Zum Tod von Carl Perkins

Nach seinem frühen Erfolg mit "Blue Suede Shoes" und vielen Rückschlägen starb in Tennessee der Rockabilly-Pionier und Songwriter CARL PERKINS.

März 1997, Austin Music Hall, Backstage, Roadies rennen herum wie aufgescheuchte Hühner, VIP-Pfauen spielen Sehen-und-gesehen-werden, und der Stagemanager sucht den Star der Show und findet ihn in seiner türlosen Kabine, auf den Knien eine Gitarre und neben sich auf der Couch einen Typen, der eigentlich nur gekommen war, um dem Rocking Guitar Man seine Aufwartung zu machen. „Noch 15 Minuten, Sir“, mahnt der Manager zur Eile, doch Carl Perkins läßt sich nicht aus der Ruhe bringen. „Siehst Du“, wendet er sich seinem Besucher zu, „wir haben alle Zeit der Welt, my boy. Laß uns etwas zusammen singen.“ Nun, warum nicht? Was könnte der Rockabilly-Pionier kurz vor diesem Prestige-Auftritt wohl auf der Pfanne haben? „Movie Magg“? „Matchbox“? „Boppin‘ The Blues“? „Glad All Over“? Oder „A-one for the money, a-two for die show, three to get ready…“ Kein Problem.

Doch da hebt der Mann zu singen an, die Augen fest geschlossen: „What a friend we have in Jesus… come on, boy, sing along.“ „I can’t“, beteuere ich. „Blödsinn“, sagt Carl Perkins, »jeder kann singen. Gott hat uns allen eine Stimme gegeben, damit wir ihn lobpreisen können.“ „Aber ich bin kein Christ“, wende ich ein. Ein grober Fehler, denn jetzt verdunkelt sich die Miene von Mr. Perkins, er murmelt etwas vom „christlichen Abendland“, zu dem „old Germany“ früher doch immer gehört habe, und als der Bühnenmanager „Noch fünf Minuten!“ brüllt, bellt Carl zurück: „Ich muß diesem Jungen hier erst ein wenig Verstand beibringen.“ Der Schalk ist weg, die Bonhomie verflogen. Carl, der Prediger ist ein ernster, fast eifernder Heilsbringer.

Schon am Vormittag hatte er ein paar hundert Biz-Executives zu missionieren versucht, zwischen seinen Anekdoten und ergötzlichen Geschichten schon mal eine Hymne eingestreut Dabei war Perkins in die texanische Kapitale gekommen, um ein neues Album zu promoten, wie vor ihm sein Busenkumpel Johnny Cash. Der hatte an gleicher Stelle zwei Jahre zuvor ^American Recordings“ vorgestellt, als Keynote-Speaker der Musikkonferenz „South By Southwest“. Cash hatte sich hinters Pult gestellt und „Hello, I’m Johnny Cash“ gesagt, die einsilbige Legende gemimt, was unheimlich gut ankam bei den Industrieprofis-Man fraß ihm aus der Hand.

Carl Perkins machte alles falsch. Von einem Adlatus als demütiger, einfacher Mann aus den Bergen von Tennessee angekündigt, der noch nie „vor so vielen wichtigen Leuten“ gesprochen habe, spulte Perkins die Stationen seines wildbewegten Lebens mit einer so geschliffenen Rhetorik herunter, daß die Illusion vom unverkünstelten Landjungen schon nach fünf Minuten verpufft war. Oh, er bekam Applaus. Man zeigte ihm Wertschätzung, doch man verweigerte ihm die Verehrung, die er heischte und die ihm, gottverdammt (sorry, Carl) zustand für sein musikalisches Lebenswerk.

