Robert Wyatt – Poesie & Sozialismus
Nach sechs Jahren gibt es endlich wieder ein Album des genialen Sonderlings: ROBERT WYATT arbeitet weiter mit meditativer Kraft: an Poesie & Sozialismus
Es ist die Stimme. Es sind natürlich auch die Melodien, die trotz unabsehbarer Windungen den Eindruck einer gewachsenen Harmonie hinterlassen, so wie Straßen auf dem Land, die sich kurvenreich der Landschaft und den Gewohnheiten der Menschen angepaßt haben. Es sind ebenfalls diese ungemein geschickten Arrangements, in denen bizarrste Tonfolgen so elegant dahinziehen wie Lachse auf dem Weg zum Laichplatz. Und natürlich sind es diese exzellenten Musiker, die selbst schwierigste Passagen mit einer graziösen Leichtigkeit von – die Thermik nutzenden – Seevögeln bewältigen. Es ist aber die Stimme Robert Wyatts, die aus Handwerk Kunst macht, aus Masse Größe, aus Material Leben. Eine Soul-Stimme, nicht als Klischee röhrenden Leidens oder rasender Lust, sondern als fassungsloser Ausdruck des Ungreifbaren, der Seele. Robert Wyatt, der Soul-Sänger.
Der Engländer freut sich. Und erzählt, wie er seine Songs aufnimmt: Erst die Stimme, dann Instrumente, und dann, wenn alles fertig ist, noch einmal die Stimme. „Paul Weller hat während der Aufnahmen zum neuen Album einer befreundeten Sängerin ein paar meiner Demobänder vorgespielt Und die Lady sagte, ohne daß sie wußte, wer da singt: ,Das ist ein Soul-Sänger.‘ Für mich war das ein Riesenlob.“
Robert Wyatt gehts gut Entspannt in seinem Rollstuhl sitzend, die Augen auf seinen Gesprächspartner gerichtet, redet und raucht er mit Hingabe und Ausdauer. Seine Antworten ähneln seiner Musik: Voll überraschender Wendungen, Kurven und obskurer Abstecher, sind sie ebenso befremdlich wie naheliegend wirkende Ausdrücke eines Gehirns, das sich nicht mit einem bloßen Filtern von Gedanken beschäftigen kann und will und vielleicht deshalb schon zu Anfang unseres Gesprächs mittendrin beginnt.
„Ich habe lange unter Panikattacken gelitten und hatte ’93 zum drittenmal einen totalen Zusammenbruch. Also entschloß ich mich, eine Therapie zu beginnen. Und das half tatsächlich. Vorher hatte ich Melodien ohne Texte und Texte ohne Musik. Doch urplötzlich paßte alles zusammen, und ich wurde mutig. Da fing ich an, ‚Shleep‘ aufzunehmen.“
Man kann das dem neuen Album anhören. Im Vergleich zu der ’93 fast unter Ausschluß der Öffentlichkeit erschienenen und vom gepreßten Sound her hochneurotisch wirkenden EP „A Short Break“ ist „Shleep“ ein weit offenes Feld, das in puncto Tempo, Stimmung, Instrumentierung und Klang keinerlei Grenzen kennt Zudem arbeitete der 52jährige – im Gegensatz zu seinen letzten Platten, die im wörtlichen Sinne Solo-Alben waren – mit fabelhaften Gastmusikern zusammen, unter anderen Brian Eno, Paul Weiler, Philip Catherine, Phil Manzanera und Annie Whitehead. Und das sollte wohl auch so sein: „Ich wollte ins Studio gehen, als überraschend Brian Eno auftauchte. Nach und nach kamen dann auch die anderen, das war alles völlig ungeplant Aber das war, so gesehen, genau richtig.“
Man kann das glauben, denn sein siebtes Album in 25Jahren ist Wyatts beste Platte seit seinem Meisterwerk Jiock Bottom“. Was die anderen Arbeiten nicht herabsetzen solL Seit er sich bei den Jazzrock-Pionieren Soft Machine als Schlagzeuger mit Songwriter-Ambitionen nicht gegen die eigenbrötlerischen Kollegen durchsetzen konnte und – wie vor ihm bereits Kevin Ayers und auch Gong-Gründer Daevid Allen – die Gruppe verließ, schuf der in Bristol als Robert EUidge geborene Musiker ausschließlich Beachtliches. Selbst der Sturz aus einem Fenster, der, wie es gerüchteweise heißt, mit einer Party und einem Seitensprung in Zusammenhang stehen soll, und die anschließende Lähmung bremsten Wyatts Schaffenskraft nicht: Noch im Krankenhaus komponierte er „Rock Bottom“, und kurz darauf, 1974, landete er mit dem Neil-Diamond-Song „I’m A Believer“ in den britischen Charts.
