Daniel Krüger (1987-2019)
Wir trauern um unseren „Musikexpress“-Kollegen Daniel Krüger
Noch am Tag vor seinem Tod arbeitete Daniel am Programm für unsere nächste Sendung: „Eine Top 3 würde ich gerne machen: Geräusche in Filmen, die uns nerven.“ Es wäre Teil unseres fünften Podcast der „Streifenpolizei“ geworden, mein „Musikexpress“-Kollege und ich sprachen darin über Kino und Fernsehen. Wir waren stolz auf das Format. Wir waren erst im Dezember damit gestartet und standen in den iTunes-Charts zuletzt auf der Eins. Vor „Germany’s Next Topmodel“, der „Sendung mit der Maus“ und „Quarks“. Und beide waren wir nicht mal Moderations-Profis, wir waren Schreiber. „Streifenpolizei“ wurde unser Lieblingsprojekt.
Ich versuchte im Podcast-Studio manchmal akademisch zu klingen, weil ich dachte, wir würden auch Haltungsnoten bekommen. Daniel verschwendete an solche Gedanken keine Zeit. Er haute am liebsten süffisante Einzeiler raus. Als es bei einem missratenen Film um Morde in der kalifornischen Galeristen-Szene ging, versuchte ich über Metaphern in der Kunstwelt zu reden. Er sagte einfach, und damit war der Film für ihn und mich gestorben: „Sassan, überleg doch mal: Gemälde sollen Menschen umbringen?“ Der Film hieß „Die Kunst des toten Mannes.“
Früh war klar, dass Daniel irgendwann vor ein Mikro musste. Er war seit 2014 bei uns, kam von der Axel Springer Akademie, hatte zuvor nicht als Journalist, sondern nach dem Abitur als Steuerfachangestellter gearbeitet, was uns umso neugieriger auf ihn machte. Jeden Tag stand er sechsmal im Hof und saugte in jeweils drei Minuten seine Zigarette aus. Er lief breitbeinig, trug einen Nick-Knatterton-Mantel, manchmal einen Schnurbart und die meiste Zeit lange Haare. Er brachte den Mops seiner Freundin mit in die Redaktion. Er schaffte es, dieses Exemplar der unangenehmsten Art Hund zum Lieblingshund des Hauses zu machen. Er erklärte mir, woran man erkennt, dass Möpse unterschiedlich aussehen. Hielt ich für ein gemeinsames „Streifenpolizei“-Foto meine Tochter hoch, griff er zu Martin, dem Mops.
Ich nannte Daniel anfangs, wohl um ihn besser kennenzulernen, Sawyer. So hieß der schöne Außenseiter aus „Lost“, der sogar auf einer Insel voller Gestrandeter noch aus freien Stücken Außenseiter blieb. Er verstand den Wink sofort und nannte mich zur Strafe Peyman, das war der Jury-Perser aus „Germany’s Next Topmodel by Heidi Klum“. Irgendwann stritten wir über „Star Wars“ – vor Feierabend im Hof, nach Feierabend vor dem Späti neben der Redaktion, bei einigen Bieren. Damit war klar, dass wir uns befreunden würden.
Der Kanon des Kinos ließ ihn unbeeindruckt
In den letzten Jahren arbeitete Daniel Krüger als Online-Filmredakteur für den „Musikexpress“, und er verfeinerte seinen lakonischen Stil. Der Kanon des Kinos ließ ihn unbeeindruckt. Über Billy Wilders Klassiker „Manche mögen’s heiß“ staunte er, weil der seit 60 Jahren die Ranglisten der „lustigsten Filme“ anführte: „Kennst Du auch nur irgendeinen, der heutzutage diesen Film einschaltet und sich darüber schlapplacht?“ Nur ein Beispiel seiner erfrischenden Respektlosigkeit, die seine Kritiken so überzeugend machte.
Zuletzt bezeichnete er Gaspar Noés LSD-Ballett „Climax“ als „besten Film aller Zeiten“, weil der authentisch zeige, dass es nichts Entsetzlicheres gebe als unfreiwillige Drogenräusche.
