Mr. MTV: Robert Pittman
Musik im Fernsehen gab es schon vorher, doch die 24-stündige Dauerbeschallung ist seine Erfindung: Robert Pittman, Entwickler und erster Chef von MTV. Dass sein Baby längst vom Pfad der Tugend abgekommen ist, sieht er allerdings gelassen.
Robert W. Pittman, geboren am 28. Dezember 1953, begann seine Karriere mit 15 Jahren als Radiomoderator. Ursprünglich nur als Nebenjob gedacht, um Geld für Flugunterrichtzu verdienen, schaffte er es mit 23 auf den Posten des Programmdirektors bei WNBC in New York. Er entwickelte und leitete von 1981 bis 1987 MTV. Nach der Übernahme des Senders durch Viacom arbeitete Robert Pittman in verschiedenen Führungspositionen für Firmen wie AOL Time Warner, den Vergnügungsparkbetreiber Six Flags und die Immobilienfirma Century 21. Seit 2003 leitet der begeisterte Hobbypilot die Fondsgesellschaft Pilot Group und sitzt im Vorstand der Robin Hood Foundation, einer gemeinnützigen Gesellschaft, die Armut in New York bekämpft. Er ist Jury-Mitglied der „Rock And Roll Hall Of Fame“ und gilt laut Fachzeitschrift Advertising Age als einer der „„50 Pioniere und Visionäre des Fernsehens“.
Mr. Pittman, Sie gelten als der Vater von MTV: Wie kamen Sie auf die Idee?
Bob: „Manche meinen, es sei deine Definition von In den USA wurde gerade das Kabelfemsehen eingeführt, und man suchte nach Material, um die neuen Kanäle zu füllen. Man wollte weg von den Broadcast Channels, also Kanälen, die eine breite Masse ansprechen, und hin zu Narrowcast Channels, Kanälen, die nur eine bestimmte Zielgruppe bedienten, Nachrichten zum Beispiel oder Kindersendungen. Da hatten einige die Idee, einen Kanal nur mit Musik zu bestücken.“
Gab es Vorbilder?
„Narrowcasting kannte ich vom Radio, und natürlich gab es schon vorher Musik im Fernsehen, Dick Clarks „„American Bandstand“ etwa, oder eine Show namens „Video Concert Hall“, oder meine Show „„Album Tracks“ bei NBC. Wir schnürten das Ganze erstmals zu einem erfolgreichen Paket zusammen wie einst Henry Ford die Autoproduktion.
Was war Ihre Motivation: Wollten Sie eine Revolution starten oder lockte das Geld?
„Ich war hauptsächlich darauf bedacht, nicht zu scheitern. Es gab am Anfang gerade mal 250 Musikvideos – nicht genug, um einen Kabelkanal zu rechtfertigen. Wäre der Sender nicht gut angekommen, wären kaum weiteren Videos produziert worden. Niemand ahnte, wie erfolgreich MTV dann werden würde.“
Warum war MTV so erfolgreich?
„Bis dahin wurde Musik im Fernsehen auf erzählerische, lineare Art und Weise präsentiert. Bei Musik geht es aber vor allem um Stimmung und Emotionen, und uns gelang es, das Fernsehen dementsprechend neu zu definieren. Wir waren ein extrem junges Team, wir brachen mit allen Design- und Grafikregeln, parodierten konventionelles Fernsehen, zeigten kunstvolle Kurzfilme…“
…und heuerten mit George Lois einen der besten Werber.
„Richtig! George recycelte eine seiner alten Kampagnen, „I want my Maypo!“ (eine Art Haferflocken, Anm. d. Red.), und ließ Stars wie Mick Jagger und The Police „„I want my MTV!“ ausrufen. Daraufhin riefen Tausende von Kids bei ihrer Kabelgesellschaft an, und verlangten, dass der Sender ins Programm genommen wurde.“
Wie beeinflusste MTV die Musik und die Gesellschaft?
