N.O.H.A.

Das hochgelobte Klangkollektiv um Saxofonist Philip Noha will moderne elektronische Musik endlich für ein breites Publikum erschließen. Mit "No Slack" sollte das gelingen.

Für die Öffentlichkeit ist das hier heute Abend nicht gedacht: Anstehen für das N.O.KA.-Konzert im Hamburger Mojo Qub muss man nur für die Gästeliste. Man wartet in einer Schlange mit anderen Musikchronisten und Plattenverkäufern und hofft, dass die zuständige Dame beim dramatischen Herabgleiten des Fingers auf dem entsprechenden Papier den gesuchten Namen findet und einem eine peinliche Szene erspart. Lügner! Schnorrer! Möchtegern! Für den ROLLING STONE-Reporter liegt aber sogar ein Kuvert am Empfang, und jetzt kann man nichts mehr falsch machen.

Nichts falsch machen dürfen auch die Künstler drinnen: Das hoch gelobte Klangkollektiv N.O.H.A. soll sich auf der Bühne als Deutschlands Replik auf die übermächtigen Könner der britischen Drum’n’Bass/Breakbeat-Szene beweisen und nebenher endlich moderne elektronische Musik für ein breites Publikum erschließen. Das ist viel gewollt, und tatsächlich hat das Ensemble um den Prager Saxofo nisten Philip Noha zum Verschmelzen der Szenen einiges beizutragen: ,JVo Slack“, das neue und nach Problemen mit diversen Plattenfirmen gewissermaßen erste – Album von N.O HA. verbindet gekonnt Clubnovitäten mit Popstruktur, und so scheint der Brückenschlag möglich.

Als das Sextett schließlich mit der Vorstellung beginnt, ist man wirklich beeindruckt: N.O.H.A. eröffnen mit einem neuen Lied, einem tollen Drama aus Jazzthetik und Trip-Hop-Tristesse, Sängerin Sam Leigh Brown gestikuliert wie Björk bei Sinnen, dazu gibt’s Kaleidoskop-Filme auf großer Leinwand. Der Auftakt wirkt wie eine Klarstellung: Selbst wenn es mit Dancehallund Dub-Verweisen gelegentlich lustig zugeht auf „No Slack“, so ist das alte Lamento nicht vergessen, das mysteriöse Schweben, das den Grenzgängern zwischen Jazz und D’n’B schließlich die erste Schnittmenge bescherte.

„Wir wissen selbst nicht, wohin wir unsere Musik stecken sollen“, sagt Philip Noha nach dem Konzert und mag nicht allzu viel nachdenken übers eigene Werk oder sich gar einem bestimmten Subgenre zuordnen. „Das muss man ja nicht mehr“, freut er sich, „die Szene ist total offen geworden. Man kann tun, was man wilL“ Noha muss es wissen: Nach einer Zeit in London Mitte der 90er Jahre, in der er für Womack 8i Womack ins Hörn blies und den dortigen Dance-Untergrund erforschte, entwickelte sich in seinem Kopf ein – zugegeben nicht gänzlich neues – Konzept: Noha wollte in seiner nächsten Heimat New York „Qub und Pop zusammenbringen“ und den damals noch eng sortierten Setzkästen elektronischer Musik mehrheitsfähige Klänge entgegensetzen: „Ich finde diese eng abgesteckten Genres grässlich. Solche Haltungen behindern doch jedes kreative Fortkommen.“

Bis nach New York kam Noha nicht. Auf der Durchreise blieb er einer Dame wegen in Deutschland hängen, und so musste hier, zwischen Gelegenheitsjobs in Schützenfest-Kapellen und jungem Liebesglück, das anvisierte Ziel verwirklicht werden. Hilfe war bald gefunden: Neben den Kölnern Eickenberg, Cap und Harings, die für allerlei Virtuosität in der zweiten Reihe zuständig sind, fand Noha in Wuppertal den New Yorker MC Chevy, der nach seiner Zeit als G.I. nicht nach Hause wollte und seither N.O J-LA. mit rhythmischer Rede ganz urban bereichert. Bleibt noch Sängerin Sam Leigh Brown. „Wir haben sie kennen gelernt, als sie auf einer Party mit Essen geworfen und sich total daneben benommen hat“, erinnert sich Noha, „aber singen konnte sie gut.“ Die wie Noha am Konservatorium geschulte Jazz-Chanteuse aus Manchester verleiht dem rührigen Breakbeat ihrer Kollegen mit fein gesetzter Melodik ein teures Funkeln, wirft sich beseelt mal ins Elegische, mal ins fröhlich Sonnige und entpuppt sich auf der Bühne als versierte Perfbrmerin, ob in kontemplativ-schwebenden TripHop/ Breakbeat-Szenarien oder bei Dub/ Dancehall-Leichtigkeit. „Musikalische Räume“, nennt sie die unterschiedlichen Facetten. „Es ist das Größte, wenn ich spüre, dass mein Publikum sich mit den verschiedenen Stimmungen identifizieren kann“, sagt Sam, „das ist dann ein guter Moment“ Gute Momente werden N.O.H.A. uns sicher auch auf der kommenden Tournee bescheren. „See ya all on the Rolling Stones Roadtour“, hatte Chevy beim Abgang von der Bühne fast richtig gesagt und uns also alle zu den Konzerten im Mai geladen. Seeya, ja.

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