Neil Hannon romantisiert mit seiner Divine Comedy den tristen Alltag
Neil Hannon war ein glücklicher Mensch, als er auf dem Stuhl von Scott Walker saß. Es passierte bei den Aufnahmen zu „Casanova“, als ihm ein Techniker den Sitz des Allmächtigen zeigte. Walker war eine Woche vorher dagewesen. „Ich saß den ganzen Tag darauf, bildete mir ein, Walker zu sein, und wartete auf die Befruchtung.“ Die unbefleckte Empfängnis funktionierte, denn“ Casanova“ ist ein Album geworden, das der junge Walker geliebt hätte. Der späte würde immerhin mild lächeln.
Hannon aber ist jung, 25 Jahre, und seine Frühwerke „Liberation“ und „Promenade“ datieren von 1992 und 1994. Der geniale Musiker und Songschreiber ist ganz allein The Divine Comedy, die Trademark nur scheinbar uneitel: Immer ist sein Kopf auf dem Cover. Als Sohn eines nordirischen Predigers komponierte er schon als Kind „Avantgarde-Symphonien“ – seitdem „bewege ich mich rückwärts“. Um sich jetzt dem Pophit zu nähern. Mit „Something For The Weekend“ wurde er zu „Top Of The Pops“ eingeladen, „Songs Of Love“ schmückt die britische TV-Serie „Father Jack“.
Am Anfang war Hannon ein Schwärmer. Er sang von der Liebe zu Meeresfrüchten und Büchern, von Neptuns Tochter und Sommerhäusern. In „The Booklovers“ rief er die Namen der großen Schriftsteller auf, von Sir Walter Scott bis Günter Grass, und manche antworteten – wie Vladimir Nabokov („Hello, little girl“). Von Hunden und Pferden, den Lieblingstieren, singt er noch immer. Die Musik auf den ersten beiden Alben klingt wie beim Rokoko entlehnt, und vom Pop ist das weiter entfernt als von Michael Nymans Filmmusiken zu Peter Greenaways „Der Kontrakt des Zeichners“ und, „Der Bauch des Architekten“ – filigran und pompös zugleich. Doch anders als der böse Greenaway hatte Neil Hannon nur Schönes im Sinn.
„Casanova“ ist vitriolischer und ironischer, aber auch komischer und auftrumpfender. Die Wendung zum Trivialen erklärt Hannon mit weltlichen Überraschungen: „Ich hatte Frauen gefunden, die mit mir schlafen wollten. Und gelegentlicher Sex infiziert das Denken – man wird ein wenig zynischer.“ In der Einleitung zu „Casnova“ schmeichelt Neil Hannon: „Hello, I say. Gimtne a little kiss. Don’t be unkind.“ Danach Gegickel.
Aber Hannon hat wichtigere Aufgaben. Um den „Middle Gass Heroes“, denen er eine Hymne gewidmet hat, zur Macht zu verhelfen, befördert er den Wahlkampf von Tony Blair. Derzeit schreibt er an dem Song „My Beautiful Blair“ – das Lied muß der Labour-Party doch zum Sieg verhelfen. Wit against shit! Das waren noch Zeiten, als der Sozialismus im Salon stattfand.
„Ich weiß, daß ich ein Genie bin“, freut sich Neil Hannon. „Das Universum ist ja unendlich. Deshalb müssen wir lügen – wir tun so, als wäre es endlich und überschaubar, und laufen darin herum. Also kann man alles erfinden. Und deshalb sage ich: This is a lovely little universe – und ich bin ein Popstar.“