Morrisons Geist steigt in ein Auto
Die Film-Dokumentation „When You’re Strange“ rekonstruiert die Geschichte der Doors.
Hat Jim Morrison am 1. März 1969 in Miami wirklich seinen Penis gezeigt? Hat er tatsächlich auf der Bühne Oralverkehr mit dem Gitarristen Robby Krieger gehabt? Bei den ganz großen Fragen muss auch die erste Kino-Dokumentation über The Doors passen. Trotzdem ist „When You’re Strange“ eine helle Freude. Alle noch lebenden Musiker der Band haben daran mitgewirkt – trotzdem gibt es nur Originalmaterial aus den Sechzigern zu sehen: „Diese Aufnahmen waren so kraftvoll, so frisch, ich konnte da keine neuen Interviews reinquetschen“, behauptet der Regisseur Tom DiCillo. „In den alten Filmsequenzen leben die Musiker das, wovon sie heute nur reden können.“
DiCillo ist nicht irgendein Regisseur. Mit Spielfilmen wie „Living In Obli- vion“ und „Box Of Moonlight“ hat der 56-jährige New Yorker ebenso sensible wie surreale Meisterwerke erschaffen. Wie kommt so einer dazu, eine Musik-Dokumentation zu drehen? „Machen Sie sich keine falschen Vorstellungen darüber, wie das Geschäft läuft“, sagt DiCillo. „Ich habe sechs Spielfilme gedreht, aber es gab in letzter Zeit nicht viele Angebote, für die ich drei Jahre meines Lebens opfern wollte. Als man mir diese Dokumentation anbot, sagte ich in dem Moment zu, als der Name The Doors fiel.“
DiCillo hatte Zugang zu den besten Quellen, die Live-Aufnahmen sind brillant, die Interviews zeigen die Musiker in den unterschiedlichsten Situationen. Im Unterschied zu Oliver Stones Film ging es darum, die echten Doors zu zeigen: „Stone ist ein talentierter Filmemacher mit eigenem Stil; auch sein Film ist recht gut. Er hat nur nichts mit den Doors zu tun, sondern handelt von vier Typen, die er sich ausgedacht hat.“
Das Besondere an „When You’re Strange“ ist, dass er die Karriere der Band in eine narrative Klammer einbettet. Weil viele Menschen immer noch Morrisons Tod anzweifeln, se- hen wir am Anfang einen langhaarigen, bärtigen Typen, der in ein Auto einsteigt und am Radio dreht. Es ist Morrison selbst, und er hört die Nachricht von seinem eigenen Tod. „1969 drehte Morrison mit Freunden den Film, HWY‘. Ich habe mit Outtakes gearbeitet, die damals nicht benutzt wurden“, sagt DiCillo.
Diese Sequenzen geben „When You’re Strange“ ein magisches Gerüst. Wie sein eigener Geist schlendert der Lizard King durch die Dokumentation – es gab in den USA sogar Kritiker, die glaubten, sie hätten es mit einem Schauspieler zu tun. Vielleicht, weil Johnny Depp aus dem Off erzählt. „Neulich erzählt mir jemand, er habe sich beim Betrachten des Films wie auf einem Acid-Trip gefühlt. Das gefiel mir, denn ich wollte die Geschichte der Doors emotional erzählen.“ Jürgen Ziemer