New Noises
Eigentlich wollten wir Winter-Klischees vermeiden, aber nun ist die Januar-CD doch recht weihevoll geraten. Mit Lambchop, A. A. Bondy, Kathleen Edwards und anderen.
01 A.A. Bondy jagt seine Dämonen mit hinreißendem Indie-Folk. Er steht mit einem Fuß im Grab und mit dem anderen in den Wolken. Der ehemalige Sänger der Grunge-Band Verbena aus Alabama sagt über sich selbst, dass er gerne ein besserer Verkäufer wäre. Tatsächlich wünscht man diesem Messias des Folk, dass ihm sein drittes Albums „Believers“ aus den sensiblen Händen gerissen wird.
02 Lauscht man dem astreinen Harmoniegesang, den nachdenklichen Lyrics und den träumerischen Country-Klängen der schwedischen Söderberg-Schwestern, fühlt man sich bisweilen in einen verstaubten Saloon in Nashville versetzt. Mit ihrer kitschigen Coolness konnten First Aid Kit für die Arbeit am Album „The Lion’s Roar“ Größen wie Jack White und Conor Oberst für sich gewinnen. Schwer zu glauben, dass Klara und Johanna nicht in Wahrheit Emmylou und June heißen.
03 Fünf Jahre, einige Umbesetzungen, einen Namenswechsel und einen Kletterunfall haben die Milagres gebraucht, um zu Brooklyns neuer Indie-Sensation zu werden. Um eine Schreibblockade zu überwinden, erklomm Sänger Kyle Wilson kanadische Berge – und stürzte. Die Tatsache, dass das neue Album „Glowing Mouth“ überwiegend während Wilsons monatelangem Krankenhausaufenthalt geschrieben wurde, hört man indes höchstens noch den verletzlichen Texten des dynamischen Albums an.
04 Diese Stimme mag einem bekannt vorkommen. Kein Wunder, handelt es sich bei Diagrams doch um das neue Projekt vom Ex-Tunng-Mitglied Sam Genders. Auch auf Solopfaden hat Genders kein Jota an experimenteller Spielfreude eingebüßt. Das Album „Black Light“ besteht aus eingängigen Elektro-Singer-Songwriter-Songs in präziser, knackiger Pop-Produktion.
05 Auf ihrem Debütalbum „E Volo Love“ nehmen Frànçois & The Atlas Mountains den Zuhörer mit auf eine abenteuerliche Reise durch unterschiedliche musikalische Gefilde. Die Franzosen vermischen Einflüsse aus afrikanisch-perkussiven Elementen, Gainsbourg-haftem Chanson und einem Hauch Minimal Techno zu feinem Indie-Rock. Frànçois singt in Französisch und Englisch mit umwerfend charmantem Akzent.
06 Bereits ihr fünftes Album legt in diesen Tagen die kanadische Songschreiberin Kathleen Edwards vor. Auf „Voyageur“ verzaubert Edwards das Publikum mit entwaffnend ehrlichen Texten und der bekannt glockenhellen Stimme, trefflich eingerahmt von zerbrechlich-atmosphärischen Arrangements, die Songs wie „Sidecar“ erst richtig atmen lassen. Die „Voyageuse“ ist tatsächlich viel auf Reisen – zuletzt auf einer Tournee mit Bon Iver!
07 Ein überbordendes Maß an Produktivität kann man der Gruppe Sport aus Hamburg nun wirklich nicht vorwerfen. Vier Alben in 15 Jahren – da war stets genug Zeit, um den raumgreifenden Gitarren-Pop der Band bis ins Letzte durchzudenken. Zuweilen agieren Sport poetisch-düster, dann wieder amüsant-charmant, stets jedoch mit untrüglichem Gespür für den schmalen Grat zwischen kitschig und vulgär. Mit dem neuen Album „Aus der Asche, aus dem Staub“ ist dieser insgesamt zu wenig beachteten Band ein trefflich geräuschvoller Melodie-Noise-Bastard gelungen.
08 Oft werden wir gefragt, wie man auf diese CD kommt. Wir antworten dann meist, dass im Prinzip alles eine Chance hat, was gut ist, denn so einfach ist es tatsächlich. Das gilt auch für den langjährigen ROLLING STONE-Autor und Musiker Jörn Schlüter, der mit seiner Band Someday Jacob ein hervorragendes Album aufgenommen hat: Auf „Morning Comes“ singt Schlüter mit warmer Stimme zu Banjos und Steelgitarren, und plötzlich liegt Bremen in Tennessee.
09 Den „Midnight Blues“ singt die 28-jährige Engländerin Liz Green geradezu gruselig überzeugend. Ihre würzige Mischung aus Jazz, Folk und Cabaret-Elementen – einige Stücke könnten auch aus Kurt Weills Broadway-Phase stammen – ist nicht weniger als atemberaubend. Vier Jahre Zeit hat sich die Perfektionistin für ihr Debüt gelassen, und ja: „O, Devotion“ geben wir uns sehr gerne hin.
10 Die elfte Lambchop-Platte wird mit einigem Recht schon jetzt als eine der besten gehandelt. Kurt Wagner bezeichnet die auf „Mr. M“ eingeschlagene Richtung liebevoll als „Psycho-Sinatra“. Gemach, gemach: Obwohl es an Liebe bei Lambchop nie gefehlt hat, fällt auf „Mr. M“ zum ersten Mal das Wort „Love“.