Neue Alben von Pixies und Kim Deal: Das Doppelporträt der Indie-Giganten

Zwei neue Alben: Machen Pixies und Kim Deal sich nun Konkurrenz?

Seit 38 Jahren ist Kim Deal Musikerin. War Gründungsmitglied der Pixies, später führte sie die Breeders an. Und doch lässt sie sich mit Wissen über ihre eigene Biografie überraschen. „Was sagen Sie da? Niemals!“. Sie lacht. Das lauteste und schönste Lachen des Alternative Rock, es ist noch da. Sie klatscht in die Hände. „Pixies hatten einen Nummer-eins-Hit? Unfassbar!“.

Aber ja. Im Jahr 2004 war das. Der iTunes Store hatte ein Jahr nach den USA auch in Europa seine digitale Pforte geöffnet. Die Pixies veröffentlichten dort ihre erste Single seit 13 Jahren: „Bam Thwok“. Eine Notlösung, weil das Stück für den Animationsklamauk „Shrek 2“ abgelehnt wurde.

Diese Nummer 1 aber, die einzige der Pixies, konnte ihr niemand nehmen

Die Pointe aber war eine andere. Bassistin Deal sang das Comeback-Lied nicht nur. Sie hatte es auch komponiert. Sie – und nicht Band-Chef Black Francis. „Bam Thwok“ landete auf Platz 1 der britischen Download-Charts. Und sollte der einzige neue Pixies-Song bis zu Deals Ausstieg 2013 werden. Ein Ausstieg, der nicht im Frieden geschah. Diese Nummer 1 aber, die einzige der Pixies, konnte ihr niemand nehmen.

Kim Deal – „Crystal Breath“:

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Nun veröffentlicht Deal, 63, mit „Nobody Loves You More“ ihr Solodebüt. Nur einen Monat nach dem neuen Pixies-Album „The Night The Zombies Came“ ihres ehemaligen Kollegen Charles Michael Kittridge Thompson IV alias Black Francis. Beide wollen über ihre neuen Arbeiten reden. Francis, 59, sitzt während des Zoom-Interviews auf einer sonnendurchfluteten amerikanischen Veranda. Deal ein paar Wochen später in einem Berliner Hotelzimmer.

Die Platten könnten nicht unterschiedlicher sein. Und sind beide gut. Die Pixies vermischen, wie zuletzt üblich, Punk mit Country, Motown mit Gothic, singen über Las Vegas. Dabei ist es Deal, die ungewohnte Showeinlagen abliefert, cineastisch auftritt. Mit Bläsern und Streichern. „Ein Orchester wie im Noir-Film“, sagt sie. „Ich dachte dabei an Hitchcocks ‚Vertigo‘“. „Summerland“ und „Coast“ intoniert sie wie ein Crooner.

Pixies – „Chicken“:

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Black Francis hatte bei den „Zombies“ auch Kino im Sinn. „Der Soundtrack zu einem Horrorklassiker, der nicht existiert. Das heißt, doch: In einer alternativen Realität!“ „Chicken“ behandelt die letzten zwei Sekunden, in denen ein Lebewesen mit frisch abgeschlagenem Kopf noch lebt. „Wie morbid: Man verliert seinen Kopf. Existiert im Übergang. Tot und lebendig zugleich. Dead und Doomed“.

Für Black Francis waren die Aufnahmen eine Reise in seine Jugend Mitte der 1980er. „Ich bin kein Zombie-Fan im Speziellen, und kein Horror-Fan im Allgemeinen“, sagt er. „Aber ich erinnere mich an meine Studienzeit in San Juan, Puerto Rico. An der Uni war ich kaum. Im Kino umso öfter. Da lief ein Zombiefilm. Mit Punks, die gefressen werden: ‘The Return of the Living Dead’.“ Fünf Monate am Stück, einen ganzen Sommer lang. „Ich sah ihn mehrmals die Woche, mitten am Tag. In einem wunderschönen Saal. Samtene Vorhänge, wohin man auch sah. Das Kino lag auf meiner Strecke zum Strand. Jeden Tag fuhr ich zum Strand. Aber stieg vorher aus, um mir Untote auf der Leinwand anzusehen. Ich hatte den Saal für mich allein.“

Ein Memory-Lane-Trip

Auch für Kim Deal waren die Albumaufnahmen ein Memory-Lane-Trip. Sie nahm Lieder in Florida auf. Dort mussten sie und ihre Zwillingsschwester Kelley, ebenfalls bei den Breeders, mit den Eltern ihre Urlaube verbringen. „Schrecklich. Mücken, Hitze, Campen, Wasserportarten. Ich bin doch ein Kind der Nacht. War ein ungezogener Teenager. Sobald es dunkel wurde, sagte ich: ‚Lass uns rausgehen und Scheiße bauen.“

„Scheiße bauen“, „fuck things up“, wie sie es nennt. So lief das auch bei den Pixies. Deal ist ein Alphatier. Black Francis ist aber auch ein Alphatier. Nach der Reunion 2004 wurde neun Jahre lang nur altes Material aufgeführt. Sie vermieden den Gang ins Studio. Weil dort mehr debattiert wird als auf der Bühne, Song-Ideen verhandelt werden müssen. Deal ging trotzdem mit in den Aufnahmeraum. Und verließ die Pixies einen Tag später auf Nimmerwiedersehen.

