Mykki Blanco: Gangsta-Rap im Abendkleid

Mykki Blanco sprengt nicht nur Geschlechtergrenzen, sondern auch die letzten Tabus der Popkultur

Er oder sie? Scheissfrage. weil sie von vornherein vieles ausklammert und der Komplexität eines Menschen natürlich nicht gerecht wird. Vor allem nicht der Komplexität dieses Menschen. Mykki Blanco hat die Frage oft gehört und schafft Klarheit, ganz unprätentiös: „Mykki Blanco ist eine Frau. Wenn du aber über die Person hinter der Kunstfigur schreibst, kannst du ,er‘ benutzen. Oder einfach ,Michael‘. Ergibt das Sinn?“

Du kannst als Mann ein Kleid tragen wie Bowie – solange du auf Frauen stehst, ist alles okay

Ja. Dass die Grenzen fließend sind, merkt man ohnehin schnell, wenn man dem Künstler gegenübersitzt. Michael David Quattlebaum jr., so der Name in seinem Ausweis, identifiziert sich als schwuler Mann, der seine aufreizenden Frauenkleider jedoch nicht nur auf der Bühne, sondern je nach Laune auch in seinem Privat- und -Sexleben trägt.

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Der sehnige 30-Jährige wirkt größer als auf Fotos. Die langen Beine stecken in Hotpants, der tiefe Ausschnitt des Hemds gibt den Blick frei auf einige schlecht gestochene Knast-Tattoos, deren tintige Umrisse sich von seiner dunklen Haut kaum abheben. Auf dem Kopf trägt er eine lange, haselnussbraune Perücke, kleine bunte Haarspangen helfen, die Mähne vom Gesicht fernzuhalten. Quattlebaum spricht mit sanfter, leicht belegter Stimme. Ziemlich schnell, manchmal fast stotternd. Als er während des Gesprächs zum ersten Mal die Vorab-CD seines Debütalbums, „Mykki“, in den Händen hält, kann er vor Euphorie kaum an sich halten. „Oh mein Gott! I am getting emotional! Du musst mich unbedingt ein Foto davon machen lassen!“ Vom psychotischen Underground-Rapper, dem angeblich gern mal die Faust ausrutscht, ist wenig zu spüren.

Riot-Grrrl–Power und männliche Großmannssucht

Als Mykki Blanco 2012 mit „Wavvy“ einem breiteren Publikum bekannt wurde, war die Verwirrung groß. Im Video des düsteren Stücks sah man einen dürren Rapper, der nach einem vereitelten Drogendeal auf der Ladefläche eines Trucks mit nacktem Oberkörper Reime über „loose niggas“ und harten Sex bellte. Der Sound erinnerte an modernen HipHop zwischen dem Trap-Rap eines Gucci Mane und dem hypnotischen Flow von Tyler, The Creator. So weit, so gut, so unspektakulär. Im Refrain verwandelte sich der junge Mann jedoch plötzlich in einen langhaarigen Vamp, der sich in diamantenbesetzten Dessous lasziv auf einem Barhocker rekelt, während um ihn herum eine irre, alle Geschlechtergrenzen sprengende Orgie tobt.

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Hier kamen Dinge zusammen, die man in dieser Kombination noch nicht gesehen hatte: Gangster-Rap und Queer-Culture, Riot-Grrrl-Power und hyper-männliche Großmannssucht, noch dazu vorgetragen von einem jungen Schwarzen in einem satanischen Setting, das an Marilyn Manson oder die verstörenden, von Chris Cunningham gedrehten Videos für Aphex Twin erinnerte. In der Popkultur geschieht so selten etwas tatsächlich Neues. Womit hatte man es also zu tun? Dem einfachsten Weg folgend wurde Blanco schnell in die kleine Szene New Yorker Queer-Rapper um Le1f, Cakes Da Killa und Zebra Katz eingeordnet. Mit seinem aggressiven Industrial-Gothic-Rap und Texten über Analsex auf Drogen wirkte Blanco neben den freundlichen urbanen Jungs jedoch wie ein tollwütiger Wolf im Streichelzoo.

