New Noises
Der Sommer ist da - so heißt es jedenfalls im ersten Song der neuen "New Noises". Einen Sommertag verbringen wir in diesem Monat in Liverpool, wo wir uns die neuen Bands im Umkreis der Lieblinge The Coral anschauen. Mal sehen, was noch geht, wenn die Sonne nach dem letzten Song untergegangen ist.
01 Alle freuen sich schon auf den Sommer, weil es endlich wieder einen Auftritt der belgischen Indie-Helden dEUS geben wird. Beim diesjähren „Haldern Open Air“ nämlich. Das letzte Album, „The Ideal Crash“, ist ja auch mitderweile fünf Jahre her, und es sah nicht gut aus für den Fortbestand der Band. Die Wartezeit überbrücken wir mit MAGNUS, dem Projekt des dEUS-Sängers Tom Barman und des Techno-DJs C.J.Bolland. „The Body Gave You Everything“ heißt ihr erstes gemeinsames Album. Körpermusik also. Pop, Techno, House und Drum’n‘ Bass – programmiert und handgemacht – vermischen sich, gehen in die Beine, lassen Körper zucken. „Summer’s Here“ heißt der Song auf unseren „NewNoises“. Na also.
02 Irgendwo zwischen Dizzee Rascal und der Incredible String Band hat sich der 20-jährige Wunderknabe PATRICK WOLF eingerichtet. Sein erstes Album, „Lycanthrophy“, vereint Laptop-Folk mit schwarzer Mittelalter-Mystik und klassischem Songwriting. Das erinnert zuweilen an die dunklen Romantizismen von Nick Cave, Wolfs Stimme und sein androgynes Auftreten lassen gar an den jungen Morrissey denken.
03 Kaum einen Musiker hat man so lieb gewonnen wie RON SEXSMITH. Einer der besten Songschreiber der letzten zehn Jahre, der leider immer noch nicht den ganz großen Durchbruch geschafft hat. Allerhöchstens produktionstechnisch gab’s an dem ein oder anderen seiner sechs Alben etwas zu mäkeln, manchem ging Mitchell Frooms Wattebauschigkeit bei den ersten drei Platten auf die Nerven, Steve Earles Hemdsärmeligkeit auf „Blue Boy“ war sicherlich ein Fehlgriff, doch mit Martin Terefe scheint Sexsmith endlich den richtigen Produzenten gefunden zu habe. „Cobblestone Runway“ bezauberte und irritierte mit elektronischen Modernismen, „Retriever“ ist nun das perfekte, schlanke Songwriterpopalbum, von dem man immer geträumt hat. Ron Sexsmith würde das hier zu hörende Stück „Wishing Wells“ wohl einen Rocksong nennen.
04 In Sachen Albumtitel sind die Norweger SCHTIMM unschlagbar. Ihr erstes Werk trug den mysteriösen Namen „The Alcoholovefi Collection“, das zweite toppte das Debüt mit „Plays Mrakosllav Vragosh „. Sowas kann einem wohl nur einfallen, wenn man aus einem kleinen Städtchen nördlich des Polarkreises kommt. Das dritte Album „Featuring…“ ist nur vom Titel her etwas schlichter geraten, denn was JE, B, K und P hier teilweise mit Hilfe des Ex-Turbonegro-Sängers Hank von Helvete zusammenmusizieren, ist immer noch durchdachter Folkpop mit spröden Streichern und lieblichem Gesang.
05 Vom Polarkreis geht’s ins schottische Dundee. Das Städtchen kennt man noch aus früheren UEFA-Cup-Zeiten. Vielleicht erlangt es ja auch bald als Heimat der Band SNOW PATROL größere Bekanntheit Sänger Gary Lightbody kennt man vor allem aus der All-Star-Band The Reindeer Section und irgendwie klingen Snow Patrol auf ihrem neuen Album „Final Shaw“ auch so, als habe Lightbody von jeder der hier beteiligten Bands ein Stückchen mit nach Dundee genommen.
