Björk – Die notorische Individualistin
Nach privaten wie musikalischen Liaisons mit Tricky und Goldie versucht sich BJÖRK an neuen Konstellationen. Und bleibt trotzdem die notorische Individualistin.
Die glücklichsten Momente erlebe ich für mich alleine, während die schrecklichsten immer mit anderen Personen zu tun haben“, sagt Björk. Und sie turnt dabei nicht auf dem Eßtisch ihrer Londoner Hotelsuite herum, wie man sich das sonst gerne von ihr erzählt, sondern wägt jeden Satz genau ab. Gerade habe ich ihr erzählt, daß ich sie ein bißchen beneide, weil sie ein Mensch zu sein scheint, der eigentlich ganz gut alleine glücklich sein kann; jemand, der über die Wirkung bestimmter Sounds sein Ich klären kann – wie zR. in „My Headphones“, ihrem vielleicht schönsten Song überhaupt Björk benötigt keine anderen Menschen als Resonanzkörper für die Signale der eigenen Existenz, und das macht sie zum Star, denn ein echter Star muß auch immer ein bißchen Autist sein. Dem ist es nämlich egal, ob da gerade jemand klatscht „Als Kind war ich immer ganz alleine und dabei ganz ausgefüllt, mir fehlte nichts. Ich konnte den ganzen Tag durch die Gegend laufen, und wenn ich mit jemandem reden wollte, tat ich das mit Steinen oder was sonst so meinen Weg kreuzte. Das geht mir noch heute so. Andererseits empfinde ich Kommunikation als große Herausforderung. Denn Kommunikation ist wie die Liebe, ein wunderbares Risiko.“
Und gescheut hat es Björk nie. Ab sie noch auf Island lebte, war sie Bandmitglied bei Kukl und den Sugarcubes; später, als Solo-Künstlerin in London, arbeitete sie mit Tricky, Goldie und Nellee Hooper zusammen, heute stehen ihr Mark Bell von LFO und Wu-Tang Qan-Pate RZA zur Seite. Oder aber der Tabla-spielende indische DJ Talvin Singh, der mit seinem Eastmeets-WestSampler „Anokha: Soundz Of The Asian Underground“ Björk auf sich aufmerksam machte, inzwischen in ihrer Band spielt und als Co-Produzent das neue Album mitprägte.
Kooperationen gibt es reichlich, doch die sind immer zeitlich befristet Und ihr neues Album „Homogenic“ eröffnet Björk mit „Hunter“, einem bedrohlich anschwellenden Elektro-Bolero, zu dem sie singt: „If travel is searching and home what’s been found, I’m not stopping.“ Große Worte einer Getriebenen. Woher kommt die Ruhelosigkeit?
„Irgendwann erreiche ich immer den Punkt, wo mich die anderen Leute nicht mehr überraschen. Das ist ein Fehler von mir, der mich oft sehr traurig macht Ich glaube, daß ich im gewissen Sinne eine Psychopathin bin. Mir gehen all diese wunderbaren Sachen durch den Kopf, 24 Stunden am Tag, aber es ist so schwierig, sie mit jemandem zu teilen. Das treibt mich manchmal an den Rand des Wahnsinns.
