Neue Stadt, alte Schule
Nach der erfolgreichen Reunion seiner alten Band Pavement schaut Stephen Malkmus wieder in die Zukunft. Und die spielt in Berlin.
Niemand sonst kann sich so herrlich unbeeindruckt, phlegmatisch und gelangweilt inszenieren wie Stephen Malkmus. In den Neunzigern, als Sänger der Gruppe Pavement, war sein vorstädtischer Mittelklassen-Ennui ein gutes Gegengift gegen all die an der Existenz leidenden jungen Männer des Grunge. Und während die alle einen Karriereplan in den Gesäßtaschen ihrer zerschlissenen Jeans bei sich trugen, gab Malkmus den underachiever und verzichtete auf Starproduzenten, grelle Inszenierungen und das große Geld. Selbst bei den Reunionshows der Band im vorigen Jahr (die wohl ganz gut entlohnt wurden) wirkte er so lustlos, dass es einigen Fans glatt die Nostalgie verhagelte. Auch seine nun schon zehn Jahre währende Solokarriere scheint wie eine einzige Antiklimax. Verquere Popsongs, bei denen mindestens jedes zweite sprachliche Bild ins Leere läuft, und daddelige Jams mit seiner Band The Jicks, die voller Referenzen sind an nicht besonders angesagten britischen Psychedelic Rock der frühen Siebziger.
Damit wir uns nicht falsch verstehen, die Alben, die in dieser Zeit entstanden, sind fast allesamt brillant. Ganz einfach weil, puh, na ja, das wäre jetzt zu anstrengend, das alles zu erklären. Jedenfalls wirkt das neue Album, „Mirror Traffic“, auf dem Papier regelrecht wie ein ambitioniertes Projekt. Zum ersten Mal seit dem letzten Pavement-Album „Terror Twilight“ von 1999 arbeitete Malkmus wieder mit einem Produzenten. Und dann auch noch mit dem Perfektionisten Beck. Klingt fast so, als wollte er es noch mal wissen. Auch wenn der erste Eindruck beim Interview diese Vermutung nicht unbedingt bestätigt. Ziemlich kraftlos hängt er auf der Couch und schlägt auf den Oberschenkeln einen müden Beat, den er lautmalerisch begleitet. Ob das ein Song ist, will ich wissen. Ein ironisch amüsiertes, Robert-Crumb-haftes Keckern. „Naaah, that’s the sound of Berlin.“
Die deutsche Hauptstadt ist wohl das Thema, für das der 45-Jährige sich am ehesten begeistern kann, ist er doch im August mit seiner Frau, der Künstlerin Jessica Jackson Hutchins, und den beiden gemeinsamen Töchtern nach Prenzlauer Berg gezogen. „Wir wollten was in unserem Leben verändern. Portland, Oregon zu verlassen wäre da ein erster Schritt, dachten wir. Aber wir konnten uns für keine andere amerikanische Stadt entscheiden. Also fiel die Wahl auf Berlin. Hier gibt es eine Kunstszene, viele Konzerte … Und ich gehöre eben auch zu den Amerikanern, die Deutschland für einen coolen Ort halten.“ (gickert) Er erzählt von all den Bekannten, die in Berlin leben, von den internationalen Schulen und den harten Wintern. Für seine Kunst sei nicht wichtig, in welcher Stadt er sich aufhalte, sagt er. „Ich kann überall arbeiten.“
Doch der Ortswechsel könnte zu interessanten neuen Konstellationen führen. Jochen Distelmeyer etwa, der als Blumfeld-Sänger schon mit Pavement gemeinsam auf der Bühne stand, wohnt im gleichen Stadtteil. Schon eine Weile her, dass die beiden zuletzt sprachen, doch Malkmus scheint ja in seinem Leben gerade so etwas wie 90er-Jahre-Revival-Wochen zu zelebrieren. Wenngleich die Initiative, wieder mit dem alten Bekannten Beck in Kontakt zu treten, ohne Zweifel nicht von ihm ausging.
„Die Band will eigentlich bei jedem Album einen Produzenten“, so Malkmus. „Und als Beck anrief, habe ich nachgegeben. Es war gut, sich mal wieder Inspirationen zu holen.“ Beck und Malkmus waren schon in den Neunzigern verwandte Geister. Sie gingen beide sehr spielerisch und ironisch mit popkulturellen Referenzen um und galten als die definitiven Prototypen dieses 90er-Jahre-Archetypen namens „Slacker“, der als Reaktion auf die Yuppie-Dekade der Achtziger seine Individualität vor allem durch Leistungsverweigerung bewahren wollte. „Was die Haltung zur Musik anging, hatten wir sicherlich einiges gemein“, meint Malkmus. „Auch wenn die Ergebnisse grundverschieden waren. Dass er allerdings ein Slacker sein soll, habe ich nie verstanden. Er trägt teure Klamotten, hatte schon immer Ambitionen, auch im Mainstream Erfolg zu haben, und ist der größte Workaholic, den ich kenne. Er arbeitet von neun Uhr morgens bis neun Uhr abends im Studio, während seine Kinder um ihn herumtollen. Ich bin da vermutlich schon eher slack. Ich gucke oft Sport im Fernsehen, trinke ein Bier oder schaue mir irgendeine alberne HBO-Serie an. Dafür hätte er ja gar keine Zeit.“
Der Großteil von „Mirror Traffic“ wurde schon vor den Pavement-Shows in Los Angeles aufgenommen. Dennoch fühlten sich einige Kritiker hier bereits an die goldenen Sounds der Neunziger erinnert. „Kann natürlich sein, dass ich beim Mischen des Albums noch den ein oder anderen Pavement-Song im Ohr hatte“, so Malkmus. „Wahrscheinlicher ist aber, dass es eher wie meine frühen Sachen klingt, weil Beck mit denen einfach viel besser vertraut ist als mit meinem Solowerk. Vielleicht hat er seine Soundideen daher eher entlang der Pavement-Geschichte entwickelt. Und wir haben uns dieses Mal bei der Auswahl für die kürzeren, konziseren Popsongs entschieden und nicht für die Jams, die sonst auf Jicks-Alben immer drauf sind.“
Er habe schon wieder 20 Songs fürs nächste Album beisammen, so Malkmus. Er könne sie jederzeit mit den Jicks aufnehmen, die mit Jake Morris von den Math-Rockern The Joggers gerade einen neuen Schlagzeuger haben, da Janet Weiss nun mit ihrer neuen Band Wild Flag tourt. „Ein paar Studiotage wären vielleicht sogar ganz gut, um Jake einzuspielen. Aber … anderseits, will ich die Welt nicht schon wieder mit neuen Songs überlasten.“ Er gähnt. Müde? „No, that’s just my style.“