Natürlich haben Goldfrapp die Sinnlichkeit und den Disco-Sound nicht erst jetzt entdeckt. Aber auf der zweiten Platte sind diese Themen dominant geworden
Heute ist Alison Goldfrapp übelgelaunt. Interviews am laufenden Band. Keine gescheiten Fragen. Enervierend? „Nein“, lügt sie gepresst, „ist schon okay.“ Ergebenheit ist sonst nicht ihre Art. Bei unserem letzten Gespräch, dessen zweite Hälfte im Taxi nach Tegel stattfand, sprudelte es nur so aus ihr heraus: ihre Vorlieben, ihre Einflüsse, ihre Allergien. Am Vorabend hatten Goldfrapp in der Freien Volksbühne einen triumphalen, trunkenmachenden Auftritt hingelegt. Und die kühne, kristalline Klang-Architektur ihres Debüts „Felt Mountain“ war von der Kritik gebührend gefeiert worden. Alison war im Aufwind, das ist lange her. Zweieinhalb Jahre brauchte der Musikbetrieb zur Komplettauswertung der Platte. Und nun – endlich – die schwierige zweite LP.
Sie heißt „Black Cherry“, bietet Neues und enttäuscht. „Do you like it?“, fragt Alison. „No, I don’t“, antworte ich. „Oh“, entfährt es ihr spitz. Ich relativiere: Der Titelsong ist ganz wunderbar, das Album strahlt etwas Sinnliches aus, etwas Verbotenes. Wenn nur diese Latex-Ästhetik nicht wäre, die seifigquietschigen Synths, die nicht selten teutonisch-dumpfe Motorik der Beats. Mondo Disco, eine Million Meilen entfernt vom Naturwunder „Felt Mountain“. „Ist es nicht“, widerspricht Alison gequält, „jedenfalls nur zum Teil. Die balladeskeren Stücke erinnern doch teilweise sehr an das erste Album. Der Rest ist direkter, nicht so dunkel und doppelsinnig.“ Frivoler?, Ja, sicher. Die Disco-Parallelen sind gewollt Ich liebe das.“
Sie berichtet von ihren Exkursionen in die Tanztempel Europas, wo sie in den letzten zwei Jahren hin und wieder als DJ tätig war. Unter anderem mit sie sagt es fast trotzig – Donna Summer und, wait for it, Baccara. Hölle und Teufel, diese zwei hochnotpeinlichen „Jässör, Aikenbuuugi“ radebrechenden Schnepfen, Älteren in gruseliger Erinnerung als lebendes Inventar von Mike Leckebuschs schmieriger TV-Abendunterhaltung „Musikladen“! Die Saat des Giorgio Moroder, über die Jahre in die Tanzböden von Dorf-Discos in der ganzen Welt getrampelt, geht wieder auf. Allerdings soundtechnisch modifiziert, sirenengleich gesungen und lyrisch veredelt mit mal warmen, mal widersprüchlichen Erinnerungen an Sex. In „Twist“ ist es ein Zigeunerjunge, zu dem die jugendliche Alison auf dem Rummelplatz entbrennt, in „Tiptoe“, einem Schwellkörper von einem Song, geht es um Sex als solchem. Sie sei während der Sessions entsprechend aufgeladen gewesen, mutmaßt Alison. „Und warum sollte ich nicht mehr Songs über Sex schreiben?“ Whynot, indeed.
Erhebt sich die Frage, welche Art Produkt diese neuen Tracks künftig bewerben werden, hatte „Felt Mountain“ doch Soundtracks für ganze Produktpaletten geliefert, in Spots für Riegel oder Reiseveranstalter. „Wir haben nichts gegen die Verwendung unserer Musik als Werbeträger“, sagt Alison, „aber wir achten darauf, dass wir die betreffenden Produkte auch vertreten können.“ Klar. „Naja“, räumt sie ein, „ehrlich gesagt spielt Geld schon die entscheidende Rolle. Wir würden aber Angebote für Commercials ablehnen, die wir für korrupt oder korrumpierend halten. Wir haben schon etliche abgelehnt, „Weil ihr euch nicht damit identifizieren konntet? „Nein, weil die Bezahlung nicht stimmte.“ Eine ehemalige Klosterschülerin lügt eben nicht.