Muse – Sehnsucht nach Größe
Olympische Dimensionen: Auf ihrem neuen Opus spielen Muse mit Thermodynamik - und in einer Liga mit Coldplay und Radiohead
Und dann explodiert’s!“ Dominic Howard fuchtelt mit den Händen in der Luft herum, um seine Aussage zu versinnbildlichen. Es ist die Lieblingshandbewegung des Schlagzeugers an diesem Nachmittag auf der sonnendurchfluteten Terrasse des Berliner Schlosshotels im Grunewald. Im Hause seiner Band Muse hat sich einiges zugetragen. Das neue, mittlerweile sechste Album, „The 2nd Law“, steht zur Auslieferung bereit – und birgt manche Überraschung.
Nicht nur weil es hofft, eines Tages während eines Fluges mit „Virgin Galactic“, dem Raumfahrtunternehmen von Richard Branson, einen Song im Weltall aufnehmen zu können, geht das Trio aus der südwestenglischen Grafschaft Devon noch mehr auf Tuchfühlung mit dem Größenwahn. So erreichte uns der erste Knall vorab in Form des offiziellen Olympiasongs „Survival“. Ein 30-köpfiges Orchester beschwor in der Breitwandchoreografie von Queen den angelsächsischen Kampfgeist. „I’ll never lose …“, konstatierte Sänger Matt Bellamy – eine Eigenschaft, die britische Sportler, allen voran Fußballprofis am Elfmeterpunkt, nicht zwingend teilen. „Wir hatten eher Daley Thompson vor Augen“, erklärt Howard und verweist auf den Londoner Universalathleten, der von 1980 bis 1986 im Zehnkampf ungeschlagen blieb.
„Wir probierten diesmal viel Neues“, blickt er auf ein halbes Jahr Arbeit in London und L.A. zurück. „‚The 2nd Law‘ stellt für uns einen Brückenschlag in die Zukunft dar.“ Überraschend kommt Part One des Titeltstücks mit Big-Beat- und Drum’n’Bass-Referenzen. Im Vorfeld führte das zu einer regelrechten „Muse goes Dubstep!“-Hysterie. „Uns hat die Wucht von Künstlern der Dance-Szene wie Skrillex, Justice und Nero imponiert. Der Song sollte unsere Version davon sein, aber mit echten Instrumenten gespielt. So wie es Rage Against The Machine in den 90er-Jahren mit HipHop versucht haben.“
Für den apokalyptischen Disco-Rock von „Follow Me“ fand man Unterstützung beim Londoner Dub-step-Duo Nero. Rekrutiert hat es in New York, ebenso wie besagtes Orchester, David Campbell, ein kanadischer Komponist und Kammermusiker. „Panic Station“ verblüfft dagegen mit White Funk, wobei auch Prince und die Achtziger-Dance-Rock-Abenteuer von Power Station durchschimmern. „Darüber hinaus hat uns die Filmmusik der 80er beeinflusst“, ergänzt Howard, „allen voran die Soundtracks von John Williams zu Steven-Spielberg-Filmen. Uns kam es so vor, dass damals die Musik plötzlich genauso mächtig wurde wie die dazugehörigen Bilder. Soundtrack und Film gingen eine perfekte Symbiose ein.“
Was in der Wahrnehmung der Reize wozu führt? Ganz richtig, zu – Howard zeigt es an – einer Art Explosion. Dabei geht es im zweiteiligen Titeltrack ums Gegenteil: um das Ende aller nutzbaren Energie. Das zweite Gesetz der Thermodynamik besagt: In geschlossenen Systemen – wie dem Universum – nimmt jede Art von Energie stetig ab, was letztendlich zu Chaos, Unordnung und Wahllosigkeit führt. „Dieses Gesetz steht im krassen Kontrast zur Menschheit. Der Fluss von Energie erhält uns am Leben.“
Egal, ob man die Grammy-Preisträger für integre Musiker oder für Helden vom Erdbeerfeld ohne jede Bodenhaftung hält: Mit Coldplay, U2, Kings Of Leon und den Killers buhlen sie weiterhin um die inoffizielle Auszeichnung als derzeit „größte Band des Planeten“. Mit der Großmannssucht von „The 2nd Law“ haben Muse schon mal einige ihrer Vorbilder in Sachen Superlative eingeholt.
20% „Herr der Ringe“
20% Astrophysik
20% Religionsphilosophie
20% Peter Greenaway
10% Experimentelle Mathematik
10% Geometrie