06 CAMPUS mussten ihre von anderen Bands abgeschauten Kniffe und Tricks ein bisschen weiter tragen: nämlich von den Vorbildern Coldplay und Travis aus Großbritannien nach München. Dort sind die fünf Burlis, äh, Burschen nämlich zu Hause. Kennengelernt haben sie sich auf einem Muse-Konzert. „Populär Music“ heißt ganz schlicht der Titel ihres ersten Langspielers. Recht feiner, blankpolierter Britpop aus der Fanperspektive.
07 Und wo wir gerade beim Britpop sind: Die neueste Sensation aus England sind KEANE. Hymnische Songs zwischen Coldplay und Starsailor (denen sie übrigens auch optisch ähneln) – aber ohne Gitarren. Ihr Album „Hopes And Fears“ sorgte bei der britischen Presse schon für helle Aufregung. Das hier zu hörende „Snowed Under“, ein – wie der pausbäckige Sänger Tom Chaplin bei einem der ersten gefeierten Deutschlandkonzerte bekannte – Lieblingssong der Band, schaffte es aus irgendwelchen Gründen nicht auf das fertige Album und erschien schließlich als B-Seite auf der Single zu „Somewhere Only We Know“.
Die Musikszene in Liverpool boomt, wie man Joachim Hentschels ausführlichem Artikel in dieser Ausgabe nachlesen kann. Daher widmen wir uns mit den letzten fünf Stücke unserer“New Noises“ ausschließlich den jungen Bands aus der ehemaligen Metropole des Merseybeat.
08 Gleich die erste Band, die wir hier vorstellen, THE ZUTONS, versucht auf ihrem Debütalbum einem möglichen Liverpool-Hype entgegenzurudern. Hypes führen ja immer dazu, dass die Gemeinsamkeiten aller Bands hervorgehoben und die Unterschiede unter den Teppich gekehrt werden. Nach den sehr guten ersten beiden The Coral-Alben und den Stands konnte man schon auf die Idee kommen, hier würden gern mal kiffenderweise alte Traditionen geplündert Auf „Who Killed The Zutons“ machen sie sich daran, den Mersey-Mythos zu dekonstruieren. Das klingt dann manchmal, als spielten The Rapture alte Zombies-Nummern.
09 Das letzte, doch ziemlich unfertige THE CORAL-Album, „Nightfreak And The Sons Of Becker“, war ein Schnellschuss, eine Zwischenstation auf dem Weg zum legitimen Nachfolger ihres Meisterstücks „Magic And Medicine“ aus dem letzten Jahr. Kein Wunder, dass die Kritiken weitaus weniger euphorisch ausfielen. An guten Songs scheinen sie jedoch noch keine Mangel zu haben, so finden sich auf den B-Seiten ihrer Singles noch einige Songjuwelen. Zum Beispiel „Not The Girl“, die flipside des ebenfalls exzellenten „Secret Kiss“ vom „Magic And Medicine“-Album.
10 Nein, wir befinden uns nicht auf einer „Rare Trax“ mit Byrds-inspiriertem Folkrock aus den 60ern, auch wenn THE STANDS in bester Weise zeitlos klingen und man öfter mal das Gefühl hat, Songs wie „When This River Rolls Over You“ von ihrem Debüt „All Years Leaving“ ’schon seit Ewigkeiten zu kennen. Stands-Sänger Howie Payne ist übrigens der Bruder des Zutons-Schlagzeugers Sean Payne.
11 Wo wir eben über The Coral-Singles sprachen: THE BANDITS wurden von einem bösen Kritikern mal als „tribute band singing The Coral B-Sides“ bezeichnet. Doch die Band um Sänger John Robinson kommt auf ihrem ersten, vorerst nur in Großbritannien erscheinenden Album „And They Walked Away“ um einiges härter und dunkler daher.
12 Jede so genannte Szene hat eine Band, die von allen Szenegängern geliebt wird, ja fast Legendenstatus erreicht, deren Schicksal es aber auch meist ist, über einen gewissen Kultstatus nicht hinauszukommen. Meist dient sie Musikern als Durchgangsstation, die dann schließlich mit anderen Bands erfolgreich werden. So eine Band ist Yummy. Für in der Glasgower Art-School-Szene und TRAMP ATTACK in Liverpool. „Oh! When The Sun Goes Down“ stammt von ihrem gerade in England erschienenen ersten Album „Attack Attack Attack“. Bei uns ist bisher keine Veröffentlichung geplant.