgervätern bis zur Bürgerrechtsbewegung. Berückende Harmonien, wie Olson und Williams sie singen, kriegen so nur Ehepaare hin (vgl. Low oder Paul und Linda McCartney).
06 Nachdem wir in den letzten Ausgaben auf die wundervolle Joanna Newsom und den nicht weniger großartigen Devendra Banhart hinwiesen und schon dort einige Male das ebenfalls superbe „La Maison De Mon Reve“ von COCOROSIE erwähnten, gibt’s hier nun endlich auch was zu hören von den beiden sonderbaren ungleichen Schwestern. Die ältere von beiden, Sierra Cassady, ist ausgebildete Opernsängerin, spielt Gitarre, Klavier und Harfe, ihre kleine Schwester Bianca ist Autodidaktin und schreibt Songs und Gedichte. Sie gibt den Songs von CocoRosie durch allerhand wunderliche Sounds, die sie aus batteriebetriebenen Kinderspielzeugen holt, eine leichte TripHop-Note, ihr verhuschter, manchmal auch genuschelter Gesang erinnert stellenweise stark an Billie Holiday. CocoRosie sind eine äußerst gelungene Mischung aus humanistischem Gymnasium und Waldorfschule.
07 Nachdem die 21-jährige Songschreiberin und Harfinistin JOANNA NEWSOM im Eigenvertrieb ihre erste EP „Walnut Whales“ veröffentlichte, geriet diese irgendwann in die Hände von Will Oldham, der von Newsoms poetischen Geschichten und ihrem Gesang, irgendwo zwischen Cat Power, Scout Niblett und Victoria Williams, so begeistert war, dass er sie mit auf Tour nahm und seinem Label Drag City nahelegte, ein Album mit ihr zu machen. Glücklicherweise ist Drag City ein Label, das auf seine Künstler hört, und so ist nun das grandiose „The Milk-Eyed Merafer“erschienen. Den heimlichen Hit, „The Book Of Right-On“, gibt es hier zu hören.
08 Beim Bandnamen NOUVELLE VAGUE muss man natürlich zunächst an französisches Kino denken, übersetzt man es ins Englische, hat man „New Wave“ und einen neuen Referenzrahmen, auf portugiesisch heißt es „Bossa Nova“. Und tatsächlich: Nouvelle Vague sind das Projekt der französischen Produzenten Marc Collin und Oliver Libaux, und auf ihrem Album „Nouvelle Vague“ gibt es Punk- und New Wave-Klassiker von unter anderem Joy Division, XTC und den Specials im Bossa Nova-Stil zu hören. „Teenage Kicks ist im Original auf dem selbstbetitelten Debütalbum der Undertones von 1979. Vielleicht verrät den beiden Produzenten mal irgendwer, was Nouvelle Vague auf deutsch heißt. Wir freuen uns schon auf Bossa Nena.
09 Lang und sehnlich erwartet wurde das neue Album der Hamburger KANTE. „Zweilicht“ war mit seinen warmen, ausgeklügelten Arrangements eines der interessantesten Alben 2001. Da gab’s außer dem leicht schiefen Gesang vom damaligen Blumfeld-Bassisten Peter Thiessen nichts auszusetzen. Thiessen stieg kurz danach bei Blumfeld aus, um sich ganz auf Kante zu konzentrieren. Ob er Gesangsstunden genommen hat? Jedenfalls klingt er auf „Zombi“ wesentlich sicherer, ansonsten ist das neue Album weitaus weniger Talk Talk-selig als das letzte.
10 Auch „Wasser Marsch“,das letzte Album von SUPERPUNK, ist mittlerweile schon drei Jahre alt. Von ihrer Mischung aus Beat, Punk und Northern Soul sind die Hamburg-Münchner auf ihrem neuen Album, „Einmal Superpunk, bitte!“ nicht abgewichen, auch wenn der Soul dieses Mal einen weitaus größeren Raum einnimmt Textlich ist alles etwas erwachsener geworden, die Aussage ist die gleiche geblieben: „Tu einfach dein Bestes und mach dir keine Sorgen“.
11 Das letztjährige Debüt der THERMALS, das LoFi-Meisterwerk „More Parts Per Million“, beeindruckte in seiner unbehauenen Unmittelbarkeit nicht Wenige. Der Nachfolger „Fuckin‘ A“ wurde nicht mehr mit einem Kassettenrekorder in der Küche von Songschreiber Hutch Harris aufgenommen, sondern im Studio von Death Cab For Cuties Chris Walla. Das Ergebnis klingt etwas dunkler und naturgemäß sauber, ohne allerdings die Energie des ersten Albums vermissen zu lassen.
12 Stilecht war ja alles, was PENELOPE HOUSTON in ihrer mittlerweile auch schon 20-jährigen Karriere gemacht hat. Ob Punk-Mädchen, Folksängerin oder Rockerin. Was optisch immer funktionierte, war allerdings in den letzten Jahren musikalisch eher durchwachsen. Mit „The Pale Green Girl“ hat sie mal wieder ein sehr schönes 60s-Folkpop-Album gemacht.