Digital Hardcore mit lateinischem Text

Einem Journalisten des „Vice“-Magazins fuhr Quattlebaum kürzlich über den Mund, als jener ihn überhaupt mit Rap in Verbindung brachte. Das sei Ausdruck eines latenten Rassismus, denn: Wer ihm Fragen zu HipHop stelle, tue dies doch nur, weil er schwarz sei, oder etwa nicht? Vor dem Debütalbum, „Mykki“, veröffentlichte Blanco bereits zwei Mixtapes und eine EP, die sich, vom Sprechgesang einmal abgesehen, schwer einem Genre zuordnen lassen und von Noise-Punk bis zu Digital Hardcore mit lateinischem Text reichen.

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Mit dem Rappen begann Quattlebaum tatsächlich erst mit 25. „Ich bin da so reingestolpert. Mykki Blanco war ursprünglich ein Videoprojekt über einen weiblichen rappenden Teenager. Dafür habe ich die Figur erfunden.“ Ihn habe schon immer gewundert, dass man ihn nicht eher in -eine Traditionslinie mit dem Glam-David-Bowie oder Schockrockern wie Alice Cooper eingeordnet habe, so Quattlebaum. Denn was könnte in einer abgebrühten Kultur, in der kaum noch etwas für Aufregung sorgt, mehr schocken als ein brandgefährlich wirkender rappender Crossdresser? Ein homosexueller Weltfußballer vielleicht. Oder ein schwuler General in der russischen Armee.

Die bedrohliche Seite von Mykki Blanco ist nicht erfunden

Quattlebaum sah sich lange vor allem als ein Performancekünstler, der mit Spoken Word und in der Folge auch mit Rap arbeitet. Seine ersten Erfahrungen als Musiker machte er mit No Fear, einer Noise-Rock-Band, die er gründete, um seine Gedichte bei Auftritten mit Sound zu untermalen. In den Tiefen des Internets findet man noch wackelige Videos dieser frühen Kunstperformances. In einem Raum so neblig und kalt wie die ausgeglühten Schächte der Hölle schreit Quattle-baum zu Stroboskoplicht die Texte seines 2011 veröffentlichten Gedichtbands, „From The Silence Of Duchamp To The Noise Of Boys“, in den kreischenden Industrial-Lärm. Man ahnt bereits hier die bedrohliche, dunkle Seite von Mykki Blanco. Sie ist nicht erfunden.

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HIV und Medienecho

Quattlebaum hat seine Abgründe ausgiebig erforscht. Damals, als auch der Name Mykki Blanco zum ersten Mal auftauchte, ließ sich der 25‑Jährige durch die finstersten Ecken New Yorks -treiben. Der verheißungsvolle Kunststipendiat hatte das College geschmissen, nahm Drogen, als wären es Bonbons, und stürzte sich in Darkroom- und Saunasex-Abenteuer mit Unbekannten. In dieser Zeit steckte Quattlebaum sich auch mit HIV an. Dass er seine Infektion im vergangenen Jahr über Facebook öffentlich machte, löste ein großes Medienecho aus. Magazine wie „Time“ berichteten darüber, obwohl kein Leser vorher von Mykki Blanco gehört haben dürfte. „Viele Menschen fragen mich, wie schlimm es um mich steht. Und ich antworte, dass HIV und Aids nicht dasselbe sind und ich nicht etwa von der Infek-tion erfahren habe, weil ich mich plötzlich körperlich schlecht fühlte, sondern einfach weil ich als schwuler Mann in New York lebe. Ich habe mich regelmäßig testen lassen. Etwas, das heterosexuelle Menschen kaum tun, fürchte ich. Ich erinnere mich noch, wie angsterfüllt meine Mutter war, als ich ihr davon erzählte. Mittlerweile hat sie sich in das Thema reingelesen. Erst gestern sagte sie mir, dass sie sich wundere, dass so viel mehr Menschen an Krebs sterben und HIV dennoch ein ungleich größeres, Panik auslösendes Tabu darstellt. Man ist heute nicht mehr auto-matisch zum baldigen Tod verurteilt, wenn man sich mit HIV angesteckt hat. Viele Menschen, die HIV haben, wollen wegen dieses Tabus nicht darüber sprechen. Ich werde es aber weiterhin tun.“

