Neues Album von Peter Gabriel: Was bedeutet der Titel „i/o“?
Die erste neue LP von Peter Gabriel seit 2002 hat nur auf den ersten Blick einen kryptischen Titel.

Peter Gabriel is back! Seit Freitag (01. Dezember) ist seine neue Studioplatte „i/o“ zu hören – und das gleich in mehreren Mix-Versionen. Seit 2002 gab es kein neues Album des Genesis-Altmeisters mehr. Im Mondzyklus wurden Monat für Monat zuletzt neue Songs veröffentlicht, darunter eben auch „i/o“, das dem Longplayer den Titel gab.
Aber was bedeutet „i/o“?
„i/o“ bezieht sich auf die Eingangs-/Ausgangsanschlüsse auf der Rückseite von Elektrogeräten. Das war der Funke der Inspiration, der Gabriel dazu brachte, über die Dinge zu schreiben, die wir in uns hineinstecken und aus uns herausziehen.

Letztlich geht es in dem Song darum, dass alles miteinander verbunden ist und dass wir alle Teil eines Ganzen sind. Peter Gabriel dazu: „Mit zunehmendem Alter werde ich wahrscheinlich nicht klüger, aber ich habe einige Dinge gelernt und es erscheint mir ein sinnvoller Gedanke, dass wir nicht diese kleinen unabhängigen Inseln sind, wie wir so gern annehmen, sondern Teil eines Ganzen. Wenn wir uns selbst als zwar irgendwie verkorkste, aber doch verbundene Individuen, als Teil eines großen Ganzen betrachten, dann lässt sich daraus vielleicht etwas lernen?“
Peter Gabriel und „i/o“ – Ein später Sisyphos
An Voll- und Neumond kam uns Peter Gabriel 2023 Stück für Stück näher, mit den ersten neuen Songs seit 21 Jahren, im Bright-Side Mix von Mark „Spike“ Stent oder in der Dark-Side-Version von Tchad Blake. Einen In-Side Mix (Hans-Martin Buff) gab’s obendrauf. Das mag konsequent sein, wenn dem Künstler der Prozess wichtiger ist als das Produkt. Doch hat diese Transparenz (oder Unfähigkeit, Entscheidungen zu treffen?) zur Folge, dass Vinyl-Freunde gleich zwei Doppelalben von „i/o“ erwerben dürfen, wenn sie eine Mix-Mischung bevorzugen. Verbrauchertipp: So himmelstürzend ist der Unterschied nicht.
Leise-feierliche Reflexionen über Erinnerung, Sterblichkeit, Optimierungswahn
Das Produkt, dessen Titel auch für einen Mond (klar!) des Planeten Jupiter steht, bleibt oft angenehm geerdet. „I walk with my dog, I whistle with the bird“, versichert Gabriel im Titeltrack, bevor er für „I’m just a part of everything“ ins Falsett abhebt. Ja, der Mann ist noch sehr, sehr gut bei Stimme. So gut, dass man über einige Banalitäten („This Is Home“, „Love Can Heal“) fast hinweghören könnte, zumal „Road To Joy“ noch diesen funky Vibe kultiviert, der ihm stets gut stand. „Playing For Time“ und „So Much“ (samt Klischee vom spät zum Kind mutierenden alt Geborenen) sind leise-feierliche Reflexionen über Erinnerung, Sterblichkeit, Optimierungswahn. „This edition is limited“, weiß Gabriel und besteigt als später, glücklicher Sisyphos den Hügel, den wir alle hochmüssen.
Klar, ein Gabriel sondiert auch die Weltlage. Aus einem Wort wie „Panoptikum“ einen Pop-Hook kreieren kann wohl nur er. „The Court“ prangert das Justiz- (un)wesen an, das „wahrscheinlich ein wesentlicher Bestandteil einer zivilisierten Gesellschaft“ sei. Wahrscheinlich? Schlag nach bei Cicero! Final holt Gabriel die große Humanismus-Keule raus. „Live And Let Live“ samt Soweto-Chor, Martin Luther King und ewigem Regenbogen. Das hätte gut in die späten 80er-Jahre gepasst – aktuell wirkt es ebenso deplatziert wie dringlich, wenn er fordert: „Lay the burden down, lay the weapon down.“ Über Vergebung können halt manche gerade wirklich noch nicht nachdenken. Auf dem Cover hält sich Peter Gabriel den Kopf gleich mit beiden Händen. Weil er zwanzig Jahre über zwölf Stücke in zig Abmischungen nachdenken musste? Der Fluch des autarken Künstlers. Eine Deadline ist oft auch befreiend.