Nachruf auf Doris Day: Die eiserne Verführerin
Zum Tod der unvergleichlichen Schauspielerin und Sängerin Doris Day, deren Komödien ein amerikanisches Genre begründeten.
Es war die längste Karriere im amerikanischen Entertainment, und sie wäre noch viel länger gewesen, wenn Doris Mary Ann Kappelhoff nicht Mitte der 70er-Jahre beschlossen hätte, nicht mehr Doris Day zu sein, obwohl sie immer noch wie Doris Day aussah. 1939 hatte sie als Sängerin im Radio und in Nachtclubs begonnen, und 2011 erschien ihr letztes Album: „My Heart“. Unter dem Namen Doris Day.
Als Tochter deutschstämmiger Eltern – der Vater war Musiklehrer – wurde Doris Kappelhoff 1922 in Cincinnati geboren. Ein Nachtklub-Entrepreneur gab ihr den schlichten, nicht deutsch klingenden Namen (nach dem Song „Day By Day“) Sie war einer der Sängerinnen, die mit Big Bands auftrat und die Schlager in der Zeit des Weltkriegs, der Zeit der Andrew Sisters, von Bing Crosby und Frank Sinatra sang – 1944 war ihr „Sentimental Journey“ ein Nummer-eins-Hit in den USA.
AmazonDoris Day war ein sehr blondes, anständiges Mädchen, zu dem die Soldaten gern zurückkehrten (wiewohl sie, im wirklichen Leben, mit 24 zum zweiten Mal verheiratet und bald wieder geschieden war). Von 1948 an spielte sie kleine Rollen in Hollywood-Filmen, in Musicals vor allem und in Burlesken, oft in Filmen von Michael Curtiz und David Butler, Studiokonfektion in schneller Folge. In diesen allesamt unbeachtlichen (und kaum beachteten) Filmen spielte sie die ungefährliche junge Frau.
Die untypischste Hitchcock-Blondine
In Alfred Hitchcocks „Der Mann, der zu viel wusste“ spielte sie 1956 neben James Stewart eine biedere Ehefrau, die sich zu helfen weiß, als ihr Kind entführt wird – die untypischste Blondine bei Hitchcock, eine Gefährtin, eine Beschützerin. Grace Kelly hätte die Rolle wohl gespielt, wäre sie nicht Fürstin geworden – aber Doris Day (wie 1960 noch einmal in „Mitternachtsspitzen“) war die perfekte Besetzung für den Schrecken im Bürgerlichen, wenn das Unbegreifliche ins Geordnete eindringt. Ihr Lied „Que Sera, Sera?“ ist ein seltene gefühlige Epiphanie in einem Hitchcock-Film.
Doris Day blieb diese umsichtige, unabhängige und unbeugsame Frau in den frivol-spießigen Komödien, für die sie notorisch wurde – nur dass der Schrecken, der alles durcheinanderbrachte, stets ein Mann war.
Und am besten war es Rock Hudson. 1959 begann die Phase der so genannten Sex-Komödien (bei denen es um die vorgebliche Vermeidung und die Anspielung auf Sex geht) mit Gordon Douglas‘ „Bettgeflüster“, einer eminent erfolgreichen Klamotte, die im Sonntagnachmittags-Fernsehen noch viel erfolgreicher wurde. Rock Hudson war der Mann, den sie zu hassen liebte, und umgekehrt war sie genau die Nervensäge, die er gegen jede Wahrscheinlichkeit gewinnen wollte – wie sie richtig vermutete: eigentlich bloß herumkriegen.
In „Ein Pyjama für zwei“ (1961, mit Hudson) und „Ein Hauch von Nerz“ (1962, mit Cary Grant) von Delbert Mann und in „Was diese Frau so alles treibt“ (1963) und „Schick mir bitte keine Blumen“ (1964, mit James Garner) ist Doris Day die Frau, die der Nimbus der Uneineinnehmbarkeit, der aufreizenden Prüderie umso begehrenswerter macht. Sie erwartet eine Form der Werbung (und um zeittypische Werbung im kommerziellen Sinn geht es auch oft in diesen Filmen), die es in den prosperierenden USA jener Tage nicht gab (und die es womöglich nie gab), und sie ist eine Frau, die es allein schafft – keine Mae West, sondern eine strenge, humorlose Gouvernante, eine Frau für Heirat, Wohlstand und Sittlichkeit, für die materiellen Glücksversprechen der Nachkriegszeit.
Der Zauber dieser mondänen, albernen Burlesken verflüchtigte sich, als das New Hollywood begann und Doris Day 1966 aufgrund eines Versehens den walisischen Schwerenöter Richard Harris für „Caprice“ verpflichten ließ. Frank Tashlin, berühmt für seine Klamotten mit Jerry Lewis und Dean Martin, inszenierte die Farce, in der Day und Harris naturgemäß nicht harmonieren und in der die Sitten plötzlich wirken, als wäre es ein anderes Jahrhundert. Sie merkte es. Das Angebot, in Mike Nichols‘ „Die Reifeprüfung“ die Mrs. Robinson zu spielen, lehnte sie 1967 ab. Es war nicht mehr ihre Welt, und es war nicht ihre Moral. „Die Reifeprüfung“ war grundstürzend, aber er wäre noch subversiver, ja brutaler gewesen, hätte Doris Day statt Anne Bancroft die Frau gespielt. Nicht auszudenken!
Doris Days Herz gehörte den Tieren
Doris Day drehte noch drei unerhebliche Filme und zog sich 1968 vom Kino zurück, trat bis 1973 in ihrer Sitcom und zwei großen Specials im Fernsehen auf und kehrte Mitte der 80er-Jahre für eine Weile mit einer Talkshow („Doris Day And Friends“) zurück. Sie widmete sich Tieren. Sie spielte keine Nebenrollen in Katastrophenfilmen, sie biederte sich nicht an. In dem Küsten-und Künstlerort Carmel in Kalifornien (in dem Clint Eastwood einige Jahre der Bürgermeister war) führte sie ein kleines, sauberes und gediegenes Hotel, in dem die Fotos von all den Filmen an den Wänden hängen, während die Besitzerin naturgemäß selten dort war. Aber sie war manchmal dort. Oder sie ließ grüßen.
„My Heart“, ihr letztes Album, war vor acht Jahren ihr Abschiedsgruß an ihren geliebten einzigen Sohn Terry Melcher, den Plattenproduzenten und Songschreiber, der 2004 gestorben war. Es war auch der Abschiedsgruß an ihr Publikum. Auf dem Cover sah sie noch immer aus wie: Doris Day.
Am 13. Mai starb die ehrbare Dame der eisernen amerikanischen Moralität im biblischen Alter von 97 Jahren in Carmel am Meer.