New Noises
Die Go'Betweens, die Strokes, die Libertines, die Detroit Cobras - alle sind der Meinung, die CD sei generell eine Spur zu lang - und beschränken sich auf die klassische LP-Länge von maximal 50 Minuten. Die "New Voices" folgt in diesem Monat dieser Vorgabe: 45 Minuten, zwölf schillernde Popsongs. All killers, no fillers.
1.
„Detroit ist sehr hässlich, und es gibt dort viele miese Gegenden. Aber du kannst zum Beispiel dein Auto im Vorhof anzünden, wenn du Lust hast Das stört niemanden“, beschreibt Rachel Nagy, Sängerin der DETROIT COBRAS ihre Heimat. Zeilen wie „When I find a man/ I’m gonna knock him down/ I’m gonna take him by the balls/ And drag him all the way back to town“ aus der alten Nummer „Ya a Ya (Looking For My Baby)“ nimmt man der ehemaligen Stripperin daher auch sofort ab. Mit der EP „Seven Easy Pieces“ feiern die Cobras-Covers von alten Soul-, R’n“B- und erstmals auch Gospelstücken nun auf „Rough Trade“ ihr Europa-Debüt Das sollte aber niemanden davon abhalten, sich auch noch das raue „Mink Rat Or Rabbit“ und das druckvolle „Live, Love Or Leaving“ zu besorgen. „Ich würde keinen Song covern und ihn schlechter machen, als er ist Ich war so beeindruckt von der Stones-Version von ‚Time Is On My Side‘. Sie haben es wirklich Note für Note nachgespielt So macht man das. Veränder es nicht, wenn du es nicht besser machen kannst“, beschreibt Gitarristin Mary Restrepo das Selbstverständnis der Band.
2.
„Lipstick on my face/ Thunder in the sky/ The shades are drawn/ Don’t ask me why.“ So beginnt das clevere „Attack Of The Ghost Riders“ der RAVEONETTES. Sie sind Dänemarks Antwort auf Bonnie und Qyde, die White Stripes und das Klischee, in Skandinavien sei man entweder süß und Popbesessen oder einsam, männlich und Songschreiber. Sänger und Gitarrist Sun Rose Wagner und Bassistin Sharin Fbo sind musikalisch im New Wave zu Hause. Der Sound ihres ersten Albums „Whip It On“ erinnert stark an The Jesus & Mary Chain, My Bloody Valentine oder jüngst Black Rebel Motorcycle club.
3.
Schon „The Optimist LP“, das 2001er Debüt der TURIN BRAKES, war eines der schönsten Alben der britischen „Quiet Is The New Loud“-Welle. Der britische „New Musical Express“ nannte R.E.M.s „Murmur“ als Referenz. Das neue Album „Ether Song“ ist weniger rustikal und gefällig als der Vorgänger, in seiner Widerständigkeit dem Debüt aber gar überlegen, wie die Single „Pain Killer“ hier zeigt. Die unnachahmliche Stimme klingt sicherer, die Musik mutiger, mit Sinn für Dramaturgie und Arrangements. Nicht wenige denken hier an Radioheads „OK Computer“.
4.
Wenngleich keine „The“-Band, waren RADIO 4 eine der erfreulichsten Erscheinungen des Rock-/Punk-Revivals. Ihr zweites Album „Gotham!“, der Titel eine Anspielung auf ihre Heimat New York, schlug im letzten Jahr kräftig in dieselbe Kerbe wie einstmals The Clash und Gang Of Four und – ebenfalls im letzten Jahr die fabelhaften Walkmen. Passend zur Tour Anfang April gibt’s jetzt noch mal das formidabel-groovende „Calling All Enthusiasts“. Die Tourdaten: 02.04. Köln – Underground/ 03.04. Berlin – Magnet/ 04.04. Hamburg – Molotow/ 05.04. Hannover – Faust/ 06.04. Münster – Gleis 22/ 07.04. Wiesbaden – Schlachthof. Dance to the undergmund.
5.
„So hätte Britney Spears geklungen, wenn sie in der DDR aufgewachsen und heroinsüchtiggewesen wäre“, schrieb ein Kritiker über „604“, das 2001er Debütalbum von LADYTRON. Die Mischung aus primitiver Elektronik und Synthie-Pop, Glamour und Trash schlug ein wie eine Bombe. In Von der Redaktion gehört und für gut befundenSzeneläden, auf Modeschauen – nirgendwo konnte man ihiem Synthcore entgehen. „Existenzialistischer Künstler-Terroristen-Chic trifft auf eine Comme des Garcons-Modenschau“, schwärmte der „New Musical Express“. Auch „Light & Magic“ wird wieder den Weg in die Ohren Champagnertrinkender Clubgänger finden. Die Arrangements sind dichter, die Melodien komplexer als auf dem Vorgänger. Eine in die Beine gehende Mischung aus Northern Soul, House, Techno, Trash- und Synthie-Pop.
6.
