Mr. Zuversicht
Auf der faulen Haut liegt Billy Bragg eher selten. Es mögen sechs Jahre seit seinem letzten Album vergangen sein, aber zu tun hatte er genug: „Buch veröffentlichen, Beethovens ,Ode an die Freude‘ umarbeiten, touren. Ich bin selbst überrascht, wie viel Zeit vergangen ist“, gibt der Brite zu, der im vergangenen Dezember 50 wurde. „Mr. Love & Justice“ heißt nun das neue Album. Der Titel ist nicht ironisch gemeint, er beschreibt ziemlich genau, was Billy Bragg ist. Neuerdings zieht es ihn allerdings mehr zu Liebesliedern hin und etwas weniger zu Sozialkritik. Und während er früher, als er noch der „Milkman Of Human Kindness“ war oder mit dem Finanzamt über Poesie sprechen wollte, seine Verse knurrte und belferte, ist sein Gesang inzwischen – richtiger Gesang, der gekonnt mit Höhen und Tiefen spielt.
Nun wird Bragg immer ein politischer Mensch bleiben, aber nach dem Album“.England, Half English“ (2002) hatte er keine Lust, noch mehr Songs über die gleichen Ideen und Themen zu schreiben. Stattdessen analysierte er in dem Buch „The Progressive Patriot“ den Zustand Großbritanniens. Doch trotz seiner teils vernichtenden Kritik an der Lage der Nation beginnt „Mr. Love & Juntice“ gleich mit dem kategorischen „I Keep Faith“. Es handelt allerdings nicht allein von Bragg: „Es gibt ja diesen Rock’n’Roll-Mythos, dass Sänger die Welt verändern können. Ich habe nie daran geglaubt. Ich habe immer an die Zuhörer geglaubt und daran, dass sie es schaffen können, die Welt zu verändern.“ Es geht immer noch viel um Solidarität und Menschlichkeit im Leben des Billy Bragg, der seit 30 Jahren ständig gegen Nationalisten und für Gerechtigkeit, gegen Krieg und für Toleranz kämpft. Oft vergeblich. Kein Grund zum Jammern allerdings, findet der pragmatische Protestler: „Meinen marxistischen Freunden ist es viel schlimmer ergangen — mit dem Zusammenbruch der Berliner Mauer, dem Ende des Kalten Krieges, der Auflösung der Sowjetunion hatten sie nichts mehr, woran sie glauben konnten. Ich habe immer an die Menschheit an sich geglaubt, und da wird jeden Tag eine neue Generation geboren. Wenn es die Alten vergeigen, und wir vergeigen es auch, dann gibt es immer noch jüngere, die aus den Fehlern lernen können!“
Und manchmal erlebt man zur Belohnung für so viel Zuversicht ein kleines Märchen. Eines Tages im Jahre 2007 war Bragg in Lincolnshire auf der Suche nach Rhabarber für einen Crumble und trat nach vielen Jahren seinen verehrten Kollegen Robert Wyatt wieder. Er nahm ihn mit ins Studio, man sang gemeinsam „I Keep Faith“ – „und er klang wie ein Engel. Mein Produzent wurde ganz blass, er hatte einen Hillary-Clinton-Moment. Wir hatten alle Tränen in den Augen.“ Und der Streuselkuchen war auch köstlich.