MUSIK ZUM SEHEN
Peter Gabriel Back To Front – Live In London****
Ordentlich wie bei einer Hauptversammlung sind die Stühle aufgestellt, die meisten Zuhörer können sich an das Jahr 1986 erinnern. Gabriel sieht in einer schwarzen Kapuzenkutte wie ein Zwitter aus glatzigem Mönch und grimmigem Survival-Abenteurer aus. Mit tiefer Onkelstimme verkündet er das Procedere, das mit einem akustischen Teil bei Hallenlicht beginnt: Tony Levin, Typ sympathischer Klempner mit Schnauzbart, betritt mit seiner Bassgitarre die Bühne; am Flügel spielt Gabriel die neue, schwerblütige Ballade „Daddy Long Legs“. Manu Katché, David Rhodes und David Sancious kommen hinzu. „Come Talk To Me“,“Shock The Monkey“ und „Family Snapshot“ erklingen perkussiv, bevor zu „Solsbury Hill“ die Show-Routine einsetzt und das Publikum „Boom-booom-boom“ singt.
Dann baut sich „Red Rain“ auf -und mit dem Lied das GEFÜHL von 1986, als „So“ die gute Gesinnung mit Kunst, Kitsch und Weltmusik vermählte. Die Zuhörer skandieren das Riff von „Sledgehammer“, während Gabriel unbewegt den Chor überwacht. Bei „Mercy Street“ legt er sich auf den Bühnenboden, die elektronischen Kameras fahren hinunter, der Ton schwankt. Bei „We Do What We’re Told“ fahren fünf Kräne mit Lichtkegeln umher. Jetzt, da Gabriel nicht mehr tanzt, sondern ein paar -wie man heute sagt – „Moves“ vollführt, ist die Inszenierung eher Messe als Erweckungsfeier. Bei „In Your Eyes“ tanzen aber die Sängerin Jenny Abrahamson und Daby Touré, der den Part von Youssou N’Dour übernimmt. Schließlich ertönen die feierlichen Trommeln des Requiems für Steve Biko, die Dudelsäcke salutieren, die Faust ist erhoben. Ein alter Mann hat uns für Momente ein bisschen glücklicher gemacht. (Eagle Vision)
ARNE WILLANDER
Elton John The Million Dollar Piano ****
Es ist ja wahr, dass er beinahe nur noch seine Hits spielt. Nun hat Ihro Merkwürden einen gläsernen Flügel auf die Bühne des Caesars Palace stellen lassen und seine Musiker in Anzüge gesteckt. Und das Tolle an dem Auftritt ist -dass Elton überhaupt NUR NOCH seine Hits spielt. Mit einem Umhang, der Liberace gefallen hätte, betritt er die Bühne und lässt sich feiern. „The Bitch Is Back“,“Bennie And The Jets“,“Rocket Man“,“Levon“, „Tiny Dancer“,“Your Song“ – mehr Las Vegas geht nicht. Dann variiert Elton „I Guess That’s Why They Call It The Blues“, in einer Nuance nur, er beginnt „Crocodile Rock“ ironisch im Vaudeville-Stil, und er hämmert „I’m Still Standing“, als würde er das Stück nicht seit 30 Jahren bringen, ja als würde es ihn mit einem Lebenselixier versorgen – am Ende würde sogar eine verdammte Mumie toben. Was für ein irres Genie. (Eagle Vision)
AW
Ministry Last Tangle In Paris -Live 2012 **¿
Nach dem Tod von Gitarrist Mike Scaccia entschied der stets moribunde Al Jourgensen, dass nach „From Beer To Eternity“ wirklich und wahrhaftig Schluss sein sollte mit Ministry. Die letzten Live-Aufnahmen der Industrial-Ikonen -darunter „N.W.O“,“Just One Fix“ und „Thieves“ – finden sich nun hier, nebst Backstage-Eindrücken und eher vernachlässigenswerten Interviews. Jourgensen tut kund, dass er diesen Job hasst, macht ihn dann aber doch recht gut. Ihren Zenit hatte die Band freilich längst überschritten. (Rykodisc/Warner)
ALEXANDER MÜLLER