Nach Drogen-Entzug der wohltemperierte Wahnsinn: Kelley Deal 6000
Kelley Deal hat alles unter Kontrolle. Es geht in Ordnung mit ihr, daß sie inzwischen eine öffentliche Person ist, von der die meisten Leute eigentlich nur wissen wollen, wie es denn nun wirklich war mit den Drogen und dem Entzug und dem Ende der Breeders, bei denen sie zuvor mit ihrer Schwester Kim gespielt hat „Ich bin Amerikanerin“, sagt Kelley. „Ich liebe es nun mal, dabei zuzusehen, wie Leute in Talkshows ihr Privatleben ausbreiten. Da ist es doch nur gerecht, daß ich den anderen ein bißchen von meiner dreckigen Wäsche zeige.“
Die Frau ist wieder obenauf. Und sie ist die Chefin. Ihre Kelley Deal 6000, mit der sie fiir eine Handvoll außerreguläre Shows nach Europa gekommen ist, sind ein paar bunt zusammengewürfelte junge Männer, die kurz vor dem Abflug angeheuert wurden – und teilweise erst zu diesem Zeitpunkt ihr Instrument gelernt haben. Beim Interview gucken sie Deal fragend an, bevor sie sprechen. Kein Zweifel, sie ist der Boß. Obwohl sie mir zuvor unter vier Augen in der Bar ihres Amsterdamer Hotels zweifelnd zugeraunt hat: „Gestern haben wir ein Radiokonzert gegeben, danach sagte mir mein Gitarrist: ‚Hey Kelley, I jazzed one song up.‘ Was denkt sich der Typ bloß!“
Nein, hochgejazzt müssen ihre Songs wirklich nicht werden. Denn die Dynamik auf dem Debüt-Album der Kelley Deal 6000, „Go To The Sugar Altar“, stellt sich durch die Kombination von bittersüßen Melodien und barschem Noise ein. Wohltemperierter Wahnsinn also, der nicht ganz zufallig deutlich an die Breeders erinnert.
„Bei den Breeders führte Kim Regie – genau wie ich jetzt bei meiner Band. Die anderen können gerne Vorschläge machen. Ob ich sie mir anhöre, ist eine andere Sache.“ Und auf die Zukunft der Breeders anspielend: „Ich weiß nicht, ob ich noch einmal unter der Regie eines anderen arbeiten möchte…“ Eigene Band, eigenes Label, eigenes Leben – das alles hat sich Kelley Deal in den letzten zwölf Monaten hart erarbeitet. „Ich war in einer Klinik in St. Paul auf Entzug. Als ich damit durch war, wollte ich nicht zurück in meine Heimatstadt Dayton. Die Breeders hatten sich während meiner Abwesenheit aufgelöst, und Kim hatte The Amps gegründet. Das wäre nicht hilfreich gewesen: Kim mit ihrer neuen Band vor mir – und mein alter Dealer im Rücken. Deshalb bin ich dann lieber gleich in St. Paul geblieben.“ Und um den Neuanfang zu komplettieren, hat sie gleich auch ihr eigenes Label gegründet: „Nice Records“. Neben Kelley Deal 6000 treiben dort derzeit The Frogs ihr Unwesen, die gefährlichen Grotesk-Country spielen.
Der Humor von Kelley Deal ist herb.
„Go To The Sugar Allar“ hat ein paar Momente krasser Komik, die Texte hinterlassen einen recht unheimlichen Eindruck, denn Isolation, Verzweiflungund, ahm, Langeweile haben das Werk geprägt. Der beste Satz steht gleich am Anfang und geht so: „The half-life of my life is no life at all.“ Der beste Song heißt „Dammit“ und handelt von der High School. Die Mittdreißigerin, die diese Zeit nur zu gut erinnert, rechnet mit den „Beauty Queens“ ab: „Eingebildete Zicken, die fein taten. Darauf bezieht sich der Satz ‚They have sex straight und call it making love‘. Also ehrlich, ich hatte in dieser Zeit nur besoffen Sex.“