Partybanger zwischen Peaches und Azealia Banks

Eine wichtige Triebfeder für die Songs von Mykki Blancos Debüt sei gewesen, so direkt und persönlich wie möglich zu den Fans zu sprechen, sagt Quattlebaum, insbesondere zu jenen aus der LGBT-Community. „Das sind meine Leute. Das sind die Menschen, die mich von Anfang an unterstützt haben und zu meinen Konzerten kommen. Meine Offenheit bedeutet ihnen etwas. Auch da ich langsam in den Mainstream gleite, kann ich an ihrer Stelle Sachen formulieren, für die sie selbst kein Forum haben.“

Apropos Mainstream: Die Musik auf „Mykki“ ist zugänglicher als alles, was zuvor unter dem Namen Mykki Blanco veröffentlicht wurde. In Stücken wie dem epischen „Highschool -Never Ends“ oder „You Don’t Know Me“ trifft sein narkotischer Gangsta-Rap-Stil auf getragene Streicher und Popmelodien. Andere Tracks, wie „My -Nene“ oder „For The Cunts“, sind hyperaktive Partybanger zwischen Peaches und Azealia Banks. Produziert wurden die Songs größtenteils vom französischen Chamberpop-Produzenten und Videoregisseur Woodkid, der Blanco auch ermutigte, mehr zu singen. „Woodkid hat mir sehr dabei geholfen, meine privaten Erfahrungen in poppige Songs zu verpacken. Er hat mir auch -geholfen, einen Sinn für Melodien zu entwickeln. Ich war vor allem Entertainer – Musi-ker musste ich erst noch werden. Ich denke, dieses Album ist das erste kohärente Werk von mir, das man vom Anfang bis zum Ende ohne Aussetzer durchhören kann.“

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Die Person ist die Botschaft

In einem Interlude wird Mykki Blanco besonders persönlich. Mit verfremdeter Stimme erzählt er von seinem brennenden Verlangen nach der Intimität echter Liebe, die wichtiger sei als Ruhm oder Selbstverwirklichung und nicht sexuell konnotiert sein müsse. Die zweite Singleauskopplung, „The Plug Won’t“, greift das Thema wieder auf. Hier bezweifelt Blanco, dass er diese Art von Nähe je im Nachtleben finden wird, wo alles nur um Sex und Drogen kreist. Die Songs auf „Mykki“ sind dennoch kein Conscious- oder Bekenntnis-Rap im klassischen Sinne. Die Person ist die Botschaft. „Als ich ein Teenager war, gab es in der öffentlichen Wahrnehmung nur diese sehr weiß geprägte Vorstellung von Homosexuellen, zum Beispiel in Serien wie ,Will & Grace‘ oder ,Queer Eye For The Straight Guy‘. Diese Klasse von Homosexuellen, die da in den Mainstream sickerte, spiegelte überhaupt nicht wider, wie ich mich fühlte. Ich hätte mir damals mehr als alles andere gewünscht, dass die schwule Community ehrlichen Beifall für ihre kulturellen Errungenschaften erhalten hätte, statt Heteros, die sich bei der Szene bedienen und dafür gefeiert werden.“

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Hier sieht Quattlebaum denn auch den größten Unterschied zwischen Mykki Blanco und Pop-Chamäleons wie Bowie und Marilyn Manson oder Pop-Diven wie Madonna, die den Vogue-Tanzstil der schwarzen und hispanischen Ballhouse-Szene in den 90er-Jahren für ein Mainstreampublikum kopierte. „Sosehr ich diese Künstler auch für -ihre Offenheit respektiere, so muss man doch sagen, dass sie sich sehr bei der Queer-Culture bedient haben, ohne der Szene offen Anerkennung zu zollen. Das Komische an diesen Künstlern ist ja auch, dass sie, egal was sie anhatten, die Menschen nicht verunsicherten, solange sie offiziell als ,straight‘ galten. Denk an Prince. Oder auch an Rapper wie Young Thug oder André 3000. Solange sie hetero sind, kommen sie mit allem durch. Es ist verrückt und auch traurig, aber so ist unsere Gesellschaft. Du kannst als Mann ein Kleid tragen wie Bowie oder mit einem Tanga auf die Bühne gehen, wie Prince es getan hat – solange die Menschen denken, dass du auf Frauen stehst, ist alles okay. Es gibt ihnen ein Gefühl von Sicherheit: Ja klar, er trägt Make-up und Perücken, aber er mag Frauen, er ist also vollkommen normal wie wir.“

