Nachrichten aus dem schwarzen Schlund: Michael Gira gräbt mit Swans in den Abgründen menschlicher Existenz
Neulich war es mal wieder soweit. Nach einem Konzert in Amsterdam wurden Michael Gira und Jarboe mit einer Hauptströmung ihrer Fan-Gemeinde konfrontiert. Ein paar Grufties kamen in die Garderobe, „kalkweiß geschminkt und ganz gräßlich auf Vampir getrimmt“, wie sich die ätherische Sängerin Jarboe erinnert. „Ich habe mich furchtbar erschrocken.“
Nun – Robert Smith hätte sicher routinierter reagiert. Den Meister Gira macht das Thema sauer. Er plaziert an dieser Stelle einen seiner sarkastischen, abgebrühten Kurz-Lacher. „Ha – diese Leute kommen wohl, weil ich eine tiefe Stimme habe. Ich kann mich absolut kein bißchen mit ihnen identifizieren.“ Er schimpft noch ein bißchen über Andrew Eldritch „und ähnlich aufgeblasenen Mist“. Scheinbar liegt hier das bedauerliche Mißverständnis vor, die Swans seien gothic. Bloß: Wer ist schuld daran? Während der ganzen 80er Jahre haben die Swans jährlich durchschnittlich zwei Platten herausgebracht, auf denen ziemlich dunkle und pessimistische Dinge gesagt wurden über das Leben und die Liebe. Auch auf dem neuen Album „The Great Annihilator“ finden sich Zeilen wie diese: „Ich bin die Sonne/ Ich gehe über der Welt auf/ Und wenn das Licht ausgeht/ Töte ich ein weiteres Kind.“ Und Giras Gesang klingt nun mal, ab sei er in den Katakomben von Rom aufgenommen worden.
Anfang der 80er Jahre hingen Gira und seine Leute in New York mit Sonic Youth ab. Von deren Mitglied Lee Ranaldo ist das Zitat überliefert, es gebe überhaupt keinen schwierigeren Menschen auf der Welt als Gira. „Ich machte mir überall Feinde“, gibt dieser zu. „Ich kann sehr aufbrausend und egomanisch sein. Sonic Youth zogen herum und machten sich überall Freunde.“ Vielleicht ist das der Grund, warum Sonic Youth heute sowas wie ein Heiligtum sind, während die Swans offenbar durch die Maschen fielen? „Möglich. Ein Problem ist auch, daß wir nie so ganz reinpaßten – in keine Szene und auch in kein Musikfach. Es würde wohl niemand wagen, uns als Grunge anzubieten.“ Wohl nicht. Auch „The Great Annihilator“ gibt sich eher monolhitisch und unzugänglich. Nur Jarboes helle Stimme, die Giras Litaneien von Zeit zu Zeit relativiert und gegen den Strich bürstet, verhindert das Abdriften in vollendete Hermetik. „Mein Job ist es, andere Melodien zu finden“, sagt sie. „Ich suche Töne, die eigentlich nicht da sind.“ Ab und zu gibt ihr Michael einen Song. Was schwierig ist, da die meisten Stücke sie selbst zum Gegenstand haben. Und daß die Muse selbst singt, kommt äußerst selten vor. Der Album-Titel bezeichnet laut Gira „das letzte schwarze Loch im Universum das war mein Thema auf dieser Platte“. Er ist eben keiner, der sich mit Alltagsbeobachtungen zufrieden gibt. Im Titelsong heißt es: „Und wir werden durch die Mauer des Ortes fallen, an dem wir erschaffen wurden – in den offenen Schlund des letzten schwarzen Lochs.“ Das ist nicht ironisch und auch keine Science-fiction. Das ist ernst.
Gira hat gerade seinen ersten Roman fertiggestellt. Und wer sich selbst so ernst nimmt, der wird auch ernstgenommen. Aus vielen Briefen wissen die beiden, daß in manchen amerikanischen Schulen Swans-Texte analysiert werden. Wahrscheinlich im Religionsunterricht? Ja, es ist eine sehr merkwürdige Vorstellung.“ Am Ende will Jarboe doch richtigstellen, daß die Gruppe nicht so düster ist wie ihr Image, ihre Texte und ihre Fans. „Wir sind sehr normale Leute. Die meiste Zeit verbringe ich mit einem normalen Sweatshirt im Garten und gucke in die Sonne!“ Ein letztes Mal stellt Gira sein kehliges Lachen in den Raum. „Der Garten! Das ist bei uns der Ort, wo die Leichen vergraben werden!“ Da war diese schöne Richtigstellung auf einmal irgendwie mißlungen.