Solchen kommerziellen Erfolg hatte der Rollstuhlfahrer zwar erst wieder 1983 mit der von Elvis Costello geschriebenen Single „Shipbuilding“. Der künstlerische Vtfert seiner Arbeit war jedoch stets unbestritten: Von dem jazzigen „Ruth Is Stranger Than Richard“ (1975) über das vielfältige „Nothing Can Stop Us“ (1982) bis zu den eher depressiven, keyboardlastdgen Alben „Old Rotten Head“ (1985) und „Dondestan „(1991) gab es keinen Ausfall. Zudem veredelte er als Gastvokalist unzählige Platten: von leidlich Populärem für Michael Mantler, Nick Mason, Ultramarine oder Ben Watt bis zu Obskurstem für News From Babel, The Happy End, The Shiny Men oder Akimbo. Zudem war Robert Wyatt immer für einen guten Zweck zu haben, ob zugunsten streikender Bergarbeiter oder gegen Apartheid. An diesem Engagement des Musikers hat sich auch bis heute nichts geändert.
„Ich glaube, ich bin als Kommunist geboren“, erzählt Wyatt lachend. „Ich weiß, daß das heute nicht sehr populär ist, aber wenn man erst einmal ein bestimmtes Hintergrundwissen hat, klingen die üblichen Analysen absurd.“ Aber auch eigene Erfahrungen tragen zu der politischen Weltsicht bei. „Wir wohnen in einer ruhigen Gegend an der Küste, wo eine Firma jetzt ein Feriengebiet plant. Sie versuchen uns zu vertreiben, es sind auch schon leerstehende Häuser abgebrannt. Und da treffe ich wieder diese smarten Anzugträger mit ihren BMWs und denke: Das sind genau dieselben Typen wie früher, als wir gegen Apartheid kämpften.“
Neben dem langen Kampf gegen Unrecht, Ausbeutung und Rassismus prägte Wyatt eine weitere böse Erfahrung: das Geschäftsgebaren Richard Bransons, des Gründers von Virgin – wo auch „Rock Bottom“ erschien. „Branson verpflichtete seine Musiker, Platten in Virgin-eigenen Studios zu produzieren. Dafür mußte man teuer zahlen, was dazu führte, daß man immense Schulden aufhäufte und selbst bei guten Verkäufen praktisch nichts verdiente.“ Wyatts finanzielle Situation wird sich aber wohl verbessern: Er ist nun bei Ryko Europa, wo demnächst fast alle seine LPs wiederveröffentlicht werden. Außerdem hat Alfreda Benge sein Management übernommen – Wyatts langjährige Gefährtin, die auch seine Plattencover malt und für ihn sogar manche Texte schreibt.
Also wird alles gut. Vielleicht redet er deswegen so entspannt über dies und jenes: seine zeitweilige Schlaflosigkeit, die den Titel „Shleep“ inspirierte, seinen derzeitigen Lieblingsmaler Chagall, sein kleines Haus, wo man den Nachmittag damit verbringen kann, den Vögeln zuzuschauen. Nur bei der Vergangenheit wird er ein bißchen matt: die 60er Jahre, Soft Machine, mit Jimi Hendrix in den USA – das ist lang, lang her. Robert Wyatt ist ein Mann mit Zukunft.