Attacke in Putins homophobem Russland

Quattlebaum will so lange verunsichern, bis es keine Verunsicherung mehr gibt. Dafür tourt er sogar in Putins homophobem Russland. Ein Song des neuen Albums handelt davon, wie die LGBT-Szene dort trotz staatlicher Unterdrückung im Untergrund weiterlebt. „Shit Talking Creep“, wie der Track heißt, ist gleichzeitig eine provokante Kampfansage an die Männer, die im November 2014 einen Club in Moskau stürmten, um einen Auftritt von Mykki Blanco zu verhindern: „I’m in Russia, nigga, making mad cash/ Fuck a skinhead in his white ass/ That couscous, that sea bass, that caviar goes down real fast/ Fuck, nigga, no, I coming with them Russians!“ Das Risiko solcher Texte nimmt Quattlebaum in Kauf. Es wäre nicht das erste Mal, dass er sich in Schwierigkeiten brächte. Bei einer Tour in Portugal wurde er festgenommen, weil er sich mit einem Polizisten anlegte, der ihn als „bicha“ beschimpfte, was sich in diesem Zusammenhang am besten mit „Schwuchtel“ übersetzen lässt.

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„Ich wusste von Anfang an, dass meine Person und die Sachen, die ich mache, außerhalb der Queer-Community schwer verdaulich sein würden“, sagt Quattlebaum. „Dennoch hat sich ja gerade in den vergangenen vier Jahren einiges getan. In den USA wurde die gleichgeschlechtliche Heirat legalisiert. Die Transgender-Bewegung ist durch Caitlyn Jenner in den Mainstream gesickert. Ich bin heute bekannter denn je, weil die heterosexuelle Kultur sich für mehr Akzeptanz geöffnet hat. Leute, die vor vier Jahren gesagt hätten: ,Was zur Hölle ist das?‘, haben jetzt bestimmte Anknüpfungspunkte, um diese seltsame Genderqueer-Persona, diese punkige rappende Figur, die jedes Mal anders aussieht, richtig einzuordnen.“

Ich bin durch eine sehr extreme Phase gegangen

Geduld zahlt sich aus, glaubt Quattlebaum. Er ist stolz, dass er schon so lange durchgehalten hat, noch dazu bis vor Kurzem ohne Label und in einer Tournee-Endlosschleife, die ihn mehr als einmal an den Rand des Zusammenbruchs brachte. „Bevor ich einen Tourmanager hatte, habe ich jede Nacht Party gemacht. Nicht weil ich unbedingt wollte, sondern weil ich, wo ich auftauchte, eben die Party war! Ich bin durch eine sehr extreme Phase gegangen, weil ich außerhalb dieser wilden Tourneen kein anderes Leben hatte, in das ich hätte zurückkehren können. Ich habe erst jetzt diesen Sinn für Balance. Man muss lernen, auf sich aufzupassen.“

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Sein Debüt komme deshalb gerade zur rechten Zeit, sagt Quattlebaum. Jetzt sei er richtig bereit, als Musiker noch mehr Grenzen einzureißen. „Ich denke, ich habe gezeigt, dass ich mehr bin als eine rappende Dragqueen und dass das Ganze keine Comedy oder so was sein soll. Mykki Blanco spielt mit verschiedenen Figuren, bei denen es nicht immer und ausschließlich um die -Pole von männlich und weiblich geht. Tatsächlich geht es oft weit darüber hinaus. Du wirst mich auch mal ohne Frauenkleider auf der Bühne sehen, und das ist gut so. Nicht alles ist eine politische Geste. Tatsächlich mache ich viele Sachen auch einfach, weil sie Spaß machen“, sagt er und bricht in ein lautes, befreites, glucksendes Lachen aus, das zu lachen ein heterosexueller Mann sich nicht trauen würde.

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