New Noises
Mit einem Beitrag zum Außenminister, einem Nachtrag zur Hamburger Schule sowie einigen Vorgriffen auf herausragende Alben verabschieden wir den Winter.
01 Nachdem die EIGHT LEGS 2007 einen hoffnungsvollen Start hingelegt hatten und unter anderem für Dior lärmten, gab es laut beiliegendem Info-Schreiben auf dem zweiten Werk eine „Content-over-Style-Diskussion“. Diese ist an uns vorbeigegangen. Es fiel aber auf, dass der Indie-Rock der Clash-Adepten damals ein wenig betulich daherkam. Nun jedoch finden die Eight Legs mit der EP „Best Of Me“ zurück zu alter Stärke – mit geradliniger Rockmusik wie in „Cloak & Dagger“.
02 Und schon wieder jemand aus der New Yorker Antifolk-Szene: DARWIN DEEZ ist ein schrulliger Herumtreiber mit lustigem Halb-Afro, der seine Tage mit Adam Green und Regina Spektor im Sidewalk Cafe an der Lower East Side verbrachte und daheim am Computer mit einem billigen Mikrofon Songs aufnimmt. So gelingen unaufgeregte Kleinode wie „Constellations“, wo er über scheppernden Strokes-Gitarren mit sehnsuchtsvoller Stimme irrwitzige Zeilen singt.
03 Daheim in den USA hat man die Qualitäten von THE AVETT BROTHERS schon länger bemerkt, hierzulande scheint die Stunde der Band erst jetzt zu schlagen: Mit dem in diesen Tagen erscheinenden Album „I And Love And You“, dem auch unser gravitätischer „New Voises“-Track gleichen Titels entspringt: „Load the car and write the note/ Grab your bag and grab your coat/ Tell the ones that need to know/ We are headed north.“ Ging es jemals um etwas Anderes?
04 Unter jenen Punk-Figuren, die im Alleingang plötzlich ihre Songwriter-Gene entdecken, nimmt ROCKY VOTOLATO eine Sonderstellung ein. Seit frühester Jugend ringt Votolato mit Depressionen und einer Angststörung, und auch wenn es natürlich ein schreckliches Klischee ist, hat man doch das Gefühl, dass der zweifache Familienvater förmlich um sein hart erkämpftes Leben singt. In „Lucky Clover Coin“ etwa schreibt er darüber, wie das Verhältnis zu seinem Sohn (und vermutlich: dessen Existenz) ihn einst vom Selbstmord abhielt.
05 Seit längerer Zeit bereits begleiten wir den Songschreiber GISBERT ZU KNYPHAUSEN. So dokumentierte ein Team von Reportern den Entstehungsprozess des zweiten Knyphausen-Albums „Hurra! Hurra!So nicht“ Zwischen Hamburg und Berlin, Eltville-Ehrbach und dem Weissenhäuser Strand entstand auch der hier vorgestellte Song über das zwiespältigste aller Gefühle: „Melancholie“. Den Knyphausen-Bericht lesen Sie im Mai.
06 Das Mailänder DJ-Duo CROOKERS hatte eine schöne Crossover-Idee: Nachdem sich bereits U2, Moby, und die Chemical Brothers als Crookers-Fans zu erkennen gegeben hatten, versammelten diese eine Handvoll erlesener Duett-Partner für ihr Album „Tons Of Friends“. Neben Roisin Murphy und Soulwax begab sich auch der Ex-Charlatan Tim Burgess ins Studio, um den räudig krächzenden Laptop-Blues „Lone White Wolf“ einzuspielen.
07 Verspätet kommt es auf dem neuen DENDEMANN-Album „Vom Vintage verweht“ zu einem Gipfeltreffen zweier herausragender Vertreter der Hamburger Pop- und Hip-Hop-Schulen. So reicherte der Rapper sein „Papierkrieg“ nicht nur mit Old-School-Beats und Hard-Rock-Gitarren an, sondern auch mit einem Sample des Toco-Songs „Explosion“. Ein äußerst gelungener Beitrag zur Hegemann-Debatte, wie wir finden.
08 Ihr zweites Album „No Rest“ produzierten die New Yorker Musikerinnen CHRISTY & EMILY mit Faust-Veteran Hans Joachim Irmler im Oberschwäbischen. No Wave und Ambient standen ebenso Pate wie CocoRosie. „What if there’s no fire where there’s smoke“, heißt es in „Little World“ – eine Frage, die man sich ja viel zu oft stellt. Und immer hat man Angst vor der Antwort.
09 Als sich der Autor BENJAMIN VON STUCKRAD-BARRE bereit erklärte, uns eines der Stücke aus seinem neuen Hörbuch „Auch Deutsche unter den Opfern“ (mit Christian Ulmen) zur Verfügung zu stellen, mussten wir nicht lange überlegen. Stuckrad hatte über den Winter geschrieben, über „Viren-Alarm“ und andere saisonale Phänomene. Die schließlich gewählte Charakterstudie „Guido Westerwelle im Bundestagswahlkampf“ wird aktuell bleiben, da sind wir sicher. Leider.