mutausbrüche: KATHRYN WILLIAMS singt verletzliche Folk-Songs, hat die eigene Karriere aber energisch vorangetrieben
Pling, pling, jede Stadt hat ihre Kathryn Williams. Egal, wo man auf Reisen übernachtet, man muss nur eine Weile suchen und wird die örtliche junge Song-Poetin finden, in einer Uni-Cafeteria, mit der Gitarren-Softtasche an der Bushaltestelle. Falls sie Auftritte spielt, steht vorher in der Zeitung, dass ihre Lieder die lang erhoffte Seelenmassage seien, dass sie ein bisschen wie Suzanne Vega klänge, aber unbestritten eine persönliche Note habe. Dagegen kann man wenig sagen, weil es ja eine unterstützenswerte Sache ist, wenn jemand sorgfaltige Folksongs singt und sich um Ausdruck bemüht Das Besondere an der Kathryn Williams von Newcastle ist, dass sie aller Zartheit zum Trotz erstaunliches Durchsetzungsvermögen zeigt. Vor Konzerten hatte sie am Anfang ganz schreckliche Angst (heute nur noch schreckliche), wusste aber, dass sie ohne Auftritte die selbstgepressten CDs nie hätte verkaufen können und als Nebenerwerbs-Kellnerin gestrandet wäre. Die Sängerin ohne Plattenfirma meldete sie sich im Jahr 2000 (für 200 Pfund Teilnahmegebühr) selbst zum britischen „Mercury Music Prize“, kam sogar unter die zwölf Nominierten, verlor freilich gegen Badly Drawn Boy. 20 000 Stück des zweiten Albums „Little Black Numbers“ waren schon verkauft, als Williams den Vertrag bei Eastwest unterschrieb. Der sanfteste PR-Coup der jüngeren Popgeschichte. Jetzt gibt es die Platte auch in Deutschland. R0CKI1 ROLL Wahrscheinlich wäre es Kathryn Williams wohler in ihrer Haut, wenn sie diese Mutanfälle nicht hätte – oft ist schließlich Publikum dabei. „Als ich mit dem Rauchen aufgehört habe, musste ich krampfhaft etwas suchen, um meine Hände und meinen Mund zu beschäftigen. Zum Glück habe ich seit Oktober einen Ehemann“, den Spruch hat sie bei einem Auftritt in Irland gesagt, weil ihr die Stille zwischen den Liedern wieder so peinlich war. „Ich denke dann: ,Hmm, du solltest jetzt was sagen!‘, und dann kommt nur Blödsinn raus“, seufzt Williams, als ob sie sich fiir das schlechte Benehmen der kleinen Schwester entschuldigen würde. Die Zuschauer finden das süß, comic relief sagt man im Theater dazu. Der Zwiespalt: Die ganz private Songschreiberin muss plötzlich die Rolle der Entertainerin ausfüllen. Warum ist Kathryn Williams denn nicht in Gottes Namen doch Kellnerin geworden? Jch weiß es nicht, ich weiß es nicht“, sagt sie lächelnd und wahrheitsgemäß. Joachim Hentschel