Im Plattenschrank des Songschreibers und Multiinstrumentalisten Richard Warren alias ECHOBOY stehen die Werke von David Bowie, New Order, Bob Dylan, Television, Kraftwerk und den Chemical Brothers einträchtig nebeneinander. Sojedenfalls klangen seine ersten beiden Alben „Volume One“ und „Volume 2“, auf denen er gekonnt die Balance zwischen Synthie-Pop, Elektronik, gutem Songwriting und experimentelleren Stücke hielt. Auf seinem neuen Album „Giraffe“ lässt er vor allem seinem Pop-Gespür freien Lauf.
7.
Kanada, das Land der wütenden Mädchen. Erst goss Alanis Morissette einen Eimer Hass auf ihre Ex-Lover, im letzten Jahr gab es den mehrfach Platin-gekrönten Nesquick-Punk von Avril Lavigne, und die aparten Zwillingsschwestern und Songschreiberinnen TEGAN & SARA können auch ganz schön böse werden. Das erahnte man erstmals auf ihrem folkigen 2000er Debüt „This Business Of Art“. Der putzige Power-Pop des Nachfolgers „If It Was You“ wirkt da allerdings weitaus überzeugender. „There’s more to life than love and being together/ When my loud guitar comes in/ My thumpin‘ drums come through.“ In einer besseren Welt hätte „You Went Away“ sich in den Charts locker vor Lavignes „Complicated“ geschoben.
8.
Nanu? Was macht denn der gute Al Stewart auf den „New Noises“? Mancher muss, wenn er erstmals die Stimme von Dan Bejar aka DESTROY ER hört, auch an David Bowie oder Grant Lee Phillips denken. Doch wenn man „This Night“, das bereits vierte Album des Songschreiberaus Vancouver hört, merkt man schnell, dass es sich hier eher um einen Gleichgesinnten von Bill Callahan oder Conor Oberst handelt. „In this town we go down for the sake of going under.“ Bejar wurde hier zu lande wohl erstmals als Songschreiber des kanadischen All-Star-Projekts The New Pornographers bekannt, das 2000 mit „Mass Romantic“ ein wundervolles Power-Pop-Alben einspielte.
9.
„Televise“ ist bereits das §fe dritte Album mit exquisitem Indie-Noise-Gitarren-Rock der Wahl-New-Yorker von CALLA. Frühe Nick Cave & The Bad Seeds sind hier als Referenz ebenso angemessen wie beispielsweise Gun Club. Sänger Aurelio Valle und Schlagzeuger Wayne B. Magruder spielten übrigens mal in einer Band namens The Factory Press, deren einziges Album, „The Smoky Ends Of A Burnt Out Day“ von 1995, von Gun Clubs Kid Congo Powers produziert wurde. Na also.
10.
Der Preis für das bescheuertste Plattencover (siehe oben) und den besten Songtitel geht in diesem Monat an Sean Titelman, der sich selbst – auch nicht gerade vertrauenserweckend – SEAN NANA nennt „I Hate Saxophones“ stammt von seinem zweiten Album „My Majesty“, auf dem Minneapolis‘ Antwort auf Ignatius J. Reilly sich als durchaus potenten ernsthafter und vielseitiger Songschreiber entpuppt, der mit seiner Band in Power-Pop, Rockabilly und süßer Pop-Ballade gleichermaßen zu Hause ist Den schönsten Satz des Presse-Infos wollen wir ihnen nicht vorenthalten: „Sean Na Na has also been compared to Elvis Costello, Thin Lizzy, Foreigner and The Go-Go’s.“
11.
Wenn man mit Wilco rumhängt, hört man wohl am liebsten die Beach Boys. Anders lässt sich die Harmonieseligkeit von „Down With Wilco“ nicht erklären, die Scott McCaughey von den Young Fresh Fellows mit seinem A1I-Star-Nebenprojekt THE MINUS 5 – zu dem auch R.E.M.S Peter Buck gehört und den Gästen von Wilco hier auf Band gezaubert hat Im Oeuvre der Beteiligten ist es in seiner Leichtigkeit wohl noch am ehesten mit Wilcos „Summerteeth“ zu vergleichen, die lichten Höhen des Nachfolgers „Yankee Hotel Foxtrot“ kann und will es aber nicht erreichen. Doch ebenso wie dieses Meisterwerk sollte auch „Down With Wilco“ zunächst bei einem Major-Label erscheinen und wurde dann unverständlicherweise für nicht gut genug befunden.
12.
Und noch einmal schwebender Pop. Die wunderbaren Erdmöbel aus Köln waren schon nach ihren ersten beiden Werken „Das Ende der Diät“ und „Letzte Worte nach Bad mit Delfinen“ ein Geheimtipp für alle, die milde Melancholie und intelligente Popmusik schätzten. Einer der schönsten Songs des euphorischen „Altes Gasthaus Love“ ist „Busfahrt“, ein kurzer Prosatext, aus dem Songschreiber Markus Berges ein federleichten Popstückchen machte.