Neuer Teenager-Wahnsinn in London: Die Nordiren ASH glorifizieren „1977“
In London ist so eine Art von Teenager-Wahnsinn ausgebrochen. Sehr junge Mädchen stürmen in grell geschminktem Zustand ein Gebäude der Universität, obwohl die meisten von ihnen Shakespeare für einen neuen Cocktail halten dürften. Was wollen die hier? Und wieso sagt ihnen keiner, daß sie erstmal die Schule zu Ende machen müssen?
Die Antwort heißt Ash und gibt an diesem Abend ein Konzert in der Aula der Fakultät. Vor einigen Wochen war das Trio aus Nordirland auf dem Cover des „New Musical Express“ – seitdem hat die Mundpropaganda ihren Job getan und kann gehen. Ash sind jetzt schon ein Teenie-Magnet und werden wahrscheinlich bekannter werden als Jesus (und damit natürlich immer noch ein bißchen unbekannter sein als die Beatles). Bei dieser Band stimmt wirklich alles. Aber der Reihe nach.
Da sind zunächst die drei Jungs, alle unter 20 Jahren und smart wie der Teufel. Der Sänger heißt Tim und ist der Hübscheste der Gruppe. Gegen ihn sehen die Oasis-Leader endgültig aus wie Theo Waigel. Tim schreibt die Songs, er kann sich artikulieren und kennt die Rock-Geschichte seit The Clash und Iron Maiden. Er hat ein zartes, aber nicht zu glattes Pop-Gesicht. Der Bassist Mark ist ein bißchen kräftiger, jedoch nicht weniger photogen. Nur Schlagzeuger Rick wirkt nicht in allen Momenten wie ein Popstar, sondern manchmal auch wie einer von den Leuten aus der Schule, die Mädchen doof fanden und lieber mit Computern spielten.
Ash spielen intelligenten Punk-Pop, der allerdings nicht so orthodox klingt wie die Musik von Green Day, sondern auch Brit-Pop-Hörern gefallen könnte. Sie haben gute Songs und eine clevere Managerin. Sie kennen sich noch aus der Schule, und sie haben in Tokio ein Hotelzimmer verwüstet – wenn all das keinen Erfolg ergibt, dann ist die Welt aus den Fugen geraten. Dann ist das ganze Rock-Geschäft nicht mehr das, was wir einmal kannten und schätzten.
„Ich wußte schon sehr früh, daß ich Rockstar werden wollte“, erzählt Tim. „In der Schule war ich ziemlich mies, und so gründete ich eine Band namens Vietnam. Klingt peinlich, nicht?“ Nun ja, in dem Alter… „Jedenfalls merkte ich irgendwann, daß ich auch ein Talent zum Songschreiben hatte. Die Initialzündung war Nirvanas „Nevemiind‘ – die Platte hat mir gezeigt, was musikalisch möglich ist zwischen Punk und Pop. Mir wurde klar, daß man mit einem Trio eine Menge machen kann.“ Tim gründete Ash und erstellte einen Masterplan, der bisher sauber umgesetzt wurde. Gleich am Anfang wurde ein Fanclub gegründet, der seitdem stetig wächst. Im Herbst 1994 erschien dann das Mini-Album „Trailer“ in England und kam in den Independent Charts auf Platz 3. Zwei Jahre lang veröffentlichte die Band diverse Singles und brachte es damit zum Insider-Tip. Das ist die beste Position fiir Verhandlungen mit Plattenfirmen: Das erste Album könnte sich schon allein auf den Vorschußlorbeeren ausruhen (was es aber nicht nötig hat). Irgendwo zwischen Green Day und Oasis haben Ash einen schwermetallischen Pop-Ton gefunden: harte Gitarren, weiche Melodien.
Der Titel des Albums, „1977“, provoziert natürlich Rückschlüsse. Aber Tim bezieht sich nicht nur auf Punk, sondern auch auf ABBA, denn „von ihnen kann man sehr viel übers Songwriting lernen“. So deutet sich eine neue Koalition an: Teens, Neo-Punks, Metaller und Brit-Pop-Hörer – sie alle könnten Ash lieben.