Es gab Tage, da kam Daniel nicht in die Redaktion, weil drei Pressevorführungen anstanden, die er sich anschauen wollte, und die fielen nun mal alle auf denselben Tag. Die Texte schrieb er dann … ich weiß nicht, wann er die Texte schrieb. Aber sie kamen rechtzeitig und sie waren lang. Daniel und sein Redaktionsleiter Fabian Soethof teilten sich mit ROLLING STONE Online das Großraumbüro, und manchmal muten Großraumbüros ja wie ein einziges „Stromberg“-Szenario an. Es gibt darin Streber, Zyniker, Kollegen, die gar nicht auffallen, Maulhelden, und Chefs, die manchmal reinkommen und dann sind alle schlagartig ruhig.
Daniel war einer, der sich in diesen Kosmos nicht so einfach einfügte. Er tauchte zu seiner eigenen Zeit auf, war nie im Rad, und er war auch dann allgegenwärtig, wenn er nicht anwesend war. Kam er hereingeschneit, fragten wir uns: Welche Geschichte hat er diesmal mitgebracht? Jeder, der sich über seine Bürotätigkeit definiert, muss diese Freiheit, die Online-Redakteure selten haben, beneidet haben. Daniel machte sich seine eigenen Leistungspläne, und es funktionierte. Seine Besprechungen wurden immer erfolgreicher, seine Arbeit also immer erfolgreicher.
Er war „dkr“
Daniel war auch Maler, er hatte Ausstellungen, er unterzeichnete seine Bilder mit „dkr“, und seine Privatmail enthielt sogar ein „Berlin dkr“. Ich nannte ihn irgendwann auch nur noch dkr, natürlich, um ihn zu provozieren. Doch nicht ein einziges Mal in fünf Jahren ließ er sich aus der Reserve locken. Er kannte seinen Wert. Auf seiner Facebook-Seite tauchte irgendwann ein Foto von ihm und Ai Weiwei auf, Bildunterschrift: „Artists“.
Daniel engagierte sich politisch, es war ihm ein Anliegen zur „Wir sind mehr“-Demo nach Chemnitz zu fahren. Er war im brandenburgischen Spremberg aufgewachsen, kannte Mitschüler, die zu Rechten wurden; er war bis zuletzt besorgt, dass die Rechten wieder groß werden könnten. In den letzten Wochen ging Daniel zu seinen ersten Sitzungen im Ortsverband der Jusos in Neukölln. Er wollte etwas verändern. Als er erzählte, dass die Teamleiterin an seinen kritischen Nachfragen verzweifelte – er musste dort im Stuhlkreis sitzen und meldete sich in einer Tour –, da wusste man: Eine Partei und Daniel Krüger, das würde nicht lange gut gehen.
Er liebte die abwegigen Urteile. Er hat es fast geschafft, uns den „Star Wars“-Film „Angriff der Klonkrieger“ als einen guten zu verkaufen. Er liebte den Kitsch der Liebesszene, als der Held und die Prinzessin über eine Blumenwiese rollen. Liebesfilme waren sein Ding, er gab es sogar zu.
Zuletzt orchestrierte Daniel einen jener Büro-Momente, die am schönsten sind: Einer fängt an über ein Thema zu reden, und nach und nach steigen alle ein, keiner guckt mehr auf den Arbeitsbildschirm, aus Stille wird großartiges Chaos. Es ging um den Weihnachts-Film „Tatsächlich … Liebe“. Er sprach über die Einstellung, als ein Junge in einer halsbrecherischen Aktion über Flughafen-Absperrungen springt, um der Angebeteten vor ihrer Abreise auf Nimmerwiedersehen, seine Gefühle zu gestehen. „Wir müssen aufhören darüber zu reden, sonst muss ich weinen“, sagte Daniel, winkte ab, ließ den Nick-Knatterton-Mantel wehen und machte sich auf nach Hause.
Im April läuft „Avengers 4: Endgame“ an, der Marvel-Blockbuster, auf den er sich seit Jahren gefreut hatte. Wir standen so kurz davor. Der letzte Kampf zwischen Captain America, Thor, Iron Man und ihren Freunden gegen Thanos, der das Universum beherrschen will. Was wäre das für eine Besprechung geworden!
Wir werden den Film mit ihm durchgehen, irgendwie. Wie kämen wir auch an Daniel vorbei?
We’ll see you at the movies.