Nackt im Gegenwind
Für einen jungen Songwriter ist es ein Glücksfall, wenn eine Werbeagentur mit großem Etat anruft und um ein Lied bittet. Natürlich, Tom Waits sagt dann nein und will keinem Auto seine imageträchtige Stimme leihen. Aber Tom Waits würde dann ja auch seinen guten Namen verkaufen, nicht nur ein Lied. Simone White, obschon eine Frau mit festen Überzeugungen, stimmte jedenfalls gleich zu, als ihr Song „The Beep Beep Song“ für einen Audi-Spot angefragt wurde. „Es wäre ja scheinheilig gewesen, nein zu sagen“, sagt sie. „Ich fahre schließlich selbst ein Auto.“
Nun ja, das ist nicht der Punkt. Aber der Spot geht schon in Ordnung, zumal er so schön ästhetisch ist. Und wenn’s hilft, diese Karriere anzukurbeln, dann war es ein guter Pakt mit dem Teufel. Denn Simone White, deren zweites Album „I Atm The Man“ nun auch bei uns zu haben ist, verdient viel Aufmerksamkeit. Weil White etwas ganz Berückendes in ihrer Stimme hat. Weil die Lieder trotz des sanften Lächelns nicht sentimental im Sinne des durchschnittlichen Kaffeehaussängers sind, sondern den Folk mit einem Hauch viel älterem Songwriter-Jazz und Brill-Building-Pop und vielen anderen Dingen. Schließlich, weil Protest gegen die Bush-Legislative und generell gegen Ungerechtigkeit selten so persönlich-still und gleichzeitig ergreifend war.
Produzent Mark Nevers (Lambchop, Bonnie „Prince“ Billy) hat in seinem Heimstudio in Nashville subtil andersartige, immens vielseitige Arrangements geschaffen – war das letzte Album von White noch recht herkömmlich, scheint nun etwas Gewachsenes, Historisches durch ihr Repertoire. „Ich wollte etwas Tieferes in den Songs erkennbar werden lassen“, nickt White, die natürlich ein bezauberndes Wesen hat und sich genau das Geheimnis bewahrt, das ihre Musik umgibt.
„Es geht um eine Art schmerzhafter Sehnsucht, um das Vergessen und Erinnern. Bei den Portugiesen gibt es dafür das Wort ,Fado‘ – das ist ja der Name der dortigen Folklore, aber es beschreibt auch ein Gefühl – wie wenn man jemanden vermisst.“ White schaut noch im Wörterbuch nach, um ja nichts Falsches zu sagen, aber man versteht schon, was sie meint.
Auf dem Cover von „I Am The Man“ ist das vergilbte Foto einer Frau zu sehen, die mit einem jungen Leoparden herumtollt. Es ist Whites Mutter, die auch das Booklet ziert, genau wie die Großmutter eine Show-Darstellerin, ungefähr in den 1950er Jahren. Man findet das seltsam und meint zunächst, die Künstlerin selbst wolle sich ein bisschen rätselhaft machen. Und dann auch noch der Titel! „Nein, nein, ich bin nicht rätselhaft“, lacht White, „wenn es nach mir ginge, wäre ich immer nackt zu sehen. Im übertragenen Sinne. Aber meine Plattenfirma hat gesagt, ein Porträt von mir wäre uncool, nicht Indie-mäßig.“
Immerhin ist das Familienfotoalbum ein guter Verweis auf Whites farbenfrohe Biografie. Kindheit auf Hawaü,Jugend hier und da an der Westküste, Liebeskummer in London, Film und Fotografie in Paris und New York, dazu die erwähnte Künstlerfamilie, die White wohl kein Lotterleben, aber eine große Weltoffenheit mit auf den Weggegeben hat. Und was soll jetzt der Titel? „Ich meine das ein bisschen buddhistisch – je mehr ich anklage und protestiere, desto mehr fällt mir auf, dass ich bei mir selbst anfangen muss und dass die Fehler im Großen im Kleinen genauso passieren. Iam the man, y’know.“ Wir haben verstanden.