Morrissey – München, Zenith
Schreien will Morrissey nur privat, aber seine lärmende Band zwingt ihn manchmal dazu, die Stimme zu erheben. Meistens gewinnt er gegen sie.
Morrissey hat gute Laune. Für seine Verhältnisse. Er scherzt gleich zu Beginn in den Applaus hinein: „Thanks. And – would you believe it? – hello!“ Es geht schwungvoll mit „Panic“ und „First Of The Gang To Die“ los, dann stellt er schon die Band vor und verspricht „an extremely dangerous night. If you come too close, you’ll get bitten!“ Aber die Zähne zeigt er vorerst nicht, er ist zum Singen da. Und das kann er natürlich. Die Band bratzt manchmal los, als wollte sie trotz der ordentlichen weißen Hemden einen Metal-Wettbewerb gewinnen, aber meistens kann Morrissey das Gelärme mit seiner Stimme abfangen und wieder Fasson reinbringen, vor allem bei den Smiths-Stücken. „Das hier ist Oper, das wisst Ihr doch? War es immer“, belehrt er das Publikum. Die pathetischen Posen, der schmetternde Gesang – was soll es denn sonst sein? Es ist Oper und Pop, und beides ist brillant, wenn die Band nicht gerade rocken will. Rock liegt Morrissey nicht so, er sieht dann so verloren aus. Und zu verschwitzt. Auch schreit er nicht gern, nicht auf der Bühne – „only in private“. Die Band sollte ihn nicht dazu zwingen.
Unter den acht neuen Songs ist auch „I Will See You In Far Off Places“, nach dem Morrissey dann doch dringend etwas loswerden muss. Das Stück sei vom Album „Ringleader Of The Tormentors“, erzählt er, „das im deutschen Rolling Stone dreieinhalb Sterne bekommen hat. Nicht vier, nicht fünf. Dreieinhalb.“ Er wiederholt das noch einmal, als könne er es nicht fassen, und schüttelt dann missbilligend den Kopf. „Silly, silly boy.“ Da kann man ja froh sein, dass er die Banner der Zeitschrift nicht abreißen ließ! Es ist nicht das erste Mal an diesem Abend, dass er einen an Paul Weller erinnert, der Kritik bekanntlich ebenso wenig goutiert.
Wie Weller trägt auch Morrissey immer etwas zu enge Klamotten. Der Unterschied: Morrissey kommt in einem unvorteilhaft hellen Hemd, das nach kurzer Zeit aus der Hose hängt, und sieht nie lässig aus. Weller hat die komischsten Anzüge und Frisuren, sieht aber immer perfekt aus. Man glaubt Morrissey, wenn er in „Let Me Kiss You“ sich selbst als „someone that you physicallv despise“ beschreibt. Er zieht dabei das Hemd aus, und es geht nicht darum, sexy zu sein. Es wirkt wie ein eitler Akt der Verzweiflung – und natürlich passt diese Performance genau ZU seinen Songs.
Wenn Morrissey nicht so begnadet wäre, müsste man Mitleid haben mit ihm. Er sagt solche Sachen: „Ich war noch nie in einer Situation, in der ich geliebt habe und geliebt wurde. Ich bin jetzt 47 und lebe immer noch mit dieser Hoffnung. Ich habe nur meine kleinen Lieder.“ Was natürlich reine Koketterie ist, denn dies sind große Songs, und das weiß er ganz genau. „Girlfriend In A Coma“, Everyday Is Like Sunday“, „Please, Please, Please Let Me Get What I Want“ – neben solchen Klassikern wirkt „Life Is A Pigsty“ dann freilich sehr zerfahren und überflüssig. Doch nicht nur manch aktuelles Stück entpuppt sich als Störenfried. „The National Front Disco“ kommt einem inzwischen reichlich antiquiert vor, the joke isn’t funny anymore.
Aber diese kleinen Einwände mag man gar nicht vorbringen, weil Morrissey an sich ein Kunstwerk ist – ein Mann, der sich nicht biegen oder gar brechen lässt, ein starrköpfiger Snob, wie es nur noch wenige gibt. „I’ll Never Be Anybody’s Hero“? Da hätte Morrissey mal nicht nur den Rolling Stone anschauen sollen. In der Jubiläums-Ausgabe der toten „Tempo“ wurde Paul Weller für seinen angeblichen „Onkelrock“ zum Verräter gestempelt. Morrissey lief unter „Held“, weil ihm bei seiner Eleganz sogar der Bauch stehe. Solche Komplimente hat er nicht nötig.