Nach Oasis und Blur rollt nun die zweite Brit-Pop-Welle an: Die Bluetones entdecken die Größe des kleinen Popsongs
Alles an den Bluetones ist klassisch und schönen Traditionen verpflichtet, von der Guitar-Bass-Drums-Besetzung über die solitairen Songs und ihren jungenhaften Enthusiasmus bis zu diesem Namen: The Bluetones. Vor 40 Jahren hatte man damit Doowop verkaufen können, vor 30 Jahren Beat, vor 20 Jahren Pub Rock und vor zehn Jahren… vor zehn Jahren, sagt Sänger Mark Morriss, herrschte musikalische Ödnis.
Mark ist 24 Jahre alt und nicht besonders gut zu sprechen auf seine frühen musikalischen Lehrjahre. „Es war gräßlich“, schnaubt er verächtlich. „Unsere Eltern sind mit den Beatles und Stones aufgewachsen, und es passierte musikalisch ständig etwas Neues, Weltbewegendes. Wir hatten so gut wie nichts. Uns wurde ‚Live Aid‘ als Ereignis angedient. Das war’s, allen Ernstes. Ich habe ohne Ende schlechte Musik gehört, sie war überall. Ich meine, ich fand sogar Level 42 gut damals.“ Sein Tonfall und seine ergeben niedergeschlagenen Augen legen nahe, daß man wohl nicht mehr tiefer sinken könne.
Marks Bruder Scott, zwei Jahre jünger und Bassist der Bluetones, mag sich da nicht lumpen lassen und gibt sein eigenes gruseliges Geheimnis preis: „Ich war Fan von Iron Maiden.“ Okay, we get the message.
Dabei sei ihre Jugend im heimatlichen Hounslow, einer typisch grauen Vorstadt Londons, im großen und ganzen gar nicht so übel gewesen. „Die Architektur aber ist barbarisch“, sagt Mark, „und das Nachtleben praktisch nicht existent, aber vielleicht hat uns gerade diese Eintönigkeit veranlaßt, uns am eigenen Schopf aus dem Morast zu ziehen.“ Die Brüder gründen eine Band mit Gitarrist Adam Devlin und Drummer Eds Chesters, tauchen in eine Garage ab und üben. Intensiv. Viele Monate lang. So lange, bis sie wissen, daß sie besser sind als der Rest.
Mittlerweile teilen sie dieses Wissen mit einer explosionsartig wachsenden Fangemeinde. Ihre Debüt-LP krönt die britischen Charts – was natürlich Grund zur Freude ist, doch hält sich die erstaunlicherweise in Grenzen. Mark geht alles etwas zu schnell. „Es ist wichtig für eine Band, Zeit zu haben und zu wachsen,“ mahnt er altklug, „im übrigen ziehen wir es vor, von hundert Leuten geliebt zu werden als von tausend nur gemocht Die Plattenverkäufe sind nicht der verläßlichste Indikator dafür, die absolute Lieblingsband zu sein – und nur das zählt.“ Die Unbedingtheit dieses Postulats kontrastiert eigentümlich mit dem Wesen ihrer Musik, mit ihren Songs. Die sind instant, aber anmutig, mörderisch gut, aber mellow. Alles ist fein abgestimmt, und wenn sich ein Gitarrenlauf mal kurz verabschiedet und beim Emporschwingen zu lösen droht, wird er flugs eingefangen von der rigiden Songstruktur – und von Arrangements gebändigt, die man so und ähnlich unendlich oft gehört hat Die Brisanz der Bluetones liegt innerhalb ihres Rickenbacker-Universums, in sonnigen Harmonien und bittersüßen Texten – und ist getragen von dem Wissen, daß sich in den drei Minuten des perfekten Popsongs soviel Gefiikl komprimieren läßt wie in einem ganzen Roman.
Menschlich sind die Morriss-Brüder der Gegenpol zu den Gallaghers von Oasis. Sie sind bescheiden, höflich, reden mit Bedacht und untereinander mit beinahe zärtlicher Zuneigung. „So war’s immer,“ grinst Scott, „wir gehen anständig miteinander um. Es gibt kein Problem, das wir nicht durchsprechen könnten. Wir sind umgängliche Typen, uns bringt nichts aus dem Gleichgewicht.“
Selbst in der Ablehnung gewisser Personen und Praktiken schwingt noch Toleranz mit Scott mag Jarvis Cocker nicht, möchte seine Aversion aber nicht mit bösen Worten kundtun. Das Music-Business meiden sie. „All das Händeschütteln und Schulterklopfen ist widerwärtig“, lächelt Mark, „also halten wir uns da raus.“ Der passionierte Plattensammler hat andere Prioritäten. Als der erste Scheck von der Plattenfirma kam, versilberten sie ihn umgehend in diversen Plattenläden. „Wofür sollten wir sonst Geld ausgeben?“ Schon der großzügigen Vorschüsse wegen sei es eben angenehm, mit einem Major liiert zu sein, und diese ganze Indie-Ideologie sei ihnen sowieso suspekt Nun, gebe ich zu bedenken, die Künstler haben auf kleinen Labels oft mehr Kontrolle über ihre Karriere. Was, wenn Euer Major entscheidet, Bluetones-Platten nicht mehr auf Vinyl zu pressen? „Nie!“, schallt es mir entgegen. „Das würden die nie wagen, und wir würden es nie zulassen. Wir werden sofort unseren Manager beauftragen, eine entsprechende Klausel in unseren Vertrag zu setzen.“