Schau, ich bin jetzt 31 Jahre, aber ich glaube, ich habe gerade mal zehn Prozent von dem, was in mir vorgeht, in neue Musik umgesetzt Andererseits knüpfe ich ja auch weiter an bestehende Kontakte an; mit Mark Bell etwa hatte ich schon zusammengearbeket“
Das letzte Jahr war das härteste im Leben von Björk Gudmundsdottir. Überall lauerten ihr Fotografen auf, unter deren Blitzlichtern auch ihre publicityträchtige Beziehung zu Drum’n’Bass-Star Goldie in die Brüehe ging. Das gescheiterte Attentat eines verrückten Fans gab ihr den Rest Sie flüchtete nach Spanien, wo sie ihre Gedanken ordnete. Unter anderem entstand dort auch der Song „I’m So Broken“ – ein Blues mit Flamenco-Gitarre, der noch auf dem Vorab-Tape zum neuen Album zu hören ist, dann aber in den Papierkorb wanderte. „Als ich ihn neulich noch mal hörte, war ich schockiert Da hältst [u dich immer für eine komplexe Person, aber kaum liegt dein Leben als Scherbenhaufen vor dir, schreibst du einen Song, der vor Klischees nur so trieft“
Das paßt nicht auf ein Album wie „Homogenic“. Denn das ist das Leben, ganz wörtlich. „Die Beats verkörpern den Herzrhythmus, und die Streicher das Nervensystem“, erklärt Björk. Mark Bell, Pionier der britischen Acid-House-Bewegung, rollt elektronische Rhythmen aus, die das Blut in Wallung bringen. Das Icelandic String Octet bringt die Streichersätze ein. Hier entsteht ein Körper aus Klang. Das Prinzip ist einfach, die Struktur komplex. Wie der menschliche Organismus.
Björk muß schwitzen, um den Pub am Laufen zu halten. Am Abend vor dem Interview gab es eine Probeaufrührung: Auf der einen Seite der Bühne saßen die Damen und Herren vom String Octet, auf der anderen stand Mark Bell mit seinem Equipment, und Björk sprang zwischen den beiden Sound-Systemen hin und her. „Es ist noch nicht alles ganz perfekt“, stöhnt sie am nächsten Tag. „Für das String Octet sind Marks Rhythmen doch noch zu abstrakt, das sind Taktformen, die ihnen unbekannt sind. Aber natürlich ist es auch span
nend mitzuerleben, wie sich daslangsam auch live einspielt. Früher habe ich mich wie ein verwöhntes Kind aufgeführt, das den Hörer andauernd irgendwelches Spielzeug an den Kopf wirft. Ich habe Unmengen von Instrumenten benutzt – so war es natürlich einfach, Aufmerksamkeit zu bekommen. Diesmal wollte ich die emotionale Skala mit reduzierten Mitteln abmessen.“
Björk, the hardest working vornan in Pop. Sie ist ja eigentlich überall auf der Welt, beim Benefiz-Konzert für Tibet in New York zum Beispiel, beim Plattenaufnehmen in Spanien, bei ominösen Club-Konzerten in München. Aber die meiste Zeit arbeitet sie in London, um sich mit den Dingen rumzuschlagen, für die andere Leute ihr Management haben: Plattencover überwachen und so weiter. Natürlich vermißt sie ihre Heimat Island, die sie jetzt so selten besuchen kann. Grausam, doch irgendwie geht alles.
Björk sieht nicht traurig aus, wie sie da so aus dem Fenster ihres Hotels auf die Straßen Londons schaut. Aber: „Kein Ort auf der Welt und keine Person kann mir geben, was ich von Island bekomme. Du spürst hier, daß dein persönliches Drama nichts ist im Vergleich zum Drama der Welt. Wo immer du dich in Island aufhältst: Du spürst die Natur. Jetzt lebe ich wegen meiner Arbeit immer in Städten; das entfernt mich manchmal von mir selbst. Als ich vor drei Jahren mal in Los Angeles war, gab es nachts ein Erdbeben. Die Bilder fielen aus dem Rahmen, der Fernseher kippte um, ich aber sprang wie elektrisiert auf meinem Bett herum. Ich war überglücklich, endlich wieder die Kräfte der Erde zu fühlen.“
Und so stellt man sie sich vor, die Eisprinzessin bei den Geysiren, nah dem Meer und nah dem Himmel, von der Menschenleere träumend. Daß sie es nicht brauchte, auf der Bühne zu stehen, ist ein Trugschluß. Björk ist geschickt in der wie absichtslosen Inszenierung von Images. Die Puppenstube, das beweist „Homogenic“, ist ein Wolkenkuckucksheim.