Im April 1932 bei Tiptonville in Tennessee geboren, als Sproß einer völlig mittellosen Landpächterfamilie, verbrachte Carl seine Kindheit und Jugend mit harter Arbeit, entwickelte früh ein Interesse für Musik und verliebte sich in die Gitarre. Seine bestand aus einer Zigarrenkiste mit Besenstil, was auch sonst Als junger Mann spielte Perkins in denjoints von Jackson zum Tanz auf, hörte eines Tages im Radio eine Eruption namens Elvis, ließ alles stehen und liegen, reiste nach Memphis, überzeugte Sam Phillips von seinem Talent und veröffentlichte in den Jahren 1955 bis 1957 eine Reihe von Singles auf Sun Records, deren rohe Energie und rustikaler Enthusiasmus bis heute ihre Wirkung nicht verfehlen: „Well on the outskirts of town, there’s a little nightspot/ Dan dropped in about 5 o’dock/ Pulled off bis coat, said ,The night is short’/ Reached in his pocket and he flashed a quart/ Hollered JRave on children, Fm with ya/ Rave on, cats‘, he cried/ It’s almost dawn and the cops are gone/ Let’s all get Dixie Fried.“ Das war wild. „Now Dan got happy an‘ he started ravin’/He jerked out his razor but he wasn’t shavin‘.“ Das war unzweideutig. Carls Rockabilly hatte Klasse. Was Carl nicht hatte, war Sex-AppeaL Davon steckte mehr in Presleys gekräuselter Lippe als in Perkins‘ hölzerner, etwas ungelenker Gestalt Aber Carl konnte, anders als Elvis, Songs schreiben. Siehe „Dixie Fried“, siehe „Blue Suede Shoes“.

Die Geschichte von „Blue Suede Shoes“ kursiert in zahlreichen, widersprüchlichen Versionen, in denen auch Johnny Cash schon mal eine tragende Rolle spielt Perkins hatte sie so oft ausgeschmückt, wollte den Text mal spontan auf einem Kartoffelsack geschrieben haben, mal nächtens, aus dem Schlaf aufgeschreckt, mal auf einer schmutzigen Serviette in einem Honky Tonk, daß er selbst die Wahrheit nicht mehr trennen konnte von der Legende. Gleichviel, der Song eroberte die Charts, Country, Pop und R & B. Im Original. Dann ging er um die Welt, in der Version von Elvis. Dazwischen wurde Perkins durch einen fatalen Autounfall, dem ersten von vielen tragischen Schicksalsschlägen, für entscheidende Monate aus dem Verkehr gezogen und fand,wieder genesen, keinen Anschluß mehr an den Rock’n’Roll-Express, der ohne ihn abgefahren war.

Und so stand er 40 Jahre später vor uns, sein Leben ausbreitend in rührenden Vignetten, angereichert mit Glaubenskitsch. Der Mann hatte die Armut besiegt, Unfälle überlebt und die Ungerechtigkeiten des Showbiz, Alkoholismus und Krebs, lange Jahre der Frustration und Depression, er hatte die Beatles beeinflußt und Bob Dylan. Er war Carl Perkins. Und er wollte gefallen, promotete seine (sehr lesenswerte) Autobiographie „Go. Cat Go!“ und das gleichnamige Album, aus dem er Exzerpte von Band in seinen Vortrag einbaute. Carl Perkins mit Paul Simon und mit John Fogerty, mit Bono und Tom Petty, mit Johnny Cash und Willie Nelson, mit Paul Mc-Cartney, George Harrison und Ringo Starr. Ein beeindruckendes Staraufgebot, von Bob Johnston organisiert und produziert, von Perkins so hoffhungsfroh dargebracht, und dann doch ein Flop, weil der Vertrieb versagte und das Label, Dinosaur Records, überfordert war. Just Carl’s luck.

Dann ging es mit der Gesundheit steil bergab, die Arterien machten nicht mehr mit. Am 19. Januar erlag Carl Perkins einem Schlaganfall, nachdem er Monate im Krankenhaus verbrachte, zwischen Hoffen und Bangen. Paul McCartney soll geweint haben, als Carl ihm „My Old Friend“ vorspielte, jenen Song, den McCartney dann für „Go Cat Go!“ aufnahm. Es sei das erstemal gewesen, daß Paul Tränen vergossen habe, sagt seine Frau Linda, seit John Lennon starb. Den Gefühlsausbruch bewirkten die flehentlichen Worte „think of me now and then“. Es sollen die letzten gewesen sein, mit denen sich Paul von John verabschiedete. Nun ist es die letzte Bitte von Carl Perkins, Rockabilly Cat. Ehrensache, Sir.

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