„Musikalisch traten wir in den USA die zweite „British Invasion“ los. In England wurden Bands vor allem durch Auftritte in Femsehshows berühmt, und die Briten hatten deshalb wesentlich mehr Videos, die wir zeigen konnten. Und wir haben aus Musikern Prominente gemacht. Früher wurden selbst berühmte Musiker kaum erkannt, denn auch wenn man die Band zuvor auf der Bühne des Madison Square Garden gesehen hatte, erkannte man sie nicht unbedingt auf der Straße. Eine der ersten überraschten Reaktionen, die wir von Musikern bekamen, war: „„Ich bin heute im Coffee Shop von ein paar Kids erkannt worden, die meinten, sie hätten mich auf MTV gesehen!“ Wir haben sicherlich auch die Mode beeinflusst: Auf einmal sahen Kids die letzten Trends aus London, New York, Los Angeles. Und auch unsere Schnitttechnik war revolutionär: Wir waren die ersten, die mit dem Rhythmus schnitten. Das beeinflusste die Filmindustrie: Von da an ging es weniger um Dialoge als um Stimmung und Emotionen. „„Flashdance“ ist ein gutes Beispiel dafür, oder die TV-Show „„Miami Vice“. Die war eigentlich nicht mehr als ein langes Musikvideo.“
Nicht alles unbedingt positive Effekte…
„Sicher. Manchmal übertraf die Prominenz das Talent, und manchmal schafften talentierte Musiker den Sprung an die Spitze nicht, weil sie nicht charismatisch oder telegen genug waren.“
Rick James behauptete, MTV sei rassistisch…
„Ja, weil wir sein „Super Freak“-Video nicht spielen wollten. Aber wenn Sie sich das Video anschauen, wissen Sie warum… Es gab am Anfang einfach nicht genug gute Videos von farbigen Musikern, aber nachdem er uns öffentlich des Rassismus bezichtigt hatte, machten wir uns verstärkt auf die Suche – und fanden Michael Jackson, der gerade „„Thriller“ veröffentlichte. Die Plattenfirma CBS wollte nicht mehr Geld für Videos ausgeben, sie hatten bereits „„Billy Jean“ und „„Beat It“ bezahlt, und wir finanzierten das „„Thriller“-Video. Seitdem bin ich gut mit Quincy Jones befreundet. Er ist der Patenonkel meines ältesten Sohnes. Später sorgte MTV dann für den breiten Erfolg von Rap in Amerika, mit Sendungen wie „„Yo! MTV Raps“.“
Warum haben Sie dann MTV verlassen?
„Wir wollten MTV selbst kaufen, aber Viacom bekam den Zuschlag. Ich sagte zwar zu, noch weitere fünf Jahre dort zu arbeiten, aber nach einem Jahr sah ich ein, dass es nicht mehr so viel Spaß machte. Es war traurig, denn ich hatte viele Freunde dort, trotzdem bin ich froh, dass ich weitergezogen bin.“
Schauen Sie noch MTV?
„Nein. Als ich MTV verließ, hörte ich auch auf, es zu schauen. Ich brauchte einen ganz klaren Schnitt. Ich hatte keine Kontrolle mehr über den Sender, und ich wollte nicht gezwungen sein, das, was meine Freunde dort weiter produzierten, kritisieren zu müssen. Das wäre zu frustrierend gewesen.“
Heute läuft kaum noch Musik auf MTV: Was ist schiefgelaufen?
„Ich weiß auch nicht. Ich hätte das nicht zugelassen. Aber die Zeiten ändern sich, und ich bin inzwischen viel zu alt, um das zu verstehen. Mit 27 handelte ich intuitiv, heute würde ich meinem Urteil nicht mehr trauen. Ich müsste auf die Marktforschung hören.“
Haben sie noch viel mit Musik zu tun?
„Ja, ich habe immer noch viele Freunde im Musikbusiness. Aber wenn Sie mich fragen, was meinem iPod läuft, muss ich passen: Den programmiert mein 25-jähriger Sohn. So halte ich meine Ohren auf Trab.“
Wie sieht MTVs Zukunft aus?
„MTV ist ja immer noch sehr erfolgreich in den USA. Im Bereich der Musikvideos sicher nicht mehr so dominant wie einst, aber es hat sich zu einer wichtigen Quelle für Nachrichten entwickelt und sich recht erfolgreich im Internet platziert. Natürlich gibt es Konkurrenz von YouTube oder MySpace, aber MTV zeigt jetzt mehr Videos online und betreibt ein paar digitale Kanäle, die sich wieder mehr auf Musik konzentrieren. Konkurrenz ist immer gut und sorgt dafür, dass man wachsam bleibt. Ich bin sicher, das MTV seinen Platz behaupten wird.“
Haben Sie ein Lieblingsvideo?
„Klar, „„Video Killed The Radiostar“ von den Buggles! Es war das erste Video, das auf MTV lief, und es ist immer noch mein liebstes. Ich muss aber zugeben, dass viele der alten Videos heute ziemlich peinlich aussehen.“
„„Video Killed The Radiostar“ war das erste Video, das auf MTV ausgestrahlt wurde: Was wäre ein angemessenes letztes Video?
„Großartige Frage, darüber habe ich noch nie nachgedacht. Wenn mir die Antwort einfällt, sage ich Bescheid.“