Nationalgalerie: Konfuse Wehmut in kryptischen Worten

Leben als Tütensuppe: Songschreiber Niels Frevert und die NATIONALGALERIE suchen den korrekten Weg zum Erfolg

Das Gewissen sitzt in einer Ecke des leeren Caßs Saal 2 im Hamburger Schanzenviertels. Niels Frevert und Matthias Krieg haben mit der Nationalgalerie gerade das Album „Meskalin“ aufgenommen und sinnieren über das Stück „Tütensuppe“. Bei der Plattenfirma haben sie auf diesen Song als erste Single bestanden, obwohl er „nicht ins Radio paßt“, so Frevert. „Die erste Single ist ein Statement. Sie soll unser Album repräsentieren.“ Als kulturpessimistische Verweigerer verstehen sie sich nicht. Es geht ihnen um persönliche Integrität. „Hey, hey, nichts ist ok/ Alles ist in Ordnung, wenn ich es will“, jubelt Frevert düster, und Kriegs Gitarre schlägt zu. „Wohin mit dem Leben/ Wohin mit dir selbst/ Wohin mit den Fragen, die du dir stellst.“

Frevert trägt zuweilen schwer an seinem Leben als Tütensuppe und seinen Fragen, die er niemals wirklich beantworten kann. Sieht er bei Gesprächen mal nicht weg, ist in seinem Blick die Einsamkeit des Seins zu erkennen. Er weiß um die Endlichkeit der Dinge und die Grenzen „von positivem Denken“

– was ihn um so stärker zur Sehnsucht treibt. In „Zombie’s hungrig“ spielt er Träume gegen einen weltlichen Rat aus: „Märchen wiederholen sich/ Warum nicht für mich/ Mein Anwalt sagt/ Ich rate ihnen zu etwas Meskalin.“ Während die Welt am Halluzinogen hängt, jault Frevert wie der Trübsals-Komödiant Mark Eitzel.

Wie dieser mag Frevert die eigenen Seelenkrisen über die Lyrik hinaus selten interpretieren. Fragen danach rühren seine Hilflosigkeit Stets zweifelt Frevert am eigenen Schaffen. „Es behindern die Ansprüche, die ich an mich selbst stelle. Drei Monate habe ich überlegt, worüber ich bloß schreiben soll Dann begann die Produktion, und kein Text war fertig. Ich kann nicht in Reimen denken und alles so herunterschreiben. Es sammelt sich auf vollgekritzelten Zetteln.“

So ringt er seiner Seele konfuse Wehmut in kryptischen Wortreihen ab. Gefühle werden angerissen, Gedanken bleiben unvollendet. Als ewiglich verliebter Junge fabuliert er von „Autokino und Achterbahn“, „Tausend verstimmte Geigen“ und „Einen, der als letzter merkt/ Es regnet Tränen in mein Herz.“ Wenn es denn Kitsch ist, ist er nackt und konterkariert von melodramatischem Hohn wie „10 und aus und so weiter/ Das Leben ist schön, es ist so schön“.

Nur in dem Stück „Entmaterialisieren“ prügelt der sonst schüchterne Schlaks munter auf Spaß-Heloten ein: Es ist jenes Lied, das Frevert am wenigsten bewegt. „Es ist eine Parodie. Zu einem Zwei-Minuten-Schrammel-Pop-Song gehört ein Text in Comic-Form.“

Zudem drücken die Zorneszeilen das Gegenteil vom Anspruch der Nationalgalerie aus. „Meskalin“ glänzt als unspektakuläres, fast klassisches Album. Das Gitarrenspiel lärmt seit Indiana“ noch geschlossener, träge Elegien werden von Schwermut, eindringlichem Verharren und knarzigen Riffs getragen, und Freverts Stimme hat sich vom Jugendpathos zum vollen Verzweiflungsklang gewandelt. „Das schroffe Songwriting ist vom Punk“, erklärt Frevert. Er schätzt Blumfeld für die Konsequenz, sich vielen Mechanismen zu entziehen. Der Springer-Verlag ist ihm noch heute suspekt, mit der „Bild“ will er nicht reden. Krieg sind R.E.M. und Pearl Jam ein Vorbild: »Auftritte sind sehr wichtig.“ Ein Video bei MTV und Viva ist trotzdem, klar, „superwichtig“. Als „Tempo“ vor Jahren einen Bericht bringen wollte, erzählt Frevert, erklärte er sein Ziel: „Ich sagte: Wir sind Musiker und machen eine Platte, damit wir eine weitere Platte aufnehmen können. Der Redakteur antwortete: ,Das ist eine langweilige Peter-Maffay-Einstellung.“‚ Die Nationalgalerie ist den einen zu sehr Mainstream, anderen zu eigenwillig. „Ich bin“, so Niels Frevert launig, „der Kapitän Ahab der deutschen Popmusik.“

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