Nachruf auf Uwe Kopf: Der Verzauberer

Zum Tod des Autors Uwe Kopf

Es  waren immer die Kleinigkeiten, über die er schrieb, weil die Welt aus Kleinigkeiten besteht. Uwe Kopf hat eine solipsistische Sprache der verblüffenden, vollkommen  lakonischen und vollkommen bezaubernden Poesie erfunden, in der Momente und Gesten, die Physiognomien und Eigenarten von Menschen, absurde Tatsachen und wahre Erfindungen die schillerndsten Verbindungen eingingen. Das Heilige und das Profane waren ihm einerlei. Er war ein Existenzialist. Die Welt ist die Summe der Dinge, aber es ist die Betrachtung, auf die es ankommt, und die Anordnung. Uwe ordnete mit einem seismografischen Sensorium der Empathie, wortverrückt, detailversessen, um das Allereinfachste bemüht, das auf das Gesamte verweist.

Einmal, Anfang der 90er-Jahre, wies er in der Stadtzeitschrift „Szene Hamburg“ auf die modischen gestreiften Hosen des Sängers Edwyn Collins hin: Collins müsse aufpassen, dass er nicht zu enge Hosen trage, denn die Hoden würden gequetscht. Es war eine Plattenrezension. Uwes Plattenbesprechungen waren immer die wundersamsten Überlegungen zu Herkunft und Geschichte, zu Psyche und Physis, Texten und Musik, geheimen, nur von ihm geknüpften Verbindungen zwischen eigentlich nicht zusammengehörenden Entitäten. Er verweigerte sich der Sprache der Pop-Kritik. Er verweigerte sich den Klischees der Sprache. Er verweigerte sich den Klischees des Lebens.

Philosophische Gastro-Kritiken

In „Bild“ und im „Hamburger Abendblatt“ schrieb er die schönsten aller Restaurantkritiken: Er ging in ein Lokal, meistens saß ihm eine Begleiterin gegenüber, und er beschrieb das Restaurant, den Wirt, das Essen, die Getränke mit allergrößter Sorgfalt, seine Begleiterin sagte etwas, und es war das Philosophischste, das man sich bei einem Abendessen vorstellen konnte. Über ein einfaches griechisches Restaurant in einem schmucklosen Flachbau an einer viel befahrenen Straße in einem ungemütlichen Viertel in Hamburg schrieb er: „Der Wirt gibt dem Gyros die Würde zurück.“ Er stritt mit einem Wirt über den Unterschied zwischen einem Wiener Schnitzel und einem Schnitzel Wiener Art. Der österreichische Besitzer hatte nicht nur diesen Unterschied nicht verstanden, denn er hatte sein Lokal „Watzmann“ genannt. Der Berg ist in Deutschland.

Das schrieb Uwe im vergangenen Dezember in der Kolumne „TV-Kopf des Tages“, die seit 2006 in der „B.Z.“ erschien. Seine Texte kündigten jeweils eine Fernsehsendung an, einen Film, eine Dokumentation. Das merkte man aber meistens gar nicht, und die Texte handelten auch nicht davon. Sie handelten von Gott und der Welt, von Menschen und Orten, von Sonderbarkeiten und Spezialwissen. Uwe war ein Überwältigungskünstler, dem man lesend in die erstaunlichsten Windungen und Wendungen des Geistes und der Formulierung folgte. Es gibt keinen Pomp und Tand, wenige Fremdwörter und keine Blenderei in seinen Texten. Privat schrieb er genauso. In der Zeitschrift „Faces“ befasste er sich in einer Kolumne mit der Sprache an sich, mit Syntax und Grammatik, Zeichensetzung und Orthografie, Form und Stil. Er liebte Substantive und Kommata – diesen Gedankenstrich hätte er nicht gesetzt.

Textchef von „Tempo“

Uwe Kopf, geboren 1957, stammte aus Kaiserslautern, aber als Kind kam er nach Hamburg, und er sprach ein unverstelltes Hamburgisch, das man sonst nur bei den Eingeborenen hört. Er arbeitete als Bürobote bei „Szene Hamburg“ und wurde dann der prägende Redakteur der Zeitschrift. Seine Kolumne hieß „Trends“, und ein Leserbrief wurde so beantwortet: Auch der Autor behauptet nicht, dass auch nur ein einziger Trend darin vorkommt. In den späten 80er-Jahren prägte Uwe, schreibend und als Textchef, „Tempo“. Es war eine herrliche Zeit, als man jeden Monat einen Kopftext lesen konnte und seine Plattenbesprechungen, zierlich und präzise wie Haikus. In seiner Kolumne formulierte er wie mit dem Skalpell, aber ohne Eifer. Als er den ROLLING STONE kritisierte, tat er das mit Bedauern. Uwe war traurig. Er hatte sich auf auf etwas gefreut.

„Politik und Alltag“ für ROLLING STONE

Später freuten wir uns, denn von 2010 an schrieb Uwe für den ROLLING STONE. In „Politik und Alltag“ war keine Politik, aber Alltag. Er tuschte Plattenrezensionen, bei denen man am ersten Satz den Autor erkannte und bei jedem anderen Satz auch. Er war stets großzügig und neigte zu hohen Wertungen. Er gab gern viele Sterne.

Thomas Bernhard war sein Lieblingsschriftsteller. Wie Bernhard hatte Uwe sich zurückgezogen, schrieb in seiner Wohnung, schrieb vergnügliche E-Mails, schrieb auch bei Facebook. Er trank Wein. Er fuhr Fahrrad. Er verwöhnte uns. Wer einen Text von ihm bekam, der hatte ein Lächeln auf dem Gesicht. Er schrieb einen Roman, „Die elf Gehirne der Seidenspinnerraupe“, der im April erscheinen wird.

Uwe Kopf starb am 9. Januar in Hamburg. Der Tod, hat er geschrieben, ist eine Dame ohne Gnade.

>>> Die Artikel von Uwe Kopf für ROLLING STONE

 

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