Narren auf Lebenszeit: Faith No More entließen ihren Gitarristen und erwachten aus der kollektiven Depression
Erwachsen zu werden, ist unangenehm. Man läßt sich die Haare schneiden und sieht danach aus wie ein Aushilfepolizist auf Urlaub. Das ist natürlich eine rein subjektive Beobachtung, nicht wirklich wichtig und für Faith No More-Sänger Mike Patton das geringste Problem. „Ein Witz, und deswegen ist die Musik auch ein Witz. Nur – nach ein paar Jahren ist der Witz alt, du beginnst nachzudenken, und du checkst zum ersten Mal: Das ist mein Lebensinhalt. Ich werde erwachsen und verbringe meine gesamte Zeit damit, Musik zu machen. Dieses verdammte Leben ist meine Realität!“
Wahrscheinlich verhält sich der Zeitpunkt der ersten midlife crisis direkt proportional zum Berufeeintritt. Mike Patton war 21, als er bei Faith No More als Sänger eingestellt wurde, heute ist er 26. Seine Band-Kollegen bemerkten der britischen Presse gegenüber einmal lakonisch: „Es tut uns leid, daß wir ihn so versaut haben.“
Damals, 1988, stolperte Patton in die aufstrebende Karriere der Band aus San Francisco, gerade noch rechtzeitig, um anstelle des Vorgängers Chuck Mosley seine Stimme auf deren Durchbruch-Hit JEpic“ zu bannen. Jung, ungestüm und zottelhaarig hopste er durch das zugehörige Video. Fünf Jahre später attestierte ihm das britische Musik-Blatt „New Musical Express“, geisteskrank, destruktiv und außerdem pervers veranlagt zu sein. Der Band prophezeite man ob innere Zerwürfnisse ein baldiges Ende. Faith No More waren damals über ein Jahr auf Tour, zelebrierten landauf, landab quer durch Europa eines der besten Rock-Alben des Jahres 1992, ihr zweites Mike Pattons Miene verfinstert sich, wenn er von dieser Zeit spricht „Es war ein verdammter Witz. Irgendwann konnte keiner mehr lachen.“ Eine Band am Rande des Nervenzusammenbruchs. Gitarrist Jim Martin verweigerte jegliche Kommunikation und ließ sich auch keinen weiteren Gitarren-Griff mehr beibringen. Letztlich beschlossen sie, in Zukunft auf einen Gitarristen, der prinzipiell zwei Brillen übereinander trägt und auch sonst nicht viel Konstruktives im Sinn hat, in Zukunft zu verzichten. Patton: Jim (Martin) war lange so etwas wie ein künstlerisches Statement in der Band. Er war dieser typische Rock-Gitarrist. Trinkt gerne Bier und faßt Mädels an die Titten. Als ich damals zu Faith No More kam, dachte ich, der Rest der Band müsse masochistisch veranlagt sein, sich so jemanden anzutun.“
Mittlerweile quält Jim Martin Phillip Boa als Gaststar bei Voodoocult, die Restband Faith No More schöpfte Kraft aus der kollektiven Depression und schuf mit einem Aushilfs-Gitarristen ein neues Album: „King For A Day, Fool for A Lifetime“. Hardcore, Pop-Grooves und schmachtende Country-Balladen geben sich darauf ein munteres Stelldichein. Mike Patton hat dafür ganz klare Erklärungen bereit: „Unsere neue Musik fühlt sich gut an, etwa so gut, wie jetzt von diesem Gebäude zu springen – oder nackt die Straße herunterzulaufen.“