Soloarbeiten mit Hilfe dreier Angestellter

Ihre Nachfolgerinnen Kim Shattuck und Paz Lenchantin wurden früher oder später gefeuert. Die aktuelle Bassistin Emma Robertson lächelt auf Fotos gequält. Oder ist das nur Einbildung? Black Francis hat das alleinige Sagen. Das spiegeln auch die Post-Reunion-Alben der Pixies wider. Sie klingen wie Soloarbeiten mit Hilfe dreier Angestellter, neben Robertson sind dies die Gründungsmitglieder Joey Santiago, Gitarre, und David Lovering, Drums. Robertson überragt Black Francis um einen Kopf. Nicht die beste Voraussetzung für diesen Job.

Auf die Frage nach seinen Lieblingsmomenten der anderen auf „The Night The Zombies Came“ muss Black Francis immerhin nicht lange überlegen. Zumindest bei zweien nicht. „Joeys Solo auf ‚Chicken‘. Nicht flamboyant oder exzentrisch. Sondern souverän. Dann: Emmas Gesang auf ‚Mercy Me‘. Relaxed und rein. Nie so, als würde sie sich abmühen. Und David? Da muss ich nachdenken – aber komme hoffentlich drauf zurück.“

Die Pixies, jene einflussreiche, die Grunge-Ära vorwegnehmende Indierock-Band, war am besten, als Kim Deal noch Mitglied war. Deal schrieb den Hit „Gigantic“. Sie kontrastierte die oft in melodiöses Geschrei ausartenden Intonationen von Black Francis mit atemberaubend selbstbewusstem Co-Gesang. Lachend oder sehnsüchtelnd. Das haben ihre Nachfolgerinnen nicht geschafft.

Breeders – „Cannonball“:

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Zwar haben die Breeders nie die Bedeutung der Pixies erreicht, auch wenn ihr Album „Last Splash“ dank der Mitsumm-Single „Cannonball“ zum Sommerschlager von 1994 avancierte. Pavement-Chef Stephen Malkmus merkte böse an, dass seine eigene Hymne „Cut Your Hair“ kein Alternative-Hit wurde, weil alle den „Cannonball“ als Ohrwurm im Kopf drehen ließen. Tatsächlich war „Last Splash“ auch populärer als jedes Soloalbum von Black Francis, der sich in den Neunzigerjahren Frank Black nannte.

Sie haben seit Jahren nicht miteinander geredet. Aber Francis kommt von allein auf Deal zu sprechen. Ihm habe die Breeders-Version seines Songs „Surf Epic“ gefallen, umgetauft in „Go Man Go“. Vielleicht ein vergiftetes Lob – gute Nummer, ist ja auch nicht euer Song! Aber beide Seiten können zufrieden sein. Die Pixies werden weiterhin für mittelgroße Hallen gebucht, und deren neue Lieder nickt man gern ab, solange auch „Monkey Gone To Heaven“ gespielt wird. Und die ersten Solo-Singles von Kim Deal, „A Good Time Pushed“ und „Crystal“, erhielten hymnische Rezensionen. Wenngleich das Album „Nobody Loved You More“ auch eine Breeders-Platte ist. Die Gruppe arbeitete bei fast allen Stücken mit.

„Manchmal dachte ich, mein Leben sei eine einzige Autofahrt hin zu ihm“

Wer ebenso mitarbeitete: Steve Albini. Was „Nobody Loved You More“ auch zu einem Album über den Tod macht. Diese Produktion würde eine seiner letzten sein. Albini starb im Mai dieses Jahres an einem Herzinfarkt. Er richtete 1988 bereits das Pixies-Debüt „Surfer Rosa“ ein. Nun saß er in seinem Studio in Hawaii und arrangierte für Deal ein Orchester, das Erinnerungen an die Exotica Les Baxters weckt, pazifische Klänge der 1950er. Im Gespräch über ihn setzt Deal immer wieder neu an. Sie hat sein Ableben nicht verarbeitet. „Ich lebe in Dayton, Ohio“, sagt sie. „Ich habe Steve so oft im Studio besucht, all die Jahre lang. Stundenlange Autofahrten. Manchmal dachte ich, mein Leben sei eine einzige Autofahrt hin zu ihm.“

Das Albumcover zeigt sie auf einem Boot im Meer, nachgestellt im Fotostudio. Eine Hommage an den niederländischen Konzeptkünstler Bas Jan Ader, der 1975 mit einer Dreimeterjolle den Atlantik überqueren wollte und die Reise „In search of the miraculous (songs for north Atlantic)“ taufte. Klar, eine Tragik mit Ansage. Der 31-Jährige kam nie an. Das leere Boot wurde in Irland angetrieben. „Ein episches Versagen“, sagt Kim Deal. „Der Mann war Künstler. Kein Segler.“

Sie blickt einen fragend an. Und wir kennen die Antwort. Sie kennt sie doch auch. Kim Deal muss sich keine Sorgen machen. Für sie gilt: kein episches Versagen. Ihre Reise geht weiter.
Sassan Niasseri

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